Internationale Klimapolitik in Zeiten schrumpfender Budgets
Erwartungen der Welthungerhilfe an die Klimaverhandlungen in Bonn im Juni 2025

Die 62. Sitzungen der Nebenorgane (SB62) der Klimarahmenkonvention (UNFCCC) finden vom 16. bis 26. Juni 2025 in Bonn statt. Als technisches Vorbereitungstreffen auf die COP30 in Belém (Brasilien) hat auch dieses Treffen zentrale Bedeutung für die internationale Klimapolitik. In einer Zeit wachsender globaler Krisen, schrumpfender öffentlicher Haushalte und zunehmender geopolitischer Spannungen sind ambitionierte, umsetzungsorientierte Ergebnisse wichtiger denn je.
Die Welthungerhilfe erwartet, dass SB62 ein solides Fundament zur Vorbereitung ambitionierter Beschlüsse für die COP30 legt. Sich überlagernde Krisen – darunter Extremwetterereignisse, bewaffnete Konflikte, Handelskrisen und der Rückgang multilateraler Kooperationsfähigkeit – verschärfen die globale Ernährungsunsicherheit massiv. Landwirtschaft und Ernährungssysteme müssen deshalb stärker als bisher in die internationale Klimapolitik integriert werden. Eine nachhaltige Transformation dieser Systeme ist essenziell, um Emissionen zu senken, Klimaanpassung voranzutreiben und Klimagerechtigkeit herzustellen.
Diese Aspekte müssen in die in Bonn zu diskutierenden Arbeitspakete integriert werden:
In die Weiterentwicklung der „Sharm el-Sheikh Joint Work on Implementation of Climate Action on Agriculture and Food Security", in die Baku-to-Belém Roadmap zur Klimafinanzierung, in die Klärung von Modalitäten für die Baku Adaptation Roadmap sowie bei Entscheidungen über das zukünftige Format des Just Transition Workprogramme. Bei dem 2023 ins Leben gerufenen Loss and Damage Fund geht es weiterhin um die praktische Umsetzung. Zu guter Letzt wird es in Bonn auch um die Weiterentwicklung der Struktur für die nächste globale Bestandsaufname (GST) gehen.
Im Einzelnen:
- Die „Sharm el-Sheikh Joint Work on Implementation of Climate Action on Agriculture and Food Security” ist ein Beschluss der COP27 (November 2022, Sharm el-Sheikh, Ägypten) und betont die zentrale Bedeutung der Ernährungssicherheit und die Dringlichkeit der Bekämpfung von Hunger. Gleichzeitig verweist sie auf die hohe Verwundbarkeit der Ernährungssysteme gegenüber den Folgen des Klimawandels. Sie würdigt die wichtige Rolle von Kleinbäuer*innen und Viehhalter*innen als Schlüsselakteure des Wandels. Dabei wird anerkannt, dass Lösungen standortangepasst sein müssen und sich an den jeweiligen nationalen Rahmenbedingungen orientieren.
- Die "Baku-to-Belém Roadmap to 1.3T" ist ein noch in Entwicklung befindlicher Arbeitsplan unter der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC), der darauf abzielt, die globale Klimafinanzierung bis 2035 auf insgesamt 1,3 Billionen US-Dollar pro Jahr zu steigern. Der Name bezieht sich auf den Zeitraum zwischen der COP29 in Baku (Aserbaidschan, November 2024) und der COP30 in Belém.
- Die Baku Adaptation Roadmap (BAR) ist ebenfalls eine Initiative der COP29, die als strategischer Fahrplan zur Umsetzung eines Globalen Anpassungszieles (Global Goal on Adaptation, GGA) im Rahmen des Pariser Abkommens dient.
- Das Just Transition Work Programme ist eine Initiative der UN-Klimarahmenkonvention, die auf der COP27 im Jahr 2022 gestartet wurde. Ziel ist es, den Übergang zu einer klimaneutralen Welt gerecht und inklusiv zu gestalten.
- Die weitere Umsetzung des Fonds für Verluste und Schäden ist zentral. Er wurde auf der COP28 in Dubai (2023) offiziell operationalisiert und ist seither technisch und finanziell im Aufbau. Der Fonds braucht mehr finanzielle Zusagen und unbürokratische Strukturen, um effektiv, gerecht und für verletzliche Länder zugänglich, zu arbeiten.
- Das Global Stocktake (GST) ist ein Element des Pariser Klimaabkommens und wird alle fünf Jahre durchgeführt, um kollektive Fortschritte bei der Umsetzung der Klimaziele zu bewerten. Der nächste GST ist für 2028 geplant. In Bonn müssen die Voraussetzungen für ein formelles Ergebnis auf der COP30 geschaffen werden.
