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03.11.2015 | Blog

Kambodschas Erbe des Krieges

„Kannst du dir vorstellen, dass Phnom Penh mal eine Geisterstadt war?“, fragt mich meine Freundin, als wir mal wieder in den engen, viel zu vollen Straßen der Stadt mit dem Tuk Tuk feststecken.

Ein rotes Schild mit einem Totenkopf darauf warnt vor Minen
Abseits der Wege warnen rote Schilder vor Minen.
Hannah Döttling Online Team

Unser Fahrer kämpft sich mutig den Weg durch den lauten Städtedschungel. Vom nervösen Hupen, den knatternden Motos und den schrillen Trillerpfeifen der verkehrsregelnden Polizisten schmerzen mir mal wieder die Ohren. Wir müssen einem fahrenden Essenstand Platz machen, der sich dreist vorgedrängelt hat und uns nun mit seinem portablen Holzkohlegrill einräuchert. „Nein“, sage ich etwas genervt und stelle mir kurz vor, wie viel entspannter unser Nachhauseweg sein würde, wenn die Straßen ausnahmsweise mal leergefegt wären – bevor ich mich innerlich für diesen Gedanken schäme. 

Tatsächlich hat die florierende Hauptstadt Kambodschas das Gesicht des Krieges abgeworfen und sprüht nur so vor Energie und Leben. Auf den ersten Blick erinnern einzig allein das Foltermuseum Toul Sleng und die Massengräber der „Killing Fields“ an die schrecklichen letzten Jahrzehnte, die das Land durchstehen musste.

Jahrelanger Bürgerkrieg prägt das Land

Je länger ich mich aber hier befinde, je mehr wird mir bewusst: Kambodscha ist ein traumatisiertes Land, das immer noch unter Nachwehen seiner traurigen und brutalen Vergangenheit leidet.

40 Jahre ist es nun her, dass das Regime um Pol Pot seine Schreckensherrschaft begann. Dem Ziel, das Demokratische Kampuchea, wie es die Roten Khmer selbst nannten, in eine agrarkommunistische Gesellschaft zu verwandeln, folgten massenhaft Vertreibungen aus den großen Städten wie Phnom Penh und die Etablierung von gigantischen landwirtschaftlichen Arbeitslager. Zwei Millionen Menschen, also erschreckende ein Viertel der damaligen Bevölkerung starben in nur drei Jahren, bis die Roten Khmer von vietnamesischen Truppen besiegt wurden. Neben der systematischen Exekution von Intellektuellen und Oppositionellen starben Hundertausende an Hunger, Krankheiten und Überarbeitung.

Unendliche Trauer und traumatisierte Menschen

Hinterlassen hat das Regime nicht nur unendliche Trauer, traumatisierte Menschen und zerrissene Familien, sondern auch ein Land, dessen komplette Infrastruktur und Wirtschaft zerstört wurde. Vor 1970 konnte sich Kambodscha selbstständig ernähren und Reis, Holz und Fisch exportieren. Bis 1979 sank die Reisproduktion durch Fehlplanung und Misswirtschaft um 80 Prozent.

Wissen über Generationen erprobter Anbaumethoden gingen durch die Terrorherrschaft verloren, was den Wiederaufbau der Landwirtschaft erschwerte. Damit die sechs Millionen unter Hunger leidenden Menschen ernährt werden konnten, war das Land 1980 auf Reisimporte angewiesen.

Der enorme Wissensverlust zieht bis heute Konsequenzen nach sich:

Ein zweiter Bürgerkrieg hinderte Kambodscha außerdem daran, sich von der vorherigen Terrorherrschaft zu erholen. Die Roten Khmer zogen sich in die nordwestliche Provinz Oddar Meanchey in den Untergrund zurück und brachten als Guerilla-Bewegung bis in die späten 90er Jahre weiterhin Terror über das Land. Erst 2007 nahm das Rote Khmer-Tribunal seine Arbeit auf, um deren begangenen Verbrechen zu untersuchen, aufzuarbeiten und zu verurteilen.

