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  • Entwicklungspolitik & Agenda 2030
  • 12/2019
  • Olayinka Idowu Kareem

Jenseits von Hühnerteilen: Was Afrikas Agrarprodukte im Wettbewerb hemmt

Handel mit Europa ist von unermesslicher Bedeutung. Wie kann die EU dem Nachbarkontinent die Märkte weiter öffnen. Ein afrikanischer Blickwinkel

Hühner zum Verkauf auf einem Markt in Kampala. Die Schwemme von europäischem Geflügelfleisch macht afrikanischen Bauern das Leben schwer. Von den EU-Exporten in Drittländer gehen inzwischen 40 Prozent nach Afrika. © Random Institute on unsplash

Wie in jedem Land ist die Handelspolitik der Europäischen Union (EU) ein Spiegel ihrer wirtschaftlichen, politischen und soziokulturellen Philosophie. Zunehmend nutzt sie das Instrument als Soft Power, für außenpolitische Ziele in aller Welt, die keinen direkten Handelsbezug haben. Das gilt auch für Afrika.

So stellen im Handel mit dem Nachbarkontinent verarbeitete Produkte mit einem Wettbewerbsvorteil den Löwenanteil der EU-Exporte. Aber auch Lebensmittel dringen zu niedrigen, durch heimische Direktzahlungen verbilligte Preise tiefer in den afrikanischen Markt vor und verdrängen afrikanische Erzeugnisse. So sank der Anteil verarbeiteter Produkte von 76 Prozent im Jahr 2008 auf 70 Prozent 2018, während Primärgüter – also aus Landwirtschaft, Rohstoff- und Energiesektor – im gleichen Zeitraum von 22 auf 29 Prozent zulegten.

Traditionell ist die EU der größte Handelspartner Afrikas. An einem Höhepunkt verkaufte Afrika 2008 Waren im Wert von 232 Milliarden Dollar nach Europa (etwa 49 Prozent der Gesamtexporte), das Volumen lag 2018 mit 151 Milliarden Euro aber weitaus niedriger (UNCTAD, 2018). Zurückzuführen ist dies teils auf die Zugangsbedingungen zum europäschen Markt und teils auf niedrige Rohölpreise. Der Anteil verarbeiteter Güter stieg auf 31 Prozent.

Europas Exporte: Folgen für Einkommen und Beschäftigung

Dank der EU haben afrikanische Verbraucher zwar Zugang zu größerer Vielfalt und preisgünstigen Waren. Andererseits ist belegt, dass die Ausfuhren nachteilige Folgen für Produzenten und Haushaltseinkommen haben (Kareem, 2014). So schaden zum Beispiel Milchexporte lokalen Erzeugern und Haushalten, die mit Milchwirtschaft ihren Lebensunterhalt bestreiten. Die EU-Exporte von Magermilchpulver – gestützt durch hohe Direktzahlungen und Tiefstpreise – verdreifachten sich in zehn Jahren auf 36.000 Tonnen in 2016.

Dies hatte verheerende Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit afrikanischer Erzeuger, verschärfte soziale Probleme, etwa durch den Verlust von Arbeitsplätzen im Milchsektor und in der Viehzucht, und verwandelte nicht wenige Viehhirten in terroristische Dschihadisten.

Ein weiteres Beispiel sind Konservenprodukte wie Tomaten. Trotz der hohen Eigenproduktion in Afrika gehen große Mengen beschädigter Tomaten nach der Ernte verloren. Das öffnete die Schleusen für einen Zustrom von Tomatenmark, insbesondere aus Europa. So werden jährlich rund 10.000 Tonnen billiges Tomatenmark aus der EU nach Ghana exportiert (Bradshaw, 2019). Das hat ghanaische Tomatenbauern getroffen, deren Ernte teilweise auf den Farmen verrottet. Arbeitsplätze gingen verloren. Europäische Konserven verdrängen südafrikanische Tomatenprodukte am Kap und in Exportmärkten wie Japan und den USA und vernichten tausende saisonale und ständige Arbeitsplätze.

