Zur Hauptnavigation springen Zur Suche springen Zum Seiteninhalt springen Zum Footer springen

13.05.2019 | Blog

Krise im Sahel: Militär allein reicht nicht

In der Sahel-Region verschärfen und überlagern sich zunehmend verschiedene Konfliktursachen. Doch militärische Lösungsansätze reichen nicht aus, um die Region von Krisen zu befreien. Es müssen auch Zukunftsperspektiven geschaffen werden.

Zwei Kleinbäuerinnen in traditioneller Kleidung stehen vor einer Hütte in Burkina Faso
Zwei Bäuerinnen in Burkina Faso. © Mirjam Knickriem/Welthungerhilfe

Der Artikel wurde von Daphne Lucas und Iris Schöninger verfasst.

Hoffnungslosigkeit, aber auch Wut darüber, von der eigenen Regierung und internationalen Gemeinschaft nicht ernst genommen zu werden, breitet sich bei den Menschen im Sahel aus. Die Region südlich der Sahara – besonders die Länder Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad - befindet sich bereits seit längerem im festen Griff von bewaffneten Terror-Gruppen, die zum Teil untereinander verbündet sind. Seit dem Zusammenbruch des „Kalifats“ im Nahen Osten haben sich diese verstärkt in den West-Sahel, bis in die Region des Tschadsees, zurückgezogen und terrorisieren die dortige Zivilbevölkerung. Allein im April 2019 wurden bei über 150 gewaltsamen Attacken mehr als 300 Menschen getötet. Über 1.800 Schulen und 80 Gesundheitsstationen in der Region sind inzwischen geschlossen.

„Die wachsende Gewalt verschärft die Hungerprobleme vieler Menschen, aber auch die Versorgung mit Wasser“, unterstreicht Francis Djomeda, Landesdirektor der Welthungerhilfe im Niger anlässlich eines Fachgesprächs im Deutschen Bundestag am 9. Mai 2019 mit Regierungsvertreter*innen und Experte*innen aus der Zivilgesellschaft. Anlass war die am selben Tag anstehende Verlängerung der UN-Friedensmission MINUSMA, die auch von Bundeswehrsoldaten aus Deutschland unterstützt wird.

Terrorismus dramatisch gestiegen

Der Niger zählt zu den ärmsten und unsichersten Ländern der Welt. Fakten zum Land und zur Arbeit der Welthungerhilfe.

„Gab es letztes Jahr im Monat einen Anschlag im Niger, sind es jetzt mehrere pro Woche, was unsere Arbeit extrem erschwert oder gar unmöglich macht“, so Djomeda. Aktuell sind 300.000 Menschen in Mali, Burkina Faso und Niger Binnenflüchtlinge und über 100.000 Menschen mussten in Nachbarländer fliehen. Rund 33 Millionen Menschen leiden in der gesamten Sahel-Region an Unterernährung.

Im Sahel verschärfen und überlagern sich zunehmend verschiedene Konfliktursachen. Die Region könnte zu einem Pulverfass werden, dessen Auswirkungen bis nach Europa zu spüren sind, wird nicht rasch gehandelt. So macht sich hier der Klimawandel auf dramatische Weise bemerkbar: Nach Einschätzung des Igarapé-Instituts kann die Erwärmung im Sahel, die eineinhalb mal höher ist als im globalen Durchschnitt, bis zum Jahr 2050 zu bis zu fünf Grad höheren Temperaturen führen. Dies wäre ein Desaster für eine Region, die bereits jetzt mit wachsender Wüstenbildung und schwindenden Ackerflächen kämpft.

Auch wird sich die Bevölkerung bis dahin voraussichtlich verdoppeln. Bereits jetzt streiten sich halbnomadisch lebende Viehzüchter*innen und sesshafte Ackerbau Betreibende um immer knappere Ressourcen. 30 Millionen Menschen könnten als Klimaflüchtlinge versuchen, in benachbarte Küstenstaaten wie beispielsweise die Elfenbeinküste auszuwandern und so auch dort zu einer politischen Destabilisierung beitragen. Verglichen damit wird nur ein kleiner Teil versuchen, sein Glück in anderen Weltregionen zu suchen.

