Äthiopien wird regelmäßig von schweren Dürren heimgesucht. Die Trockenzeiten führen zu Ernteausfällen und dem Tod von Nutztieren - eine Ursache für die zunehmenden Wetterextreme ist der Klimawandel.
Hoffnung auf das alte Leben
Unsere Kollegin Fasika ist in die Regionen Amhara und Afar in Äthiopien gereist. Dort hat sie zwei starke Frauen getroffen, die ihr von ihren Erfahrungen bei der Flucht aus ihren Heimatdörfern erzählten.
"Es war gegen 16 Uhr am Nachmittag, als unser Dorf plötzlich von Schüssen und Schreien aus allen Richtungen erfüllt war. Ich sah, wie mehr als 25 Menschen von den Bewaffneten getötet wurden. Wir rannten um unser Leben und ließen alles zurück", erinnert sich Tenagne an den Horror des 8. März 2021, als ihr kleines Dorf im Norden Äthiopiens von Kämpfern gestürmt wurde. Tenagne Abera* ist eine 33 Jahre alte Mutter von sechs Kindern. Sie und ihre Familie wurden aus der Horeguderu Wellega Zone vertrieben, erzählt sie mir bei meinem ersten Besuch im Tewledere IDP Center in der Amhara Region.
Ich möchte mein Leben zurück
Tenage und ihrer Familie ging es recht gut, als sie noch auf einem kleinen Bauernhof in Horegudru lebten und ein paar Rinder hatten. Als ihr Dorf gestürmt wurde, verloren sie nicht nur ihre Einkommensquellen - ihre Ernten und ihr Vieh - sondern auch ihr Zuhause. Sie verließen ihr Haus barfuß und mit nichts als den Kleidern, die sie trugen. Sie verließen den einzigen Ort, den sie kannten, Horegudru, und wanderten zu Fuß bis nach Dessie.
Dann wurden sie vorübergehend in Tewledere wereda in der South Wello Zone angesiedelt. "Wir hatten alles zurückgelassen, aber wir wurden von den Menschen in Wello herzlich aufgenommen. Die Regierung unterstütze uns, sodass wir überleben konnten", erinnert sie sich.
Doch leider hielt das nicht lange an. Tenagne und andere Binnenvertriebene in Tewledere wurden erneut vertrieben, als die Truppen der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) die Städte Dessie und Kombolcha in der Amhara-Region einnahmen. Tenagne erzählt, dass sie tagelang unter lebensbedrohlichen Bedingungen unterwegs waren, bis sie einen Ort namens Mota Wereda erreichten. "Es war unerträglich für meine Kinder. Wir hörten Schüsse hinter uns und rannten um unser Leben. Ich trug das zwei-jährige Baby auf meinem Rücken und zog gleichzeitig an den Hände des vier-Jährigen. Ich war so dankbar, als meine Kinder und ich sicher in einem Militärlager in Mota Wereda ankamen."
Zu wenig Hilfe kommt an
Was bedeutet IDP?
IDP steht für Internally Displaced People (Binnenvertriebene). Das sind Menschen, die innerhalb ihres eigenen Landes geflohen sind. Laut dem jüngsten UN-Flüchtlingsbericht gibt es weltweit etwa 79,5 Millionen Flüchtlinge. Die meisten von ihnen, etwa 45,7 Millionen, sind Binnenvertriebene und finden Zuflucht in einem anderen Teil ihres Heimatlandes.
Heute leben Tenagne und ihre Kinder nach der Vertreibung der TPLF-Truppen aus der Amhara-Region zusammen mit anderen Binnenvertriebenen wieder in einem IDP-Camp in Teweledere. Tenagne berichtet, dass jedoch wenig Hilfe bei ihnen ankommt. Die Unterstützung der humanitären Hilfsorganisationen in Tewledere seien dürftig und ihrer Meinung nach sollte die Priorisierung der Menschen, die Hilfe erhalten, geändert werden. "Es gibt keine Priorisierung der Kinder", sagte Tenagne, und sie bezweifelt, dass sich die Situation verbessern wird.
