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22.11.2022 | Blog

COP27: Symptome bekämpfen reicht einfach nicht

Die 27. UN-Klimakonferenz (COP27) ist zu Ende gegangen. Michael Kühn von der Welthungerhilfe gibt eine Einschätzung zu den Ergebnissen ab.

Frauen mit ihren Eseln auf dem Weg zu einer Wasserstelle
Dürre in Somaliland: Frauen sind mit ihren Eseln auf dem Weg zu einer Wasserstelle. Die Menschen hier leiden in besonderem Maße unter den Folgen des Klimawandels. © Welthungerhilfe
Michael Kühn Team Politik und Außenbeziehungen

Es sind sich alle Beteiligten darüber einig, dass die COP27 in einem Punkt geliefert hat. Der seit 30 Jahren insbesondere von den Entwicklungsländern geforderte Ausgleichsfonds für Verluste und Schäden wurde auf dieser Konferenz beschlossen. Einige Beobachter bezeichnen dieses Ergebnis als historischen Meilenstein, was aufgrund der schleppenden und sich hinziehenden Verhandlungsleitung am Ende doch überraschend kam.

Selten zuvor haben sich geostrategische Interessen so sehr in einer Klimakonferenz widergespiegelt wie hier in Sharm-el-Sheik. Die versuchte Einflussnahme der Länder des Westens sowie Chinas um die Gunst afrikanischer Staaten legte sich zwei Wochen lang wie ein Schatten über die Konferenz. Zwei Tage vor Ende der Konferenz war ein komplettes Scheitern nicht ausgeschlossen. Für die Bearbeitung der seitenlangen und unausgewogenen Textvorschläge war einfach keine Zeit mehr. So wunderte es nicht, dass die Konferenz in die Verlängerung gehen musste.

Vorstoß der Europäischen Union

Dann kam kurz vor dem Ende der Vorschlag der EU, doch noch einen Ausgleichs- und Entschädigungsfond einzurichten, was eine neue Dynamik in die Debatte brachte. Er war an folgende Bedingungen geknüpft:

Ein Rückschritt hinter die Beschlüsse von Glasgow müsse unter allen Umständen verhindert werden. Allein die Ankündigung, der Fonds käme nur den verletzlichsten und nicht allen Entwicklungsländern zugute, hatte das Potential, die Gruppe der Entwicklungsländer (G77, zu denen nach UN-Terminologie auch China gehört) zu spalten. China hat in der Vergangenheit die armen Länder immer unterstützt, wenn es darum ging, die Länder des Nordens zu kritisieren. Gerade aber von China, als mittlerweile weltweit größtem Triebhausgasverursacher (31%), erwartete die EU, auch zu den Einzahlern zu gehören. China und die Ölstaaten des Golfs lehnen dies aber ab, auch sehen sie ihre Entwicklungsmöglichkeiten schwinden, sollten sie den Status als Entwicklungsland abgeben.

Die Auswirkungen des Klimawandels sind eine zentrale Ursache für Hunger und Armut.

Trotzdem konnte die ägyptische COP-Präsidentschaft nach mehreren durchgearbeiteten Nächten verkünden, dass die Verhandler sich auf die Einrichtung dieses Fonds geeinigt hatten. Die EU bedauerte in ihrer Erklärung auf der Abschlußsitzung der COP, dass es in den anderen entscheidenden Punkten nicht zu Fortschritten gekommen ist. Angesichts der Dringlichkeit, vor allem im Globalen Süden, muss der Fonds nun so schnell wie möglich in Betrieb genommen werden.

Reiche Länder, die für die Klimaerwärmung hauptverantwortlich sind, müssen nun neue und zusätzliche Mittel mobilisieren, um für klimabedingte Schäden in gefährdeten Ländern aufzukommen. Das wird angesichts der Tatsache, dass die Auffüllung der bereits bestehenden Klimafonds seit Jahrzehnten den Versprechen der Industriestaaten hinterherläuft, eine riesige Herausforderung. Bis zur nächsten COP in Dubai sollen die Formalitäten für den Fonds herausgearbeitet werden.

Mitigation

Klimaschutz und Schadensbegrenzung sind eng miteinander verknüpft. Ohne entscheidende Fortschritte bei der Treibhausgasreduzierung werden die Auswirkungen des Klimawandels nicht mehr bewältigbar, die Schäden und Verluste nehmen zu und kein Geld der Welt reicht dann für die Bewältigung der verheerenden Folgen des Klimawandels aus. Die EU, die eine wichtige Rolle bei der Beibehaltung der 1,5°C-Grenze gespielt hat, kündigte auf der COP ihre Bereitschaft an, ihre nationalen Reduktionsbeiträge (NDCs) von 55% auf 57% zu erhöhen, was jedoch immer noch nicht ausreicht, um den globalen Temperaturanstieg bis 2030 auf 1,5°C zu begrenzen. Alle Länder sind weiterhin aufgefordert, ihre NDCs im Einklang mit der 1,5°C-Grenze zu aktualisieren.