Afrikas Handelsbilanz mit Europa bei Lebensmitteln, in Millionen Euro, UNCTAD Statistics (Assessed 9th December 2019) © Kareem

Schwemme von Geflügelprodukten

Afrikas Anteil an EU-Ausfuhren von Geflügelprodukten ist zugleich gestiegen. Machte der Kontinent 2014 noch 32 Prozent aller dieser EU-Ausfuhren in Drittländer aus, so waren es 2019 rund 40 Prozent. Die Intensität dieser Geflügelexporte Afrika zu Dumpingpreisen hat den lokalen Markt verzerrt – zum Nachteil örtlicher Erzeuger und Farmarbeiter.

In Mitleidenschaft gerät dadurch der Sektor für Mais und anderes Futtergetreide, der beispielsweise in Südafrika 5.000 Arbeitsplätze verlor (Nyambura, 2017). Im Senegal schlossen 70 Prozent der Masthühnerbetriebe, in Kamerun verschwanden 120.000 Arbeitsplätze, in Ghana bauten Geflügelverarbeitungsanlagen ein Viertel ihrer Kapazität ab, während die Auslastung der Futtermittelwerke 2016 auf 45 Prozent zurückging (Ward, 2017). Demnach stellte Ghanas Präsident John Mahama bei der UN-Generalversammlung 2016 den Zusammenhang her, dass Erzeuger wegen der Verdrängungseffekte ihre Geschäfte verkauften und sich auf den gefährlichen Weg der Wirtschaftsmigration nach Europa begäben.

Hürden für Afrikas Exporte in die EU

Umgekehrt müssen Exporte des Kontinents unterschiedliche Handelshürden nehmen, die Afrikas Chancen, vom Handel mit Europa zu profitieren, beeinträchtigen. Nachfolgend sind einige relevante Marktzugangsbedingungen für die EU aufgeführt, die für landwirtschaftliche Produkte weiter spürbar sind:

So werden auf bestimmte Agrarerzeugnisse noch hohe Zölle erhoben: Die EU belegt Reis, Mais und anderes Getreide mit 25 Prozent Zöllen, verarbeiteten Zucker mit 300 Prozent Megazoll (2018), oder Einfuhren von Sorghum und Maissaaten mit spezifischen Gewichtszöllen (2014, 5,32 Euro/Tonne) (WTO, 2019; Wilkinson, 2018). Ein Entry-Preisverfahren benachteiligt Exporte bestimmter Sorten von Obst und Gemüse. Afrikanische Exporte büßen ihren Wettbewerbsvorteil ein, sofern der Einfuhrpreis den sogenannten Entry-Preis unterschreitet, weil dann ein Ausgleichsmechanismus greift.

In den vergangen Jahren machte die EU verstärkt von Maßnahmen zur Lebensmittelsicherheit, Tier- oder Pflanzengesundheit (SPS) Gebrauch, die auch Agrarimporte aus Afrika treffen. Sie sollen das Einschleppen von schädlichen Pilzen oder Viren zum Schutz von Leben und Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen verhindern. Sie können aber auch Zwecken des Protektionismus oder der Handelsförderung dienen (Nicita und Gordon/2013). Häufig wird zudem das “Vorsorgeprinzip" unter dem SPS-Abkommen der WTO eingesetzt, um etwa die Obergrenze für Rückstände von Pestiziden (Rückstandshöchstgehalte / MRL) ans untere Limit zu senken, bevor Risikobedenken ausreichend wissenschaftlich belegt sind.

Kokosnüsse
Importe von Agrarprodukten werden auf Pestizidrückstände geprüft. Die EU hat dafür sowohl in der maximalen Toleranz wie auch in der Zahl der Produkte höhere Standards als die FAO. © European Union / Jennifer Jacquemart

EU-Staaten können auch Güter bestimmter Exporteure unabhängig von der aktuellen Qualität der Ware blockieren, wenn dieser Exporteur in der Vergangenheit wegen unzureichender Standards abgewiesen wurde. Eines der wichtigsten Instrumente aber, das das Exportwachstum untergräbt, ist ein generelles Importverbot, wie es beispielsweise zum Schutz vor Ansteckungsgefahren des Pilzes CBS (Citrus Black Spot) 2013 gegen Zitrusfrüchte aus Südafrika verhängt wurde, während nur einzelne Plantagen oder Sendungen befallen waren.

