Wie ungleiche Machtverhältnisse zu ungleichen Ernährungsverhältnissen führen.
Digitalisierung in der Landwirtschaft
Die Agrarminister aus rund 70 Ländern beraten beim Global Forum for Food and Agriculture Mitte Januar in Berlin über Potenziale digitaler Lösungen für die Landwirtschaft. Doch ist die Digitalisierung in der Landwirtschaft tatsächlich innovative Chance oder neue Gefahr für Kleinbauern weltweit?
Die Versprechen der Digitalisierung sind groß. Mit ihr eng verbunden sind Erwartungen an die Überwindung von Hunger und Armut. Vermehrt werden technologische Lösungen in der Landwirtschaft auf die Märkte gebracht und mit ihnen viele Versprechen: Produktivität und damit Einkommen sollen gesteigert, effizientere Arbeitsprozesse ermöglicht werden. Doch können diese Erwartungen erfüllt werden bzw. sind sie gerechtfertigt? Können die ärmsten Landwirt*innen, die besonders häufig hungern, davon profitieren und wenn ja, wie? Ist die Digitalisierung in der Landwirtschaft innovative Chance oder neue Gefahr für kleinbäuerliche Betriebe weltweit?
Sechs Überlegungen zu Digitalisierung und Hungerbekämpfung:
1. Die Bekämpfung von Hunger und Armut braucht ausgewogene Machtverhältnisse, die nicht mit digitalen Technologien hergestellt werden können
Der Zugang zu ausreichender und qualitativ angemessener Nahrung ist ein Menschenrecht. Dass dennoch weiterhin rund 820 Millionen Menschen weltweit hungern – Tendenz steigend – liegt nicht daran, dass weltweit zu wenig Nahrung produziert wird. Selbst in Afrika, wo die Verfügbarkeit an Lebensmitteln zwar geringer ist als in allen anderen Regionen der Welt, ist theoretisch genug vorhanden, um alle Menschen ausreichend zu ernähren.
Hunger ist in den allermeisten Fällen eine Frage mangelnden Zugangs und somit Folge eines sozialen, ökonomischen und politischen Machtgefälles. Macht wird im Ernährungssystem auf unterschiedliche Weisen ausgeübt wie etwa durch Konzentration von Markt- und Kapitalanteilen, durch die Agribusiness-Unternehmen Preis, Verfügbarkeit und Qualität von Nahrungs- und Produktionsmitteln beeinflussen. Gleichzeitig hängen Marginalisierung und Armut sowie fehlende Gleichberechtigung der Geschlechter und Hunger eng zusammen.
Eine Schlüsselfrage zur Bekämpfung ist daher, wie ausgewogene Machtverhältnisse innerhalb des Ernährungssystems hergestellt werden können und nicht, wie Produktivität gesteigert und Technologisierung erhöht werden kann. Denn je ungleicher der Zugang zu Land, Wasser, Kapital, Gesundheitsleistungen und Ausbildung in einem Land verteilt ist, desto langsamer sind die Fortschritte in der Bekämpfung von Unterernährung. Digitale und technische Lösungen bieten keine ausreichenden Antworten auf diese strukturellen Probleme.
Die Digitale Kluft zwischen und innerhalb von Entwicklungsländern muss geschlossen werden. Entwicklungsländer und unter ihnen besonders die am wenigsten entwickelten Länder (Least Developed Countries (LDCs)) und vulnerable Gruppen wie die ländliche Bevölkerung und Frauen profitieren von der Entwicklung neuer Informationstechnologien deutlich weniger als Menschen in Industriestaaten. Die Weltbank klassifiziert eine so genannte „Triple Divide“ (digital, rural, gender).
