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07.04.2015 | Gastbeitrag

Winterkleidung für syrische Flüchtlinge

Flüchtlinge leben in der Regel in Camps. Das jedenfalls sind die gelernten Bilder. Anders in der Türkei: Hier lebt der Großteil der aus Syrien vor dem Bürgerkrieg geflohenen Menschen auf privaten Grundstücken, in Hinterhofverschlägen oder Kellerzimmern.

Syrische Flüchtlingskinder: Zwei im Vordergrund, zwei andere schauen sich etwas auf einem Papier an.
Mittlerweile gewöhnen sich auch die Kleinsten an den neuen Alltag. © Ralph Dickerhof/Welthungerhilfe
Ralph Dickerhof Journalist

Das ist auch für Hilfsorganisationen eine besondere Situation. Die Verteilung von Hilfsgütern an zentralen Orten scheidet damit oft aus. Wie die Hilfe dennoch gut und effizient ankommen kann, zeigt die Arbeit der Welthungerhilfe. Als Journalist begleitete ich das Welthungerhilfe-Team bei ihrer Arbeit – Eindrücke aus der Stadt Gaziantep:

Natürlich gibt es auch Flüchtlings-Camps in der Türkei. Die haben einen guten Ruf, was Ausstattung und Management angeht. Nur – sie sind längst voll. Der Krieg südlich der Grenze dauert ja schon über vier Jahre. Und die Zahl der syrischen Flüchtlinge geht in die Millionen. Der größere Teil also sucht Zuflucht in den Städten – oft in Unterkünften, die überteuert und in miserablem Zustand sind. Vor allem diese Menschen unterstützt die Welthungerhilfe mit einem großen Programm zur Winterhilfe. In Gaziantep, der sechstgrößten Stadt in der Türkei, kann sie das auch dank der Unterstützung der bayrischen Staatskanzlei realisieren.

In den Hinterhöfen Gazianteps: Hier soll eine Familie wohnen?

Ein Hinterhofverschlag, es mufft modrig. Welthungerhilfe-Mitarbeiterin Andrea Quaden klopft erneut. Die Tür öffnet sich, ängstlich schaut eine Frau durch den Spalt. Auf Türkisch klappt die Kommunikation nicht, also übersetzt Andreas türkischer Kollege ins Arabische. Die syrische Mutter ist beruhigt, sie ist auf den Besuch vorbreitet und hält uns sechs Karten entgegen. Für jedes Familienmitglied eine. Diese weisen sich selbst, ihren Mann und ihre vier Kinder als Flüchtlinge aus. Alles stimmt mit Andreas Empfängerliste überein. Zwei Helfer laufen los, um die Hilfsgüter zu holen.

Alltag einer ungewöhnlichen Verteilung hier im südostanatolischen Gaziantep. Andrea Quaden arbeitet mit lokalen Kollegen und Mitarbeitern der türkischen Organisation ASAM zusammen, dem Partner der Welthungerhilfe. „Sie kennen die Flüchtlinge in der Stadt, sind bestens vernetzt und wissen, wer wo wohnt. Das ist eine sehr große Hilfe für unsere Arbeit hier“, freut sich die junge deutsche Nothelferin. Außerdem könne sie zwar gut Türkisch sprechen, aber kein Arabisch – auch deshalb sei die Unterstützung von Ahmet, dem jungen syrischen Flüchtling aus Aleppo, sehr hilfreich.

Die Angst geht um bei syrischen Flüchtlingen

Die syrische Mutter möchte weder ihren Namen noch ihr Foto veröffentlicht wissen – die Angst geht um. Dass diejenigen sie hier aufspüren, vor denen sie geflohen sind. Ihre Familie sei aus Aleppo, soviel erzählt sie noch. Sie trauten sich kaum vor die Tür, hätten die Flucht geradeso geschafft und nun Mühe, die horrende Miete für das Zimmer im privaten Hinterhof einer Familie aufzubringen.