Die Bemühungen um die verfügbare Unterstützung ist für die Mutter physisch und psychisch sehr anstrengend. Bei den Hilfsmaßnahmen der Welthungerhilfe und ihrer Partnerorganisation AISDA werden deshalb gefährdete Gruppen wie stillende Mütter, Familien mit kleinen Kindern und Menschen mit Behinderungen besonders berücksichtigt. Darüber hinaus wurde ein Komitee aus Binnenflüchtlingen gegründet. Dieses gibt ihnen die Möglichkeit, ihre Bedürfnisse besser zu kommunizieren.
Wenn dieser Konflikt vorbei ist, wissen wir, dass unser Zuhause zerstört sein wird, aber wir werden neu anfangen, hart arbeiten, unser Leben verbessern und uns um unsere Kinder kümmern.
Tenagne AberaSie wünscht sich nichts sehnlicher, als wieder in ihre Heimat zurückzukehren. "Einige unserer Nachbarinnen und Nachbarn, die kürzlich aus Horegudru zu uns gestoßen sind, haben uns erzählt, dass jedes Viertel geplündert und die Häuser zerstört wurden. Trotzdem bin ich bereit, neu anzufangen, wenn ich muss. Ich möchte dorthin zurückkehren. Es ist der einzige Ort, den ich mein Zuhause nenne."
Tenagne macht sich Sorgen um die Zukunft, aber sie ist auch voller Hoffnung, dass sich die Dinge verbessern werden. "Ich hoffe, dass unser Land bald friedlich sein wird und wir in unsere Heimatstadt zurückkehren und unser Leben weiterführen können. Wenn der Konflikt vorbei ist, wissen wir, dass unser Zuhause zerstört sein wird, aber wir werden neu anfangen, hart arbeiten, unser Leben verbessern und uns um unsere Kinder kümmern."
"Mein Ehemann ist zurückgeblieben"
Vor dem Konflikt in Nordäthiopien arbeitete Halima Ali als Verwaltungsassistentin in einem Berufsbildungszentrum in der Zone Berhale. Als der Krieg ihr Haus erreichte, mussten sie innerhalb von Sekunden fliehen. Sie hatten keine Zeit, ihre Sachen zu packen. Sie rannten mit leeren Händen und unter schwerem Beschuss aus ihrem Haus und ließen alles zurück, um ihr Leben zu retten. Halimas Ehemann weigerte sich, mit ihnen zu gehen. Er zog es vor, zurückzubleiben, anstatt all das zu verlassen, was er ein Leben lang aufgebaut hatte. Die Familie weiß nicht, ob er noch lebt.
Halima und ihre vier Kinder sind vier Tage lang nach Afdera Woreda gelaufen, um dem Krieg zu entkommen. Jetzt leben sie und ihre Kinder mit anderen Binnenvertriebenen in einer Lagerhalle einer Salzfabrik in Afar, die als Flüchtlingscamp dient.
Kürzlich kamen andere, die bei dem Angriff zurückgeblieben waren, in Afdera an. Sie verließen ihre Häuser, weil es dort keine Lebensmittel mehr gab. Sie tauschten Nachrichten aus ihrer Heimatstadt aus, aber leider gab es keine Neuigkeiten über den Verbleib von Halimas Mann. Und dann bestätigte sich eine von Halimas Befürchtungen: Ihr gesamtes Hab und Gut war zerstört und geplündert worden.
Wenn wir gesund bleiben und wenn in unserer Heimatstadt wieder Frieden herrscht, dann wird es uns wieder gut gehen.
Halima Ali"Dank der Aufnahmegemeinschaften in der Stadt Afdera haben wir die Angst und das Trauma des schweren Beschusses überlebt, aber das Echo verfolgt uns bis heute. Meine Kinder wachen regelmäßig aus Albträumen auf", erzählt Halima.
Über die Unterstützung, die sie derzeit erhalten, sagt sie: "Wir sind in einer verzweifelten Situation." Das Leben im Lager ist für sie und ihre Kinder schwierig. "Es gibt nicht genug zu essen, doch die Zahl der Binnenvertriebenen ist riesig und jeden Tag kommen mehr Menschen", fügt sie hinzu.