2. Digitalisierung in der Landwirtschaft darf Ungleichheit nicht weiter vergrößern
Die Digital Divide umfasst die regionalen und demographischen Unterschiede, die den Zugang zu IKT (Informations- und Kommunikationstechnologien) begünstigen bzw. hindern. Mehr als die Hälfte (53%) der Menschen weltweit sind nicht online und können daher nicht von der digitalen Wirtschaft profitieren. Besonders afrikanische Staaten haben nachgewiesen schlechtere Zugangsvoraussetzungen. Viele Länder Afrikas, vor allem LDCs, haben sehr viel langsamere Internetverbindungen und eine schlecht ausgebaute digitale Infrastruktur. Jugendliche nutzen zwar weltweit häufiger das Internet als alle anderen Altersgruppen, in Afrika nutzen jedoch 9 von 10 Jugendlichen nicht das Internet.
Die Rural Divide bezieht sich auf die unterschiedlichen Zugangsvoraussetzungen zu Internet-Technologien, die Menschen in ländlichen Räumen im Vergleich zu urbanen Zentren haben. Dazu zählen: Schlechte Infrastruktur, Mangel an Elektrizität, keine verfügbaren Mobilsignale in abgelegenen Gebieten. Dazu kommen Zugangshürden wie niedrige Einkommen der ländlichen Bevölkerung sowie Analphabetismus.
Weltweit nutzen 12 Prozent weniger Frauen als Männer das Internet. Die Gender Divide zeigt auf, dass Männer und Frauen nachgewiesen unterschiedliche Zugänge zu IKT-Technologien haben: In Afrika hat sich das Gender Gap zwischen 2013 (20%) bis 2017 um 5 Prozent auf 25 Prozent vergrößert. In LDCs nutzen 31 Prozent weniger Frauen als Männer das Internet, insgesamt nutzt nur eine von sieben Frauen das Internet.
Damit möglichst viele Menschen von der Digitalisierung profitieren können, muss diese „Triple Divide“ anerkannt, benannt und durch gezielte Maßnahmen überwunden werden, um Ungleichheit als Folge der rasanten Entwicklung der Digitalisierung nicht zusätzlich weiter zu vergrößern.
3. Entwicklungseffekte von und durch Digitalisierung müssen genauer belegt werden
Bislang sind die Effekte durch die Digitalisierung nicht ausreichend belegt: Digitale Lösungen entwickeln sich schnell, doch bislang ist wenig Evidenz vorhanden – sowohl für positive Effekte als auch für negative Effekte. Daher ist zunächst mehr begleitende Forschung über die Folgen und Risiken von Digitalisierung in der Landwirtschaft und zur Hungerbekämpfung notwendig, um die Auswirkungen von IKT-Lösungen in der Landwirtschaft zu untersuchen und Risiken gezielt zu begegnen bzw. ihnen vorzubeugen.
4. Digitale Lösungen müssen an die Herausforderungen von kleinbäuerlichen Familien angepasst und zugänglich gemacht werden
AgriShare ist eine mobilfunkfähige Plattform, die Landwirte mit Vermietungsdiensten für Produktion, Verarbeitung und Transport verbindet.
Digitale Lösungen in der Landwirtschaft bieten Chancen für Kleinbäuer*innen. Sie können leichter Informationen über Märkte und Preise, Wetterbedingungen, Anbaumethoden erhalten und sich durch digitale Kommunikationstechnologien besser untereinander vernetzen und Wissen austauschen. Durch Shared Economy-Plattformen können sie Landmaschinen untereinander günstig tauschen und ausleihen, wenn das Einkommen zu gering für eigene Anschaffungen ist. Damit kleinbäuerliche Betriebe Zugang zu diesen Anwendungen erhalten und Hürden des Zugangs abgebaut werden können, müssen jedoch verschiedene Bedingungen erfüllt sein:
- Internetanwendungen sollten an den lokalen Kontext sowie lokale Sprachen angepasst sein und Lösungen für Analphabetismus und Bildungsstand im ländlichen Raum bieten (z.B. durch den Einsatz von Videos und Bildern),
- sozio-kulturelle Gegebenheiten wie die Anpassung an indigenes Wissen und traditionelle landwirtschaftliche Produkte berücksichtigen.