Das auf der COP27 verabschiedete Arbeitsprogramm zur Eindämmung des Klimawandels, das mindestens bis 2026 laufen wird, ist nichts anderes als die Aufforderung an die Regierungen, freiwillig mehr zu tun. Die Regierungen sollten es daher mit kollektivem Ehrgeiz füllen, die globalen Emissionen in diesem Jahrzehnt um mindestens 40 % zu reduzieren.

Heftig kritisiert von Entwicklungs- und Umweltverbänden wurde, dass keine Einigung zum Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen getroffen wurde. Zwar gibt es eine Vereinbarung, verstärkt in erneuerbare Energien zu investieren, doch ohne Ausstieg aus allen fossilen Brennstoffen laufen die Regierungen Gefahr, die 1,5°C-Marke zu überschreiten.

Klimafinanzierung

Die Industrieländer sind ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nachgekommen, was sie gegenüber dem Globalen Süden Glaubwürdigkeit gekostet hat. Sie sollten jährlich 100 Mrd. USD an neuen und zusätzlichen Finanzmitteln für Klimaschutz und Anpassung in den Entwicklungsländern bereitstellen. Die ausbleibende Umsetzung hat jedoch Misstrauen geschaffen und von der COP27 wurde erwartet, dass es einen klaren Plan für die Umsetzung geben und sichergestellt wird, dass die fehlenden Mittel in den kommenden Jahren bereitgestellt werden. Leider ist es den Industrieländern gelungen, diese Schlüsselelemente aus den Verhandlungstexten zu streichen. Übriggeblieben ist eine vage Aufforderung an die reichen Länder, das Finanzierungsziel zu erreichen, ohne dass eine Frist gesetzt wurde.

Der neue Weg der Klimafinanzierung

Vor dem Hintergrund der Schwierigkeiten, dass Industrieländer öffentliche Gelder in ausreichender Höhe bereitstellen, hat die Regierung Barbados einen interessanten und pragmatischen Vorschlag zu neuen Wegen der Klimafinanzierung vorgelegt, der zumindest in Frankreich und Deutschland Beachtung fand. In der Rede machte die Ministerpräsidentin Mottley auf ein Problem des internationalen Finanzsystems aufmerksam: „Diese Welt sieht noch zu sehr so aus wie zu Zeiten imperialer Großreiche. Der globale Norden verschuldet sich für ein bis vier Prozent Zinsen und der globale Süden für 14 Prozent“.

Dieser Unterschied bei den Kapitalkosten ist vor allem ein Problem bei Investitionen in erneuerbare Energien. Diese haben kaum laufende Kosten, da Sonne und Wind kostenlos zur Verfügung stehen, aber für die anfängliche Investition wollen die Geldgeber natürlich eine Rendite sehen, die je nach Land unterschiedlich hoch ist. Zusätzlich fordert sie die Abschöpfung von zehn Prozent der Gewinne von Öl- und Gaskonzernen: „Wie können Unternehmen in den letzten drei Monaten 200 Milliarden Dollar Gewinn machen und nicht erwarten, dass sie mindestens zehn Cent von jedem Dollar Gewinn in einen Fonds für Verluste und Schäden einzahlen?“, fragte Mottley in ihrer Rede auf der COP27. Der französische Präsident will zusammen mit Mottley in den nächsten Monaten Vorschläge erarbeiten, um die Klimafinanzierung durch die multilateralen Entwicklungsbanken wie die Weltbank zu reformieren.

Ernährungssicherung

Das Thema Ernährungssicherung war zum ersten Mal auf einer COP sichtbar. Vier thematische Pavillons haben sich den Problemen von Hunger und der Transformation von Ernährungssystemen angenommen. Auf einer der für alle Teilnehmer der Konferenz zugänglichen Veranstaltungen sprach Johan Rockström vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, der betonte, dass das globale Ernährungssystem unter der Last von vier miteinander verbundenen Krisen zusammengebrochen sei: Klimawandel, Russland-Ukraine-Krieg, ökologischer Stress und Pandemie.