Der letzte Rückzugsort der Roten Khmer ist heute eine sehr ländliche, einsame und arme Gegend. Die Erklärung dafür findet sich versteckt im Boden: Kambodscha ist eines der am stärksten von Landminen verseuchten Länder der Welt. Spezialisten gehen davon aus, dass noch mehr als zwei Millionen Minen vergraben sind.

Oddar Meanchey, das als Versteck der Roten Khmer bekannt war, ist am stärksten davon betroffen. Hier sollen noch um die 500.000 der Sprengkörper zu finden sein, die während des Bürgerkrieges und danach sowohl von den Roten Khmer, den Vietnamesen als auch von der kambodschanischen Regierung und den USA gelegt wurden. Dieses gefährliche Erbe trifft die Bevölkerung immer noch schwer. Seit 1979 wurden in Kambodscha 64.000 Menschen von Landminen verletzt oder getötet.

Landminen hindern Familien daran, ihre Felder zu bestellen

In Oddar Meanchey hindern die explosiven Spuren des vergangenen Krieges die Gemeinden ebenfalls daran, das durchaus anbaufähige Land zu kultivieren. Mehr als 50 % der Bewohner sind daher chronisch unterernährt. Seit 1991 wurde in Kambodscha zwar mit der Minenräumung begonnen, es dauert aber noch Jahrzehnte, bis das Land wirklich minenfrei ist. Im Anlong Veng Distrikt arbeitet die Welthungerhilfe eng mit der internationalen Minenräumungsorganisation „Halo Trust“ und der lokalen Organisation „Khmer Buddhist Association“ zusammen, um das Land von Minen zu säubern und die Ernährungslage sowie den politischen und sozioökonomischen Status der Bewohner zu verbessern.

Das Land von Minen säubern: Hoffnung wiederfinden

Im Dorf Trapeang Tavs beispielsweise konnte die Lebenssituation schon beeindruckend verbessert werden. Im Jahr 2001 lebten dort gerade einmal zwölf Familien. Der sie umgebende explosive Boden war viel zu gefährlich um Reis oder Gemüse anzubauen, viel zu viele Menschen kosteten Landminen in der Gegend schon das Leben. Deshalb verließen viele ihre Heimat, um ein besseres Leben in Thailand oder anderen Gegenden Kambodschas zu beginnen. Mittlerweile konnten schon 45 Hektar Land von Minen gesäubert werden, welches den Bewohnern jetzt wieder zur Verfügung steht. Mit der zusätzlichen Einführung von ertragreicheren Anbaumethoden und Gemüsegärten konnte die Ernährungslage im Dorf enorm verbessert werden. Außerdem kümmert sich unsere Partnerorganisation „Khmer Buddhist Association“ darum, dass die Dorfbewohner neue Einkommensmöglichkeiten durch Kleingewerbeförderung, Ausbildungskurse und Kleinviehhaltung erhalten. Aufgrund dieser Erfolge wohnen in Trapeang Tavs nun wieder 800 Familien.

Spätfolgen des Krieges prägen das tägliche Leben vieler Kambodschaner

Ich lasse meinen Blick über das Treiben der Stadt Phnom Penh gleiten. An der Straße spielen zwei Männer Federball, aus Seitengassen dringt Kinderlachen, eine alte Frau verkauft bunte Früchte an der Ecke. Auf den ersten Blick erinnert kaum mehr etwas an die grausamen letzten Jahrzehnte, die Kambodscha durchstehen musste. Auf den zweiten Blick aber prägen Spätfolgen des Krieges das tägliche Leben vieler Menschen. So zieht sich das rote Band des Terrorregimes bis heute durch die Politik: Der jetzige Ministerpräsident Hun Sen höchstpersönlich diente als Kommandeur der Roten Khmer. Unser Fahrer hupt, als sich zwischen den lärmenden Autos, Motos und Tuk Tuks ein alter einbeiniger Bettler auf Krücken seinen Weg über die Straße bahnt…

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