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21.09.2022 | Blog

Der Ukraine-Krieg erreicht Somalilands Kamelhirten

Der Krieg in der Ukraine hat weltweit Auswirkungen auf die Ernährungssituation – so auch in Somaliland. Aus der Hauptstadt Hargeisa berichtet Welthungerhilfe-Mitarbeiter Thomas Hoerz, wie die globalen Entwicklungen im Land zu dramatischen Entscheidungen führen.

Kamelhirten in Odweyne, Somaliland. Wegen einer anhaltenden Dürre ist die Ernährunssituation in der Region ohnehin schon sehr angespannt. Die steigenden Lebensmittelpreise aufgrund des Ukraine-Kriegs verschlimmert sie noch. © Klaus Petrus
Thomas Hoerz Programmleiter Somaliland

Die Nachricht erreichte uns völlig unvorbereitet: Statt 6.000 Familien würde unser Team mit sofortiger Wirkung nur noch 774 Familien mit Nahrungsmitteln versorgen können. Es ist unser derzeit größtes Projekt: Wir verteilen Nahrungsmittel, die die Vereinten Nationen bereitstellen, an Nomadenfamilien. Als Begründung erfuhren wir, dass Getreide, Hülsenfrüchte und Speiseöl infolge des Ukraine-Kriegs auf dem Weltmarkt nicht mehr in ausreichender Menge verfügbar seien, um alle geplanten oder bereits begonnenen Projekte in vollem Umfang durchzuführen.

Thomas Hoerz in Petit Guave

Was für eine grausame Vorstellung – wie wählt man unter den Ärmsten im Dorf die Allerärmsten aus?

Thomas Hoerz Thomas Hoerz ist Programmkoordinator der Welthungerhilfe in Somaliland

Die Auswahl zu Beginn des Projektes hatte unser Team mit großer Sorgfalt gemeinsam mit den Dorfältesten und den Frauen des Dorfes getroffen. Es sind Familien, die ohnehin kaum mehr wissen, wie sie überleben sollen. Und nun wird nur noch jede*r Achte die ersehnten und bitter nötigen Nahrungsrationen erhalten? Wo sich doch schon jetzt niemand mehr die Grundnahrungsmittel im Dorfladen leisten kann?

Die Nomadenfamilien in Somaliland ernähren sich vor allem von Tierprodukten, ergänzt durch Getreide, das sie meist im Tausch erwerben. Schon infolge der Corona-Pandemie und einer anhaltenden Dürre war der Preis für Getreide rasant gestiegen. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat er sich verdoppelt. Ebenso wie der Preis für Hülsenfrüchte und Öl, die essenziellen Grundbausteine einer ausgewogenen Ernährung. Die Dürre hat nun den Wert der Tiere halbiert.

Es werden noch mehr Tiere durch die Dürre sterben

Familien stehen vor der Wahl, noch weitere Tiere unter Preis zu verkaufen, um bleiben zu können, oder in die Stadt abzuwandern, in der Hoffnung, sich dort irgendwie über Wasser zu halten. Viele werden erst das eine und dann das andere tun müssen. Denn es werden noch mehr Tiere durch die Dürre sterben, die Hirtenfamilien werden den Rest ihrer abgemagerten Tiere an Verwandte verteilen und ein neues Leben in einer der elenden Siedlungen für Binnenflüchtlinge beginnen – Flüchtlinge des Klimawandels und eines irren Kriegs.

Das World Food Programme der Vereinten Nationen macht im Großen das, was wir im Kleinen tun: eine schreckliche Wahl treffen. Hungernde Menschen aus Programmen streichen, um genug für die Verhungernden zu haben. In unserer Region heißt das konkret: Weil im kriegsgeschüttelten Somalia schon jetzt jeden Tag viele Kinder sterben, hat das Land Priorität gegenüber Somaliland, wo aufgrund der besseren Sicherheitssituation zumindest Hilfsorganisationen arbeiten können. Und doch gehen diese Einschnitte auf Kosten eines Landes, in dem die Not ungeheuer groß ist.

Zehntausende Familien erhalten einen verbesserten Zugang zu sauberem Wasser

Auch wenn wir bei der unmittelbaren Hungerbekämpfung gegenwärtig einen Rückschlag erlitten haben, können wir doch grundlegende Probleme anpacken. Für zehntausende Familien verbessern wir die Wassersituation und sichern sie gegen Dürre ab. Unsere fünf Wasserbauingenieur*innen arbeiten mit Hochdruck und unter Mithilfe der Gemeinden an dieser „Baustelle“ im Wortsinn. Unsere Weidefachleute weiten Schutzgebiete für Pflanzen aus, um langfristig und dürreresilient genug Viehfutter zu haben. Damit die Hirten in Somaliland tun können, was Deutschland und Europa versuchen: unabhängiger zu werden. Hier vom billigen importierten Getreide, dort von billiger Energie.

Die Erstveröffentlichung des Artikel war im Welthungerhilfe-Magazin, Ausgabe: 03/2022.

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