Francis Djomeda, Landesdirektor Niger.

Die wachsende Gewalt verschärft die Hungerprobleme vieler Menschen.

Francis Djomeda Welthungerhilfe Landesdirektor Niger

Junge Menschen brauchen eine Perspektive

Oftmals wurde die Krise aus einem rein sicherheitspolitischen Blickwinkel betrachtet, ohne die komplexen strukturellen Ursachen bei strategischen Lösungsansätzen hinreichend zu berücksichtigen. Die Dominanz sicherheitspolitischer Ansätze spiegelt sich auch in der Ausrichtung der unterschiedlichen militärischen und polizeilichen Missionen vor Ort wieder, an denen sich Deutschland beteiligt wie MINUSMA, EUTM Mali, EUCAP Sahel Niger und Mali. Hinzu kommen seit kurzem die integrierte G5 Joint Forces der Sahel-Staaten Mali. Die G5 läuft jedoch Gefahr, Parallelstrukturen zur den bereits existierenden afrikanischen Institutionen wie der ECOWAS zu schaffen. Selbst militärische Akteure gestehen inzwischen ein, dass militärische Lösungen allein zu kurz greifen. Für eine Stabilisierung der Region müssen dringend Sicherheitsinteressen und existentielle Bedürfnisse der Zivilbevölkerung in den Mittelpunkt langfristiger Lösungsstrategien gestellt werden: Denn gerade junge Menschen brauchen eine Zukunftsperspektive. Maßnahmen von Regierungen, Militär und Hilfsorganisationen müssen dies berücksichtigen. Konkret geht es um die Schaffung menschenwürdiger Einkommensmöglichkeiten.

Eine Frau steht auf dem Feld und gießt ein Feld.
Nachhaltige Anbaumethoden geben den Menschen in Burkina Faso eine Perspektive. © Happuc/Welthungerhilfe

Welthungerhilfe unterstützt Menschen mit Bargeld und neuen Anbaumethoden

Eine Schlüsselfunktion kommt hier der Landwirtschaft zu: Es braucht nachhaltige Anbaumethoden, zumal Dürren und Überschwemmungen im Zuge des Klimawandels zunehmen. Diesen Aspekt adressiert die Welthungerhilfe im Rahmen ihrer Arbeit im Niger. Darüber hinaus versorgt sie Flüchtlinge mit notwendigem Bargeld, damit sie sich auf lokalen Märkten mit Nahrungsmitteln versorgen können. In diesem Zusammenhang relevant ist ebenfalls die neue und gemeinsam von der EU, FAO und Afrikanischen Union getragene Sahel Vert- Initiative („Große Grüne Mauer“) zur Bekämpfung der Wüstenbildung.

Die Welthungerhilfe ist seit 1968 in Mali tätig. Zu ihren Schwerpunkten zählen landwirtschaftliche Entwicklung, Ernährungssicherung und Stärkung der Zivilgesellschaft.

Beim Thema Sicherheit plädieren humanitäre Helfer dafür, weiterhin neutral und unparteiisch Hilfsbedürftige in der aktuellen Situation unterstützen zu können. Skepsis herrscht diesbezüglich, sicherheitspolitische Ansätze mit humanitärer und entwicklungspolitischer Arbeit zu „vernetzen“, wie dies vor allem von Regierungen propagiert wird. Stattdessen sollten unterschiedliche Mandate klar getrennt bleiben. Denn Anschläge auf humanitäre Helfer*innen im Sahel haben zugenommen, den Preis dafür bezahlt die Zivilbevölkerung, die bitter benötigte Hilfslieferungen nicht erhält.

Bei der Schaffung von Zukunftsperspektiven für junge Menschen steht Europa als Nachbarkontinent in einer besonderen Verantwortung. Wir müssen langfristig und verlässlich für eine faire Partnerschaft sorgen: indem wir die Kräfte vor Ort unterstützen, die sich der gesamten Bevölkerung verpflichtet fühlen. Die dafür sorgen, dass in der Sahel-Region Hunger und Armut bekämpft, dass neue Arbeitsplätze entstehen und junge Menschen nicht in der Folge von Frust und Verzweiflung in den Armen von Extremisten landen.

Das könnte Sie auch interessieren