Der jährlich erscheinende „Kompass“ analysiert die aktuellsten Daten zu den öffentlichen Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit.
Entwicklungszusammenarbeit & Humanitäre Hilfe: Blick in den Koalitionsvertrag
Union und SPD haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Welche Vorgaben macht das Dokument für Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe?

Mit dem Titel „Verantwortung für Deutschland“ präsentierten CDU, CSU und SPD am 9. April 2025 ihren neuen Koalitionsvertrag. In Bezug auf die Entwicklungspolitik schlägt er neben der Reduzierung von Hunger und Armut einen neuen Fokus auf deutsche Interessen vor.
Angesichts der wachsenden Legitimitätsfragen, geopolitischer Umbrüche und Schwächung der regelbasierten Weltordnung sowie im Kontext schrumpfender Ressourcen für die Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe ist eine Neuaufstellung der Entwicklungspolitik dringend notwendig. Jedoch muss darauf geachtet werden, dass Deutschland seiner globalen Verantwortung als drittgrößte Wirtschaftsmacht und respektierter internationaler Partner weiterhin gerecht wird und seinen Gestaltungswillen für eine lebenswerte Zukunft durch konsequentes Handeln weltweit glaubwürdig umsetzt.
Strategische Grundausrichtung der deutschen Entwicklungspolitik
Das BMZ bleibt als eigenständiges Ministerium bestehen – eine Entscheidung, die aufgrund der Bedeutung der Entwicklungspolitik ausdrücklich zu begrüßen ist. Allerdings erfolgt dies im Kontext einer stärkeren Verzahnung von Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik mit einem klaren Fokus auf Deutschlands Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen.
Zwar bekennt sich die Koalition weiterhin zur Bekämpfung von Armut, Hunger und globaler Ungleichheit, doch angesichts der neuen Schwerpunktsetzung bei der Entwicklungszusammenarbeit – neben wirtschaftlicher Kooperation auf Rohstoffsicherung, Fluchtursachenbekämpfung und Energiepartnerschaften – bleibt es unvermindert wichtig, dass soziale und entwicklungspolitische Kernanliegen politische Priorität behalten, insbesondere im Kontext sinkender Mittel. Deutschland kann seine wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen nur erreichen, wenn auch der Schutz und die Einhaltung der Menschenrechte, das Pariser Klimaabkommen und die Erfüllung der globalen Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 gewährleistet sind.
Entwicklungs- und Klimafinanzierung
Die Absicht, die ODA-Quote (Official Development Assistance) abzusenken, steht allerdings im krassen Widerspruch zu den im Koalitionsvertrag erklärten Zielen – und Deutschlands bereits eingegangenen internationalen Verpflichtungen.
Nicht nur ist das 0,7-Prozent-Ziel ein wichtiger Teil der Agenda 2030, ohne es einzuhalten ist es auch kaum möglich, einen fairen Anteil an internationaler Klimafinanzierung zu leisten oder die humanitäre Hilfe bedarfsgerecht zu finanzieren. Insbesondere wenn man bedenkt, dass etwa ein Viertel der deutschen ODA für Ausgaben im Inland aufgewendet wird.
Prioritäten der Entwicklungszusammenarbeit
Es ist positiv zu vermerken, dass sich die Bundesregierung für ein ambitioniertes Post-Agenda-2030 Rahmenwerk einsetzen will. Ein wichtiger erster Schritt muss aber sein, die Ambitionen im Hinblick auf die noch geltenden Ziele beizubehalten und sich mit Nachdruck für die Erreichung der globalen Nachhaltigkeitsziele bis zum Ende der gesetzten Frist einzusetzen.
Als die ersten beiden Ziele der Agenda 2030 hätte der Bekämpfung von Armut und Hunger im Koalitionsvertrag eine höhere politische Priorität eingeräumt werden müssen. Leider nimmt der Koalitionsvertrag auf die notwendige Transformation der Ernährungssysteme im Globalen Süden und die Förderung ländlicher Räume keinen Bezug. Dazu zählt auch der Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitären Einrichtungen. Heraus sticht, dass das Recht auf Nahrung, anders als im letzten Koalitionsvertrag, nicht genannt wird. Ernährungssicherheit ist nicht nur ein Menschenrecht, sondern auch die Grundlage für wirtschaftlichen Aufschwung, Sicherheit und ein würdevolles Leben.
