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04.04.2018 | Blog

Mehr Lebensmittel heißt nicht weniger Hunger

Wenn mehr angebaut wird, müssen weniger Menschen hungern? So einfach ist das leider nicht - ein Beitrag zum 2. Internationalen Agrarökologie-Symposium in Rom.

Indien Jharkand India Jharkand
Eine indische Frau isst Reis aus einem Blatt in Jharkand. © Christina Felschen
Lena Bassermann Team Policy & External Relations (bis 2019)

Vom 03. bis zum 05. April kommen in Rom auf Einladung der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (UN FAO) mehr als 700 Vertreter*innen von Regierungen, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Unternehmen und internationalen Organisationen zusammen. Auf dem 2. Internationalen Agrarökologie-Symposium beraten sie über das Potenzial agrarökologischer Systeme für das Erreichen der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs). Denn: Unser derzeitiges Ernährungssystem ist ungerecht und muss grundlegend transformiert werden. 

Produziert wird genug

Um den Hunger zu beenden, reicht es nicht aus, mehr Lebensmittel zu produzieren. Jahrzehntelang folgten viele politische Ansätze zur Hungerbekämpfung dem so genannten Wachstumsparadigma. Berechnungen, nach denen die Produktion bis im Jahr 2050 um 60 Produzent erhöht werden müsse, um eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren, unterstützten die Verbreitung dieser Logik. Doch noch immer hungern mehr als 815 Millionen Menschen, insgesamt zwei Milliarden sind mangelernährt. Heute wissen wir: Produziert wird genug, entscheidend ist der Zugang zu Nahrung. Dieser bleibt vielen Menschen aufgrund des großen Machtungleichgewichts im Ernährungssystem verwehrt. Ernährungssysteme müssen in Zukunft viel mehr an der Frage ausgerichtet werden, wie gerade die Menschen, die besonders an Hunger leiden, ausreichend gesunde Nahrung produzieren und verzehren können. Lokale und regionale Märkte müssen gestärkt, der Anbau vielfältiger werden. 

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Politikkohärenz herstellen © Welthungerhilfe
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Lokale(n) und regionale(n) Produktion, Konsum und Vermarktung von Lebensmitteln fördern © Welthungerhilfe
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Politische Teilhabe von kleinbäuerlichen Landwirt*innen

Soziale Bewegungen und zivilgesellschaftliche Organisationen weltweit kämpfen bereits seit Jahrzehnten dafür, dem sozialen, politischen und ökonomischen Machtgefälle entgegenzuwirken und die Autonomie und Rechte der Produzent*innen zu sichern und zu stärken – schließlich sind es kleinbäuerliche Betriebe, die weltweit die meisten Lebensmittel produzieren. Deren Rechte etwa für den Zugang zu Land und gegen die zunehmende Privatisierung von Saatgut müssen gesichert, ihre Ernährungssouveränität hergestellt sein. Das bedeutet: Landwirt*innen sollen selbstbestimmt darüber entscheiden können, welche Lebensmittel sie anbauen und wie sie sie vermarkten. Die Kontrolle über Land, Saatgut und Dünger soll zurück in die Hände der Erzeuger*innen gelangen. Dafür ist deren Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen eine wichtige Voraussetzung. 

Interesse an Agrarökologie wächst

Unser derzeitiges Ernährungssystem ist zwar problemlos in der Lage, große Mengen an Lebensmitteln zu produzieren, die über globale Marktstrukturen weltweit vermarktet werden können – verbunden allerdings mit negativen Auswirkungen: Dieses System ist für ein Drittel der von Menschen verursachten CO2-Ausstöße verantwortlich und trägt damit maßgeblich zum Klimawandel bei; großflächige Landwirtschaft, die zumeist auf den Anbau nur einer Ackerpflanze konzentriert ist, kontaminiert mit ihrem Einsatz von Pestiziden und chemischem Dünger Böden und Grundwasser oder trägt zur Versalzung der Böden bei. Nach Schätzungen werden bei gleichbleibender Anbauweise bis zum Jahr 2050 etwa 50 Prozent der weltweit verfügbaren Ackerfläche unfruchtbar sein. 

Die Alternative: Nachhaltige Ernährungssysteme 

Diversifizierte agrarökologische Anbausysteme reduzieren durch den Verzicht auf Pestizide und chemische Düngemitteln sowie durch biologische Anbauprozesse nicht nur die negativen Auswirkungen auf die Umwelt, sondern tragen zur Entwicklung von Lösungen bei, die an lokale Bedingungen angepasst sind und bei denen die Landwirt*innen unabhängiger und im Einklang mit der Natur agieren können. 

Dort, wo diese Systeme bereits betrieben werden, sprechen die Ergebnisse für sich: Agrarökologische Anbausysteme erzielen zwischen 20 und 60 Prozent höhere Erträge als der Anbau von nur einer Ackerpflanze. Besonders gut schneiden traditionelle Saatgutsorten ab, die von indigenen Völkern bereits seit Jahrhunderten in spezifischen Regionen verwendet werden und die an die lokalen Bedingungen angepasst sind wie z.B. nährstoffarme Böden oder geringe Wasserverfügbarkeit. 

Ein Blick nach Indien, Nepal und Bangladesch: Mehr als 10.000 Bauernfamilien setzen in Projekten der Welthungerhilfe und ihrer Partner bereits auf alternative Anbaumethoden.

Ernährungssysteme anders messen

Doch noch immer werden Fortschritte in der Ernährungssicherung vor allem daran gemessen, ob mehr Nahrungsmittel produziert werden und mehr Kalorien verfügbar sind. Fragen der Nahrungsmittelqualität, der sozialen Inklusion und des Zugangs zu Nahrungsmitteln sowie Fragen, die sich mit den Machtungleichgewichten in Ernährungssystemen auseinandersetzen, bleiben überwiegend ausgespart. Regierungen weltweit müssen diese Faktoren allerdings dringend in die Bewertung von Ernährungssystemen einbeziehen. Man spricht auch von einem „full cost accounting“, also einer Bewertung, in die alle Kosten, die in einem Ernährungssystem entstehen, einfließen werden – von den Umweltauswirkungen der Nahrungsmittelproduktion bis zur sozialen Teilhabe der Produzent*innen. 

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