Rockström forderte einen Ansatz für eine „landwirtschaftliche Revolution“, der „Anpassung und Abschwächung in einen belastbaren Rahmen für die landwirtschaftliche Entwicklung“ integriert. In einer seiner vorgetragenen Innensichten der Klimawissenschaft konstatierte er, dass eine nachhaltige Landnutzung entscheidend für das Erreichen der Klimaziele sei: Die Steigerung der Erträge durch nachhaltige Intensivierung der Landwirtschaft mit integriertem Landmanagement sollte die weitere Ausdehnung in natürliche Gebiete ersetzen und so Klimaschutz, Ernährungssicherheit und die Integrität der Ökosysteme gewährleisten.

Die Welthungerhilfe fordert ein Umdenken zu mehr sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Tragfähigkeit auf unserem Planeten.

Im Verhandlungskontext hat die Arbeitsgruppe, die sich mit dem Thema „Arbeit im Bereich Landwirtschaft“ beschäftigt (Koronovia) und durch Workshops und Expertentreffen die Anfälligkeit der Landwirtschaft für den Klimawandel sowie Ansätze zur Verbesserung der Ernährungssicherheit diskutiert, zwei Ziele erreicht. Sie sollte über die wichtigsten Schlussfolgerungen der bisherigen Arbeit berichten und die Grundlage für die neue Struktur schaffen, unter der sie ihre Arbeit in den kommenden Jahren fortsetzen wird.

Die Verhandlungen waren nicht einfach und ein Konsens konnte erst in der Schlussphase erzielt werden. Auch wenn die Agrarökologie als geeigneter Rahmen für die Transformation von Agrarökosystemen – eine der Hauptforderungen vieler zivilgesellschaftlicher Akteure – darin noch nicht erwähnt wird, könnte die gemeinsame Arbeit in Sharm-El-Sheikh zur Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen im Bereich Landwirtschaft und Ernährungssicherheit den Weg für dieses und andere Themen bereiten.

Menschenrechte und Zivilgesellschaft

Was die internationale Klimakonferenz in diesem Jahr leisten muss: Policy Brief der Welthungerhilfe

Die Zivilgesellschaft, insbesondere aus dem Globalen Süden, hat sich besorgt über die zunehmenden Schwierigkeiten bei der Teilnahme von Nichtregierungsorganisationen an den UN-Klimaverhandlungen innerhalb und außerhalb des Gipfeltreffens geäußert und kritisiert, wie ihre Beobachterrolle behindert wird. Während der zwei Wochen habe die Beteiligten mehrfach ihre Stimmen erhoben, um zum Ausdruck zu bringen, dass es keine Klimagerechtigkeit ohne Menschenrechte gibt. Auch die logistischen Herausforderungen während der Konferenz sollten nicht übersehen werden: Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Wasser, Lebensmitteln, erschwinglichen Unterkünften, Tagungsräumen, Sitzgelegenheiten und Steckdosen sind für alle, auch für die Parteien und Beobachter, von entscheidender Bedeutung, damit die Zivilgesellschaft ihre Arbeit machen kann.

Fazit

Die COP27 ist aufgrund einer „last minute“-Initiative der EU und ihrer Mitgliedstaaten etwas Historisches gelungen. Wenn die Einrichtung des Fonds für Verluste und Schäden tatsächlich gelingt und mit Geld gefüllt wird, sind die verwundbarsten Länder als Gewinner dieser COP nach Hause gefahren. Allerdings hat die COP bei der Bearbeitung der den Klimawandel verursachenden Faktoren versagt: Der Ausstieg aus den fossilen Energien ist nicht zur Genüge angesprochen und geregelt, die Reduzierung der Treibhausgase basiert auf Freiwilligkeit und ist mehr eine Aufforderung als ein Beschluss mit festem Ziel. So wird es schwierig, überhaupt das 1,5 Grad Limit zu erreichen. Zwar gab es neben der COP27 Ankündigungen wie den Globalen Schutzschirm, eine Initiative Deutschlands, sowie zusätzliche Gelder für Anpassungstöpfe. Aber die Bekämpfung der Symptome reicht nicht und wird außerdem extrem teuer, wenn nicht gleichzeitig deutliche Schritte bei der Bekämpfung der Ursachen des Klimawandels erfolgen. Und das ist und bleibt nun mal die Reduzierung von Treibhausgasen.

Wir müssen uns also darauf einstellen, dass es heute und in absehbarer Zukunft zunehmend Extremwetterereignisse geben wird, die weiterhin Überschwemmungen, Dürren und andere Klimafolgen zur Folge haben, die zur Zerstörung von Natur und Lebensgrundlagen, Vertreibung und damit Hunger führen. Wir können jetzt schon sicher sein, dass die Hungerzahlen nächstes Jahr höher sein werden als in diesem Jahr. Für humanitäre Hilfe wird jedes Jahr mehr Geld benötigt, das nicht zur Verfügung steht. Das ist nicht nur für die Menschen im Süden alles andere als ein rosiger Ausblick.    

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