Besorgniserregend ist, dass weder die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) noch die bisherige Selbstverpflichtung Deutschlands, mindestes 0,2 % des BIP für LDCs aufzuwenden, im Koalitionsvertrag Erwähnung finden. Vor allem mit Blick auf diese Länder muss klar sein, dass die deutschen Interessen, z.B. wenn es um Zugang zu Rohstoffen geht, die entwicklungspolitischen Ziele nicht aushebeln dürfen und die Verringerung von Armut und Ungleichheit weiterhin im Vordergrund stehen.

Stärkung der Humanitären Hilfe
In Bezug auf die humanitäre Hilfe bewerten wir die Absicht, sie zu stärken und verlässlich, gezielt und vorausschauend zu leisten, als sehr positiv. Hoffnungsvoll stimmen die Verweise auf eine Stärkung des Völkerrechts sowie die Aussage, die Möglichkeit zu prüfen, den teilweisen Rückzug anderer Geber in humanitären Kernbereichen abzufedern. Viel Interpretationsspielraum lässt der Begriff „auskömmlich“ bei der Finanzierung zu. Angesichts der von der letzten Regierung angekündigten drastischen Kürzungen wäre hier ein klares Bekenntnis mindestens zur Aufrechterhaltung des bisherigen Niveaus wünschenswert gewesen.
Die Bemühungen zum Aufhalten des Klimawandels sind bisher unzureichend. Es ist an der Zeit, einen Schritt weiter zu denken.
Klimawandel: kein klares Bekenntnis
Beim Thema Klimawandel fehlt aus unserer Sicht ein klares Bekenntnis zur Unterstützung von Ländern des Globalen Südens bei der Klimawandelanpassung, was angesichts der sich schnell verschärfenden Klimakrise von zentraler Bedeutung ist. Tatsächlich wirft der starke Fokus auf Rohstoffsicherung und Energiepolitik Fragen bezüglich der Ausrichtung des deutschen Beitrags zur internationalen Klimapolitik und -Finanzierung auf.
Entwicklungszusammenarbeit und deutsche Wirtschaftsinteressen
In Hinblick auf die angestrebte stärkere Verzahnung der Entwicklungszusammenarbeit mit der Außenwirtschaftsförderung muss sichergestellt werden, dass auch die Interessen der Partnerländer gewahrt werden. Nur so kann der Anspruch, Partnerschaften auf Augenhöhe oder die Bekämpfung von globaler Ungleichheit voranzutreiben, erfüllt werden. Gerade bei dem im Koalitionsvertrag genannten Ziel, Vorhaben der finanziellen Entwicklungszusammenarbeit überwiegend von Unternehmen aus Deutschland und der EU durchführen zu lassen, steht zu befürchten, dass sich die Investitionskosten für die Partnerländer unnötig erhöhen.
Wichtig wäre vielmehr der Aufbau gerechterer Partnerschaften, die auf gegenseitiges Wachstum und Entwicklungsmöglichkeiten ausgerichtet sein. Deutschland sollte seine Außenwirtschaftsförderung im Globalen Süden außerdem so ausrichten, dass in verarmten ländlichen Regionen Arbeitsplätze entstehen und lokale Wertschöpfung geschaffen wird.
Die im Koalitionsvertrag angestrebte Einführung einer Nord-Süd Kommission zur Intensivierung der Beziehungen und dem Ausbau eines globalen Netzwerkes ist in diesem Zusammenhang zunächst einmal positiv zu bewerten, allerdings hängt viel davon ab, wie dieses Vorhaben ausgestaltet wird.
Gestaltung der internationalen Handelsbeziehungen
Bei der Gestaltung internationaler Handelsbeziehungen z.B. müssen die Menschenrechte, insbesondere das Recht auf Nahrung, in den Lieferketten gewahrt werden. Trotz der beschlossenen Abschaffung der Berichtspflichten des Lieferkettensorgfaltspflichtgesetzes gilt es für die nächste Bundesregierung daher, Instrumente wie die EU-Lieferkettenrichtlinie und die EU-Entwaldungsverordnung konstruktiv mitzugestalten.
Förderung von Akteuren der Zivilgesellschaft
Als positiv bewerten wir zudem das Bekenntnis zum Schutz und zur Förderung von zivilgesellschaftlichen Akteuren und ihrer Handlungsräume in Ländern des Globalen Südens. Auch die weitere Förderung entwicklungspolitischen Engagements in Deutschland durch Nichtregierungsorganisationen, Kirchen, Stiftungen, etc. begrüßen wir.