Afrika braucht nicht untätig bleiben

Die EU hat wiederholt beteuert, dass sie im Sinne der Partnerschaft mit Afrika und der Armutsbekämpfung nicht zum Kollaps von sensiblen Sektoren wie der Landwirtschaft beitragen will. So wie der EU-Außenhandel sich stellenweise darstellt, können afrikanische Entscheidungsträger aber auch in der Pflicht stehen, im Rahmen der WTO-Regeln mit ausreichender empirischer und theoretischer Begründung selbst handelspolitische Schutzmechanismen zu zünden – was in der Vergangenheit sogar ein EU-Agrarkommissar empfohlen hat.

Optionen stehen zur Verfügung: So können aus Gründen der "nationalen Sicherheit" für strategische Sektoren mengenmäßige Beschränkungen wie Quoten eingeführt werden. Da Afrika ein Nettoimporteur von Nahrungsmitteln ist, ließe sich so ein Schutz rechtfertigen, um die eigene Produktion anzukurbeln. Zum Schutz vor sensiblen Gütern, die heimische Industrien bedrohen, können Zölle erhöht werden. Selbst auf der Grundlage von "unlauteren EU-Handelspraktiken" hinsichtlich von Zahlungen, die einen “unfairen” Wettbewerbsvorteil begründen, kann Afrika selbst ein Entry-Preis-System (EPS) einführen. Und schließlich kann der Nahrungs- und Lebensmittelbereich mit Bezug auf heranwachsende “Infant industries” geschützt werden.

Zugleich muss Afrika aber stärker in den Sektor investieren, um die Logistik für Wertschöpfungsketten verbessern, um Ernteverluste zu verringern und vor allem die Lebensmittelsicherheit zu gewährleisten. In der Produktion werden mehr entwicklungsfördernde Angebote vor allem kleine und mittlere Betriebe aber auch erweiterte Versicherungsoptionen für Unternehmen gebraucht. Innenpolitische Reformen sollten darauf abzielen, dass sie Afrika ermutigen zu konsumieren, was es produziert, und zu produzieren, was es konsumiert.

Zusammenarbeit von Brüssel und Addis Abeba gefragt

Natürlich kann die EU ihre Handelspolitik innerhalb der WTO-Regeln nach ihren Interessen gestalten. Was die nachhaltige Entwicklung Afrikas gefährdet, sollte aber unterbleiben – und zwar im Sinne des Konzepts von “internationaler sozialer Verantwortung” für Entwicklungsländer und dem von einigen renommierten Wirtschaftswissenschaftler propagierten “Recht auf Handel” (Stiglitz und Charlton, 2013). Das Maß an handelspolitischen Maßnahmen der EU, die Afrika anhaltend Sorgen bereiten, sollte überprüft werden. Zu diesem Zweck sollten die EU-Kommission in Brüssel und die AU-Kommission in Addis Abeba ihre Handelsabkommen unter Berücksichtigung des Entwicklungsstadiums Afrikas neu verhandeln. Afrika sollte nicht zögern, seine Forderungen und Bedenken am Verhandlungstisch auszusprechen. 

Folgende Schritte können von europäischer Seite dazu beitragen, das Ungleichgewicht in der Wettbewerbsfähigkeit und im Marktzugang zu korrigieren:

Die Afrikanische Union sollte folgende Aufgabenliste abarbeiten:

Fazit: Ungleiche Bedingungen wegverhandeln

Die europäische Handelspolitik ist für die afrikanische Wettbewerbsfähigkeit und nachhaltige Entwicklung von unermesslicher Bedeutung. Verbraucher haben Wohlstandsgewinne aus dem Zugang zu erschwinglichen Gütern, was auch die Versorgungssicherheit und Ernährungsqualität verbessert. Allerdings hat die Wettbewerbsfähigkeit afrikanischer Güter sowohl in Afrika wie auch in den Exportmärkten gelitten. Beide Seiten sollten deshalb unter Berücksichtigung der genannten Empfehlungen bei ihren weiteren Verhandlungen auf folgende Punkte besonders eingehen:

Olayinka Idowu Kareem, Trade and Development Policy Research Network, Nigeria, 2019
Olayinka Idowu Kareem Trade and Development Policy Research Network

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