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19.12.2016 | Blog

Neue Perspektiven für Ahmad und Yassir

Der kalte Dezemberwind fegt durch die kaputten Fenster in das Klassenzimmer der weiterführenden Schule für Jungen in Rabia, einer Stadt an der irakisch-syrischen Grenze. Der Schule fehlt es an jeglicher Grundausstattung, doch die Schüler sind motiviert.

Klassenraum mit jungen irakischen Männern
Kaputte Fenster, keine Heizung: In diesem renovierungsbedürftigem Schulgebäude findet Ahmad und Yassirs Unterricht statt. © Welthungerhilfe
Stephanie Binder Landesbüro Türkei/Syrien/Irak (bis 2018)

Kaveen und Barbar aus dem Welthungerhilfe-Team, das für die Aktivitäten zur Förderung der sozialen Kohäsion zuständig ist, bereiten sich auf den ersten Workshop des Tages vor. Die Themen sind Recycling, Umwelterziehung und die Rehabilitierung des Schulgebäudes. „Die Fenster in unserem Klassenzimmer sind kaputt, die Türen haben keine Türgriffe und wir haben weder eine Heizung noch Toiletten“, teilt einer der Schüler seine Frustration.

Der Schule fehlt es an jeglicher Grundausstattung. Als der sogenannte Islamische Staat (IS)im Sommer 2014 die Kontrolle über die Stadt Rabia und weite Teile der Provinz Niniveh einnahm, floh der Großteil der Bevölkerung. Nachdem kurdische und irakische Streitkräfte den Norden der Provinz Ende 2015 vom IS zurückeroberten, kehrte lediglich ein Drittel der ursprünglichen Bewohner zurück. Die Infrastruktur in Rabia ist weitestgehend zerstört, die Wirtschaft ist am Boden und es gibt keine Arbeit.

Sozialen Zusammenhalt fördern

Trotz der schwierigen Lernbedingungen und der alltäglichen Existenzkämpfe sind die Schüler an diesem grauen Dezembertag motiviert und freuen sich auf den Workshop, den Kaveen und Barbar vorbereitet haben. Nach einer kurzen Einführung in die Arbeit der Welthungerhilfe lernen die jungen Männer mehr über das Konzept der sozialen Kohäsion – das friedliche Zusammenleben zwischen Binnenflüchtlingen, Flüchtlingen und Gastgemeinden. Sozioökonomische Unterschiede, fehlender Zugang zu Einkommensmöglichkeiten und anderen Ressourcen sowie die instabile Sicherheitslage führen immer wieder zu Spannungen zwischen verschiedenen Gruppen in Rabia.

Die Welthungerhilfe-Aktivitäten zur Stärkung der sozialen Kohäsion sind Teil eines Projekts, das darauf abzielt, die Lebensbedingungen der zurückkehrenden Bevölkerung im Norden der Provinz Niniveh zu verbessern. Dabei sollen die vor Ort lebenden Menschen aktiv in die Gestaltung der Projektaktivitäten einbezogen werden. Das Team hat deshalb eine Methode entwickelt, die es den Schülern ermöglicht, ihre eigenen Verbesserungsvorschläge für ihre Schule und ihre Gemeinde einzubringen. Die Schüler erarbeiten und diskutieren in Gruppenarbeit ihre Ideen. Stolz präsentieren sie anschließend ihre Ergebnisse. Dabei wird klar, dass es den jungen Männern weder an Ideen noch an Enthusiasmus fehlt.

