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10.05.2015 | Blog

Nepal: Die Welt schaut langsam weg – die Angst bleibt

25. April: Die wackelnden Wände rissen mich kurz nach Mitternacht aus dem Tiefschlaf. Was war das? Ein Erdbeben oder ein Flugzeug? Vielleicht auch ein vorbeifahrender Lastwagen? Müde ziehe ich die Decke über meinen Kopf, doch einige Stunden später gibt es erneut ein Geräusch. Die zwei Anderen, die das Zimmer mit mir teilen, sind auch wach. “Ja, das war ein Erdbeben,” meinen sie.

Ein Welthungerhilfemitarbeiter verteilt Linsen an bedürftige Nepalesen
Nothilfekoordinator Rüdiger Ehrler verteilt Linsen und andere Lebensmittel an bedürftige Nepalesen. © Welthungerhilfe
Stefanie Glinski Journalistin

Auch zwei Wochen nach Nepals verheerender Katastrophe haben wir immer noch Angst. Das Interesse der Medien verliert sich langsam, das merke ich vor allem als Journalistin, aber hier ist die Situation weiterhin angespannt. Die Nachbeben schütteln die Erde täglich und jedes Mal weckt es Erinnerungen an den 25. April, an dem ich in Bhaktapurs Altstadt stand und um mich herum alle Gebäude und Tempel einstürzten. So viele Menschen mussten hier sterben.

Die Risse in meinem Haus sind zu groß, also schlafe ich bei Bekannten. Den meisten Mitarbeitenden bei der Welthungerhilfe Nepal geht es ähnlich und die, die beim Erdbeben dabei waren, machen sich weiter Sorgen. Trotzdem sind alle bereit zu helfen, denn es gibt viel zu tun.

„Vielleicht können wir in drei Monaten wieder drinnen schlafen“

In den letzten Tagen war ich bei einer großen Verteilung der Welthungerhilfe im Distrikt Sindhupalchok nördlich von Kathmandu dabei. 1.920 Zeltplanen werden in diesem Gebiet verteilt, das bedeutet, dass 1.920 Familien eine Unterkunft haben, vor allem jetzt, wo der Monsun vor der Tür steht. In Kathmandu schlafen viele Familien zwar wieder in ihren Häusern, aber auf Dörfern – wo die Planen auch verteilt wurden – sieht es anders aus. Es gibt weniger Zugang zu Nachrichten und alle haben riesige Angst. “Vielleicht können wir in drei Monaten wieder drinnen schlafen,” erzählt Sonam Lama, der aus einem abgelegenen Dorf in Kavre stammt. Ist das übertrieben? Was würden die Leute in Deutschland wohl nach so einer Katastrophe machen?

Auf Holperwegen in die Dörfer

Die Welthungerhilfe hat nicht nur Zelte verteilt, sondern auch Nahrungsmittel. Für mich war das die erste große Verteilung, bisher hatte ich nur kleinere, persönliche Austeilungen gemacht. Mit unserem Auto holperten wir also nach Dhading, wo über 100 Haushalte mit Reis, Linsen, Öl und Salz versorgt wurden. Die Straßen sind eigentlich eher Landwege: Teer gibt es nicht, sondern nur Sand, große Steine und Staub. Dhadings Bewohner*innen haben fast alles verloren und brauchen Hilfe.

In Kathmandu sieht es besser aus, denn es gibt Lebensmittel. Unterstützung ist in unmittelbarer Nähe. Trotzdem ist das Bild der Stadt verändert. Vor dem Erdbeben stand ich oft auf meiner Dachterrasse, die einen Blick über die Stadt und sogar bis zu den Bergen bietet. Der weiße, 62 Meter hohe Bhimsen Turm, der wie ein arabisches Minarett aussah, ragte majestätisch über die Häuser. Während des Erdbebens fiel er um und riss fast 200 Menschen in den Tod. Einige Tage später besuchte ich die Baustelle, an der Soldaten mit Aufräumarbeiten beschäftigt waren. Tausende von Fliegen kreisten zwischen den Trümmern und ein unbeschreiblicher Gestank stieg aus den Ruinen auf. Ob hier noch weitere Opfer begraben liegen?

Denkst du heute an Nepal?

Allgemein ist ganz Nepal müde, denn die Angst strengt an. Meine Arbeit kreist zwischen der Welthungerhilfe und den Berichten, die ich für Zeitungen in den USA, UK und Deutschland schreibe. Jeder möchte neue Informationen, doch in den letzten Tagen hat es nachgelassen. Prinzessin Charlotte ist geboren, der Euro kriselt weiter. Da haben Nachrichten aus Nepal wenig Platz. Über welches Thema wurde heute auf Deutschlands Titelseiten berichtet? In Nepal bleibt das Erdbeben auch nächstes Jahr noch auf Seite eins.

Jeder der anpackt weiß, dass er am richtigen Ort ist.

Als Journalistin weiß ich nun, dass man immer dann erfolgreich ist, wenn man zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. In der Entwicklungshilfe habe ich gelernt, dass die Planung von Rettungsaktionen mit viel Papierkram und Organisation verbunden ist. Das ist manchmal frustrierend, aber eben auch notwendig. Es braucht Zeit, Hilfsgüter einfliegen zu lassen und diese dann von der nepalesischen Regierung verzollen zu lassen. Jede Art von Mitarbeit in einer Krise ist jedoch hilfreich, egal ob diese von internationalen Organisationen wie der Welthungerhilfe kommt, die ganzen Distrikten helfen können, oder von einzelnen Personen, die in ihrer Freizeit einspringen. Jeder der anpackt weiß, dass er am richtigen Ort ist.

Das Erdbeben hat alle verändert. Von außen scheinen wir normal weiterzumachen, doch wie in vielen Häusern, gibt es auch in vielen Menschen Risse, die eine Weile brachen werden, bis sie wieder verheilt sind.

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