Forderungen der Welthungerhilfe an die Bundesregierung und andere Verhandlungsparteien:
1. Ambitionierter Klimaschutz zur Einhaltung des 1,5°C-Ziels:
Die Eindämmung der globalen Erwärmung auf 1,5°C ist nicht verhandelbar. Studien belegen, dass bereits bei 2°C Erwärmung gravierende Ernteausfälle in Afrika, Asien und in Lateinamerika drohen. Die Bundesregierung muss sich für ehrgeizige Emissionsminderungspläne, den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen und den Ausbau erneuerbarer Energien einsetzen. Die Anwendung von Techniken zur CO2-Entnahmen aus der Luft oder unrealistische Transformationsszenarien (zu schnelle Umstellung) der Landwirtschaft müssen kritisch hinterfragt werden. Waldschutz und Bodenkohlenstoffbindung spielen eine zentrale Rolle und erfordern unter Anerkennung von Rechten, Selbstbestimmung und Wissen indigender Gemeinschaften Unterstützung.
2. Ausweitung der Klimafinanzierung:
Nötig ist eine deutliche Erhöhung und qualitative Verbesserung der Klimafinanzierung, insbesondere für Anpassung und Resilienz in ländlichen Regionen. Das Minimalziel von 300 Mrd. USD jährlich bis 2035 (wie in Baku vereinbart) darf nicht durch ODA-Kürzungen unterlaufen werden. Vulnerablen und fragilen Staaten muss der Zugang zu Klimafinanzierung gesichert werden. Priorität müssen Zuschüsse statt Kredite haben, um Schuldenkrisen zu vermeiden. Lokale Akteure und zivilgesellschaftliche Organisationen müssen direkten Zugang erhalten. Der Adaptation Fund muss dringend aufgefüllt werden.
3. Effektive Mittel für Verluste und Schäden:
Es muss sichergestellt werden, dass der Fonds für Verluste und Schäden Mittel direkt und unbürokratisch an betroffene Gemeinschaften bereitstellt – etwa für die Entschädigung zerstörter Ernten oder die Wiederherstellung von Trinkwassersicherung und existenzsichernde Maßnahmen. Nur wenn Ressourcen bei einkommensschwachen Haushalten ankommen, kann Klimagerechtigkeit für hungerbetroffene Regionen erreicht werden.
4. Nachhaltige Ernährungssysteme fördern:
Klimaresiliente und umweltverträgliche Ernährungssysteme sind ein Schlüssel für Ernährungssicherheit und Klimaschutz. Dazu gehören klimaangepasste Anbaumethoden wie Agroforstwirtschaft, Maßnahmen gegen Lebensmittelverluste und Investitionen in lokale Wertschöpfungsketten. Die Diversifizierung der Landwirtschaft erhöht die Resilienz und schützt die Biodiversität. Es müssen Ernährungssysteme gefördert werden, die nicht das Klima belasten, sondern die Umwelt schützen und Ernährungssicherheit und damit das Recht auf Nahrung gewährleisten.
5. Partizipation lokaler Gemeinschaften sichern:
Anpassungsmaßnahmen müssen in enger Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren entwickelt werden. Die Welthungerhilfe fordert, dass Kleinbäuer*innen, indigene Gruppen und lokale Organisationen aktiv an Entscheidungsprozessen beteiligt werden. Ihr Wissen und ihre Praktiken sind entscheidend für wirkungsvolle und akzeptierte Lösungen im Kampf gegen Hunger und Klimakrise.
6. Gerechter Übergang in ländlichen Regionen (Just Transition):
Der Wandel hin zu klimaresilienten und nachhaltigen Agrar- und Ernährungssystemen muss sozial gerecht gestaltet werden. Dafür sind der Ausbau sozialer Sicherungssysteme und neue Einkommensperspektiven in ländlichen Regionen unerlässlich. Menschen, deren Lebensgrundlagen durch den Strukturwandel gefährdet sind, dürfen nicht allein gelassen werden – Kleinbäuer*innen dürfen im Klimaschutzprozess zurückgelassen werden.
Die Welthungerhilfe appelliert an die Bundesregierung, sich auch bei SB62 aktiv für diese Ziele einzusetzen und glaubwürdige, sozial gerechte und wirksame Ergebnisse auf den Weg zu bringen, damit die doppelte Herausforderung von Klimakrise und Hunger wirksam bewältigt werden kann.