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21.08.2015 | Blog

Was ich über die Auswirkungen von Erdbeben gelernt habe

Von wegen Neuigkeiten - In Nepal gehören Erdbeben zum Alltag. Doch das Erdbeben im April 2015 schrieb Geschichte. Eine Welthungerhilfe-Mitarbeiterin über die Auswirkungen.

Luftaufnahme: Die Region von Ramechhap in Nepal
Die Region von Ramechhap in Nepal. Immer wieder kommen hier Erdbeben vor. © Welthungerhilfe
Sonja Eberle Team Engagement (bis 2016)

Big News: Heute am 5. August gab es in Nepal ein Erdbeben. Von wegen Neuigkeiten – Erdbeben gehören hier zum Alltag, da kräht außerhalb von Nepal kein Hahn mehr nach. Tausende (ja, richtig gelesen: Tausende!!) Nachbeben hat es in der Region seit April gegeben, manche so schwer, dass sie eigentlich als eigenständige Erdbeben gelten.

Allein im Juli bebte viermal die Erde in Nepal – mit Werten bis zu 4,5 auf der Richterskala.

Die Zahlen können nicht ausdrücken, was das für ein psychischer Terror ist. Seit vier Monaten geht es immer wieder von vorne los. Und jedes Mal wieder die Ungewissheit, die Angst: Wie schlimm ist es diesmal? Wird die Decke über mir einstürzen? Schaffe ich es rechtzeitig raus? Sind meine Familie, meine Nachbarn, meine Freunde in Sicherheit?

Wer von euch schon einmal selbst ein Erdbeben erlebt hat, weiß, wovon ich spreche. Der Lärm, die Erschütterungen – es fühlt sich an, als würde dich ein schwerer Transporter mit 100 km/h auf dem Fahrradweg überholen.

Im Büro springen meine nepalesischen Kollegen intuitiv sofort auf, sobald sich die Erde rührt – egal was sie gerade machen. Dann ein Moment der Starre, in dem sie fieberhaft überlegen, ob sie raus auf den Parkplatz rennen oder weiterarbeiten sollen. Nichts zeigt mir deutlicher das Ausmaß der Angst, die immer wieder neu ausgelöst wird, bei jeder Bewegung der Erde.

Aber auch wenn die Erde ruhig bleibt, begleitet die Sorge vor neuen Erdbeben und Erdrutschen die Menschen.

Das zeigt mir ein Einkauf mit Rajendra Rajbhandari, unserem Logistiker in Kathmandu. Wir wollten meine Ausstattung für die Reise nach Ramechhap besorgen. Rajendra ist ein äußerst umsichtiger Mensch, er hat meine Fahrt sehr sorgfältig geplant. Vor der langen Fahrt zur Schule – sieben Stunden soll es regulär dauern – ist Rajendra mit dem Fahrer die GPS-Koordinaten der Sarada-Schule durchgegangen und hat genau den Wagen und den Erste-Hilfe-Rucksack geprüft. Nicht etwa, indem er mal kurz reinschaut, ob alles da ist. Nein,  akribisch hat er mit der Büroassistentin Lattika den Inhalt des Rucksacks mit einer Computerliste abgeglichen. Und wir reden hier von einem wirklich großen Rucksack.

Damit waren wir aber noch nicht fertig mit der Reisevorbereitung. Nach dem erfolgreichen Check mussten Nahrungsmittel und Medikamente besorgt werden. Ich verstand nicht: Für sieben Stunden Fahrt braucht man doch keinen ganzen Picknickkorb. Ich habe versucht, Rajendra davon abzubringen und ihm gesagt: „Please believe me, it is not necessary to include hard candy in this back pack for my trip“. Aber vergebens. Anhand einer Liste kauften wir systematisch meine Verpflegung ein: Biscuits, hard candys, candy bars, Nüsse, granola und vieles andere. Dazu kamen noch Eukalyptusöl, Mundschutz, Anti-Allergikum, ein Klappmesser, Durchfallmittel, Paracetamol und Elektrolyte – die Liste schien endlos.

Das ganze erschien mir etwas übertrieben. Immer wieder versuchte ich, ihn von dem Großeinkauf abzubringen. Schließlich erklärte er mir, dass auf den Straßen immer noch die Gefahr von Erdrutschen bestehe. Und Erdrutsche können Straßen manchmal stundenlang versperren.

Seine Vorsicht machte Sinn. Seit dem Erdbeben gehen Nepalesen auf Nummer sicher.

Meine 7-stündige Fahrt nach Ramechhap zu „unserer“ Schule werde ich also komplett ausgestattet antreten: Solar-Taschenlampen, Medikamente, Radio, Schlafsack und Zelt zählen genauso zu meiner Ausstattung wie Wasser und Verpflegung für drei ganze Tage. Auch ein Atemschutz findet sich in meinem Erste-Hilfe-Kasten – neben dem Snickers.

Auf den ersten Blick war es ein anstrengender Nachmittag in einem großen Supermarkt, in dem meine Geduld das ein oder andere Mal auf die Probe gestellt wurde. Auf den zweiten Blick weiß ich jedoch nun, wie tief die Narben sind, die die Erdbeben bei Rajendra und vielen anderen Nepalesen hinterlassen haben. Ich konnte spüren, wie tief die Angst der Menschen sitzt und wie ihnen das Gefühl von Sicherheit und Kontrolle geraubt wurde. Rajendras Versuch für mich die größtmögliche Sicherheit zu garantieren, rührt mich zutiefst.

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