- Sie sollten sich am digitalen Kenntnisstand der Nutzer orientieren
- Sie müssen mit Landwirt*innen/Zielgruppen zusammen entwickelt, getestet und verbessert werden
- Aufgrund oftmals hoher Datenkosten, mangelhafter Netzabdeckung und schlechter Stromversorgung sollten die Informationen auch offline zugänglich sein bzw. parallel per SMS an nicht internetfähige Mobiltelefone versandt werden.
- Geschlechterspezifisches Nutzungsverhalten sollte ebenfalls berücksichtigt werden.
- Digitale Lösungen müssen kleinbäuerlichen Betrieben nutzen – nicht der Gewinnmaximierung von Unternehmen
Um entwicklungsfördernd zu sein, sollten sich digitale Anwendungen an den Bedürfnissen von Landwirt*innen orientieren und nicht interessensgeleitet an den Interessen von Unternehmen, die primär am Absatz ihrer Produkte interessiert sind und neue Abhängigkeiten entstehen lassen. Nur so können kleinbäuerliche Familien wirtschaftlich profitieren.
Beispielsweise können sie ihr Einkommen steigern, wenn sie besser über Marktpreise informiert sind und somit ihre Verhandlungsbasis gegenüber Zwischenhändler*innen verbessern. Gleichzeitig können sie zusätzliche Absatzkanäle für ihre Produkte identifizieren und damit Marktzugänge verbessern, weil sich die Optionen erhöhen, sie Kenntnisse über Nischenmärkte erhalten können, die Lieferkette transparenter werden kann und Informationen über Transportwege zugänglicher werden können.
Gleichzeitig können sie Zugang zu digitalen Finanzdienstleistungen erhalten. Auch für die in vielen Ländern unterfinanzierten landwirtschaftlichen Beratungsdienste können durch Digitalisierung der Informationskanäle mehr Menschen in ländlichen Gebieten erreicht werden.
Doch birgt dies gleichfalls Risiken, die sich daraus ergeben, wer eine Anwendung mit welchem Interesse auf den Markt bringt, z.B. Hersteller von landwirtschaftlichen Produkten, um deren Absatz zu erhöhen. Zudem birgt die Sammlung, Speicherung und Weitergabe von Nutzerdaten Risiken. Die Prüfung und Validierung von Informationen stellen darüber hinaus eine Herausforderung dar. Zudem können neue Konzentrationsprozesse entstehen.
5. Rechts- und Policy-Rahmen müssen an digitale Entwicklungen angepasst werden
Der globale politische Regulierungsrahmen ist vor allem in Entwicklungsländern noch nicht ausreichend an die neuen Gegebenheiten der Digitalisierung angepasst. Hier bestehen Rechtslücken, z.B. hinsichtlich des Zugangs zu oder der Sicherheit von Daten, die nicht geschlossen sind. Es besteht die Gefahr, dass versäumt wird, einen entsprechenden regulatorischen Rahmen zu schaffen, denn gerade Länder mit limitierten Ressourcen stellt diese Anpassung und der damit verbundene Aufbau von Kapazitäten vor Herausforderungen. Gerade für die Interessen von Unternehmen ergeben sich hier Einfallstore, die es zu regulieren gilt.
Gerade in LDCs besteht Bedarf der Regulierung. Bestehende Politiken sollten angepasst werden, statt zusätzliche Rahmenwerke zu schaffen. Diese sollten besonders auf die Bedürfnisse von kleinbäuerlichen Betrieben eingehen und ein unterstützendes Umfeld, z.B. für lokale kleine und mittelständische Unternehmen schaffen. Nationale Aktionspläne können dazu beitragen, die digitale Infrastruktur auszubauen und die Triple Divide zu schließen. Dazu gehören „do no harm“-Regulierungen ebenso wie die Anerkennung und Einhaltung der „Digitale Principles“, die Sicherung von Datensouveränität und Investitionen in den Auf- und Ausbau digitaler Kapazitäten, besonders innerhalb der vulnerabelsten Bevölkerungsgruppen. Digitale Strategien sollten unter gleichberechtigter Einbeziehung aller Bevölkerungsgruppen entwickelt werden.