Eine große Lücke zwischen Bedarf und Versorgung
Halima ist dankbar, dass sie die Schrecken in ihrer Heimatstadt überlebt hat. Aber auch das Leben im Flüchtlingslager ist nicht einfach. Die Kluft zwischen den Bedürfnissen der Binnenvertriebenen und der tatsächlich verfügbaren Unterstützung ist unvorstellbar groß. Die Auswahl der Bedürftigen ist schwierig. Von Tausenden von Binnenvertriebenen werden 200 oder 300 für die Unterstützung ausgewählt. "Es ist schwierig, die Maßnahmen als Unterstützung zu bezeichnen. Wir überleben kaum, aber wir danken Allah, dass wir alles ertragen haben, um unsere Geschichte erzählen zu können".
Sobald Frieden herrscht, hofft Halima, nach Hause zurückzukehren und ein neues Leben zu beginnen. "Wenn wir gesund bleiben und wenn in unserer Heimatstadt Frieden herrscht, dann wird es uns wieder gut gehen", sagt sie.
Halima und andere Binnenvertriebene haben den Tod von Zivilist*innen, darunter auch von Freund*innen und Familienmitgliedern, miterlebt. Das, was sie gesehen haben, hat sie emotional getroffen. Dieses immense Trauma wirkt sich auf ihre psychische Gesundheit aus, aber in Afar gibt es nur wenig oder gar keine psychologische Beratung oder Unterstützung.
Es fehlt das Nötigste
Der Bedarf an humanitärer Hilfe im Norden Äthiopiens übersteigt weiterhin bei weitem die verfügbaren Mittel. Nach Angaben der UNO besteht derzeit eine Finanzierungslücke von 338 Mio. US-Dollar. Viele Binnenvertriebene in Afar und Amhara berichten, dass die Hilfe, die sie erhalten, bei weitem nicht ausreichend ist. Sie benötigen dringend Nahrungsmittel, sauberes Wasser, Unterkünfte und grundlegende Haushaltsgegenstände wie Matratzen, Decken, Matten und Küchenutensilien. Da sie kaum Zugang zu sauberem Wasser oder sanitären Einrichtungen haben, sind COVID-19 und andere übertragbare Krankheiten eine echte Bedrohung.
Der Einsatz der Welthungerhilfe in Afar und Amhara
In Afar arbeitet die Welthungerhilfe mit unseren Partnerorganisationen, APDA, AISDA, FSA und ACTED, zusammen, um auf den wachsenden humanitären Bedarf zu reagieren. Im Jahr 2022 haben APDA und die Welthungerhilfe bereits 10.000 Menschen mit Nahrungsmitteln (Weizenmehl, Öl, Linsen und Salz) versorgt, die von dem anhaltenden Konflikt in den Grenzgebieten zwischen Afar und Tigray betroffen sind. Ausgewählt wurden Binnenvertriebene und kürzlich zurückgekehrte Menschen in 10 Kebeles (Dörfern) und der Bezirkshauptstadt, wo sich die meisten Binnenvertriebenen und Rückkehrer des Bezirks aufhalten. Darüber hinaus wurden Notunterkünfte, Hygienesets und -einrichtungen organisiert sowie Maßnahmen zur Koordinierung der Lager und zur Wiederherstellung der Lebensgrundlagen durchgeführt, die mehr als 100.000 von der Krise betroffene Menschen erreichten.
In Amhara haben die Welthungerhilfe und ihre Partner AISDA und ORDA Bett- und Küchensets sowie WASH-Artikel wie Waschbecken, Kanister und Krüge an mehr als 10.000 Menschen in der Region verteilt. Darüber hinaus arbeitet die Welthungerhilfe mit ihrem Partner ORDA an Nothilfemaßnahmen, die sich auf Unterkünfte, Hygiene und die Wiederherstellung der Lebensgrundlage konzentrieren. Damit sollen mehr als 50.000 Menschen erreicht werden, die von der Krise betroffen sind.
*Namen aus Datenschutzgründen geändert