So geht es hier vielen. Und eines der bedrohlichsten Probleme für die schätzungsweise 300.000 Flüchtlingen in Gaziantep: der Winter. Im nächsten Hof tritt ein junges Mädchen von einem Fuß auf den anderen, in Flip-Flops, bei empfindlich kalten Temperaturen. Auch hier wird das Team der Welthungerhilfe bereits ungeduldig erwartet, hält man die Karten und Ausweise bereit – und freut sich auf einen gut 20 Kilogramm schweren Sack voller Winterkleidung sowie vier neue Matratzen.

Tür-zu-Tür Verteilung von Hilfspaketen

In dem Winterpaket sind Thermounterwäsche, Pullover, Schals, Socken und Mützen für eine Familie zusammengestellt. „Es geht nur so“, sagt Ton van Zutphen, Landesdirektor der Welthungerhilfe, „kaum einer der Flüchtlinge ist motorisiert und könnte die Hilfsgüter mal eben so 10 bis 15 Kilometer von einer zentralen Stelle aus nach Hause tragen. Deshalb machen wir diese auch für uns ungewöhnlichen Tür-zu-Tür-Verteilungen.“

Zwei Millionen syrische Flüchtlinge leben in der Türkei

Bis zu zwei Millionen Kriegsflüchtlinge aus dem südlichen Nachbarland sollen alleine in der Türkei Zuflucht suchen, doch diese ungeheure Zahl ist schwer zu greifen: die Syrer sind über mehrere Hundert Kilometer von Ost nach West an der Grenze verteilt, oder sie wohnen in Istanbul, Ankara oder Izmir. Viele leben privat bei Familien oder in einfachen Mietunterkünften. Denn die Lager sind längst voll, der Bürgerkrieg geht schließlich ins fünfte Jahr. Eine Riesenbelastung für die türkischen Bewohner, trotz aller Hilfsbereitschaft. „Das alles übt großen Druck aus, auf Mieten, Löhne, steigende Kinderarbeit“, sagt Andrea Quaden.

Die syrischen Männer suchen Arbeit, meist auf dem Schwarzmarkt. In der Region wird etwa viel gebaut, da braucht es günstige Tagelöhner. Das große Angebot drückt natürlich auch auf die Löhne, eine Tatsache, die die türkische Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt zunehmend wütend werden lässt. Schlimmer noch, und zwar für die Gastgeber wie für die Gäste selbst, ist die fehlende Perspektive. Wie lange wird der Krieg noch dauern, wann könnte man wieder zurück in seine Heimat? Und – wie würde es dort dann aussehen, würde das eigene Haus überhaupt noch stehen? Wären die Felder vermint?

Eine Zukunftsperspektive für die Flüchtlinge fehlt

Ausharren. Nicht zu viel Aufsehen in den türkischen Gemeinden erregen – die Stimmung könnte rasch kippen. Dementsprechend arbeiten Andrea Quaden und ihr Team auch hochkonzentriert, nach der Devise: So schnell wie möglich weiter fahren. Zwei kleine LKWs sind mit den Hilfsgütern beladen. Natürlich geht da nicht so viel drauf, aber sie haben einen entscheidenden Vorteil: „Mit diesen kleinen Modellen kommen wir gut durch die engen Gassen der Viertel. Wir halten zum Beispiel an einem kleinen Platz wie diesem hier, und laufen dann alle Familien im Umkreis von wenigen hundert Metern ab“, erklärt Quaden, „sobald wir durch sind, geht es weiter.“

Je weiter der Nachmittag voran schreitet, desto mehr Unruhe kommt auf. Um halb fünf Uhr ist es schon fast dunkel, die neblige Luft wird noch kälter – und schnell kommt eine kleine Menschenmenge um die LKWs zusammen. Wer man sei, was man verteile, warum die Syrer „wieder einmal“ etwas bekämen, man selbst habe doch auch Probleme. Geduldig werden alle Fragen beantwortet. Doch das Team ist froh, wenn es weiterziehen kann. Ein paar Straßen weiter ist die Stimmung bereits wieder entspannter. Andrea beschließt, die Liste für heute noch komplett abzuarbeiten, um das Tagespensum zu schaffen. Morgen früh geht es dann erneut los, mit gefüllten Pritschen, in einen anderen Stadtteil. Dank der Kooperation mit ASAM wird die Hilfe auch dort sicher die Richtigen erreichen.

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