Ahmad: „Wir wollen friedliches Zusammenleben“

Der 19-jährige Ahmad und seine Familie mussten bereits mehrmals vor Gewalt und Konflikten fliehen. Ursprünglich aus Zumar, einer Region in der Provinz Niniveh, flohen sie nach der Eroberung des IS in 2014 nach Syrien. Doch auch von dort mussten sie 2016 fliehen und landeten schließlich in Rabia. Ahmad ist neu in der Schule, doch seine Hoffnungen unterscheiden sich nicht von denen seiner Mitschüler: „Wir müssen die kaputten Fenster und die fehlenden Türgriffe reparieren. Ich hoffe außerdem, dass wir Toiletten, Mülleimer und vielleicht sogar Bäume auf dem Schulhof und Lernposter in unseren Klassenzimmern bekommen“, sagt er. „Außerdem wünschen wir uns ein friedliches Zusammenleben innerhalb unserer Gemeinde und mehr Rechte für Frauen“.

Das Leben für Binnenflüchtlinge wie Ahmad im Irak ist alles andere als einfach. Seine drei Cousinen studierten bis vor dem Konflikt an der Universität in Mossul, die aufgrund der anhaltenden Militäroperation mittlerweile nach Dohuk umgezogen ist. Binnenflüchtlinge aus dem Norden der Niniveh Provinz brauchen allerdings eine offizielle Genehmigung, um nach Dohuk reisen zu können. Ahmads Cousinen bekamen diese jedoch nie und können aus diesem Grund nicht mehr zur Universität gehen und ihre Ausbildung fortsetzen. Als Ahmad seine persönliche Geschichte mit uns teilt, wird eines klar: Wie viele junge Menschen, die Opfer von gewaltsamen Konflikten wurden, fühlen sich auch diese Schüler, die sich an diesem Morgen in einem bitterkalten Klassenzimmer versammelt haben, von der Welt vergessen. „Was mir an dem heutigen Workshop besonders gut gefallen hat, war dass wir nach unseren Ideen gefragt wurden. Wir haben lange darauf gewartet, dass eine Organisation wie die Welthungerhilfe hier her kommt und unsere Bedürfnisse in ihre Arbeit einbezieht“.

Yassirs Priorität: Bildung verbessern

Anders als Ahmad ist Yassir in Rabia geboren und aufgewachsen. Seine Eltern hatten einen landwirtschaftlichen Betrieb. Als der IS im Sommer 2014 die Gegend einnahm, floh die Familie in die umliegenden Dörfer. Dabei verloren sie all ihr Hab und Gut. „Wir hatten Glück, dass wir bei Freunden unterkommen konnten, aber wir haben alles verloren“, erzählt er. Wie so viele andere versuchen Yassir und seine Familie sich ihr Leben wieder aufzubauen – in einer Gemeinde, in der es an Ressourcen für Bildung, öffentlichen Einrichtungen und Arbeitsmöglichkeiten fehlt.

Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Stämmen und mangelhafte Modelle zur Reintegration der 2014 vertriebenen Bevölkerung sind weitere Herausforderungen der Menschen in Rabia.

Für ihn hat die Verbesserung der Lehre in seiner Schule Priorität. „Wir brauchen mehr Lehrer für Mathematik, Physik und Biologie“. Den Workshop der Welthungerhilfe erlebte Yassir, wie die meisten seiner Mitschüler, als willkommene Ablenkung in einem anstrengenden Schulalltag. „Mir hat es sehr gut gefallen, dass die Welthungerhilfe an unsere Fähigkeit glaubt, die Situation in unserer Schule selbst zu verbessern“.

Die Aktivitäten zur Förderung der sozialen Kohärenz sind Teil eines von der GIZ finanzierten Welthungerhilfe Projekts im Norden der Provinz Niniveh. Über den Zeitraum von zweieinhalb Jahren zielt das Projekt auf die Verbesserung der Lebensbedingungen von Rückkehrern und der lokalen Bevölkerung in der Region ab. Mit Hilfe eines vielschichtigen Ansatzes fokussieren sich die Projektaktivitäten auf einkommensschaffende Maßnahmen für besonders bedürftige Bevölkerungsgruppen, die Rehabilitation von Teilen der Infrastruktur, Aktivitäten zur Förderung der sozialen Kohärenz sowie die Sensibilisierung der Menschen für von Minen und anderen Waffen ausgehenden Gefahren.

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