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08.03.2022 | Blog

Frauen in der Ukraine – Flucht statt Frauentag

Die Welthungerhilfe ist seit einigen Tagen zusammen mit einem Team der Alliance2015 in den Nachbarländern der Ukraine, um Hilfe zu leisten. In Polen treffen wir drei Frauen, die gerade aus Kiew geflohen sind. Sie geben uns einen Einblick in die Umstände ihrer Flucht.

Eine Frau steht vor einem zerstörten Haus, Ukraine 2022.
Eine Mitarbeiterin unseres Alliance2015-Partners People in Need vor einem zerstörten Haus. Die Einschusslöcher sind klar zu erkennen. © Petr Štefan/People in Need
Kerstin Bandsom Team Communications (bis Februar 2024)

Der 08. März 2022 ist der Internationale Frauentag – er ist ein Symbol für die Gleichberechtigung und die Emanzipation von Frauen weltweit. Dennoch haben in Zeiten einer andauernden Krise insbesondere ukrainische Frauen keinen Grund zur Freude: Viele von ihnen sind auf der Flucht vor Krieg in ihrer Heimat und müssen dabei Väter, Ehemänner und Söhne zurücklassen. Seit des Verhängens des Kriegsrechts nach den Angriffen von russischer Seite ist es Männern im wehrfähigen Alter – zwischen 18 und 60 Jahren – nicht mehr erlaubt, aus der Ukraine auszureisen.

Die Welthungerhilfe ist seit einigen Tagen zusammen mit einem Team der Alliance2015 in den Nachbarländern der Ukraine, um den Flüchtlingen Hilfe zu leisten und die Möglichkeit zu geben, ihre Geschichte zu erzählen. In Polen treffen wir Alina S., Alina B. und Maria C. Die drei Frauen sind gerade aus Kiew angekommen und geben uns einen Einblick in die Umstände ihrer Flucht.

Was bedeutet die Ukrainekrise für Frauen?

Am 24. Februar 2022 hat Russland der Ukraine den Krieg erklärt. Bereits eine kurze Zeit später waren über eine Million Menschen auf der Flucht. Während die Männer gezwungen sind das Land zu verteidigen, begeben sich viele Frauen und Kinder in teils eisigen Temperaturen auf den Weg in den Westen. Die Nachbarländer der Ukraine wie Polen oder Rumänien sind ihr Ziel – einige von ihnen entscheiden sich dazu, in der Ukraine zu bleiben. Sie verlassen lediglich die Großstädte und suchen in ländlicheren Gegenden Schutz vor der Zerstörung.

Schaffen es die Familien bis zur Grenze, werden sie mit den nächsten Schwierigkeiten konfrontiert: Die ukrainische Grenzpolizei fordert die Männer dazu auf, an die Front zurückzukehren. Frauen und Mädchen sind ab diesem Zeitpunkt auf sich allein gestellt. Die psysiche Belastung, welche entsteht, wenn der eigene Vater, Ehemann oder Bruder in der Ungewissheit zurückgelassen werden soll, ist hierbei nur eine Problematik. Frauen und Mädchen sind zudem einem erhöhten Risiko sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt, insbesondere diejenigen, die auf der Flucht sind.

Darüber hinaus können viele Frauenorganisationen in der Ukraine aufgrund der aktuellen Situation nicht im vollen Umfang arbeiten. Dadurch bricht ein weiterer wichtiger Zweig der Unterstützung weg.

Maria C., Alina B. und Alina S. berichten von ihrer Flucht aus Kiew

Alina S. arbeitet in der Film-Industrie, Alina B. ist Englisch-Lehrerin, Maria C. Therapeutin. Ihnen ist die Flucht nach Polen gelungen. Sie möchten ihre Geschichte erzählen, möchten, dass die Welt erfährt, wie die aktuelle Lage in der Ukraine ist.

Alina S. erklärt, dass sie 2021 durch Europa gereist ist, um Freunde zu besuchen und Kulturen kennenzulernen. Bereits zu diesem Zeitpunkt wurde ihr geraten, nicht in die Ukraine zurückzukehren – die Situation sei zu ungewiss. Doch Alina S. hat sich über sieben Jahre hinweg ein Leben in Kiew aufgebaut: eine weiterführende Bildung, ein guter Job in der Film-Industrie, ein eigenes Apartment in der Großstadt. Für Alina S. gab es keinen Grund, dies hinter sich zu lassen. Sie selbst hat nicht gedacht, dass die Gefährdung des Friedens durch einen Krieg überhaupt eine Möglichkeit sei. Als Bomben schließlich den 24. Stock ihres Gebäudes erschütterten, entschied sie sich dazu, ihre Heimat zu verlassen.

Ursprünglich wollte die Ukrainerin gemeinsam mit ihrer Familie Kiew verlassen, doch diese war zu weit entfernt, der Weg dahin zu gefährlich. Aufgrund dessen entschied sich Alina S. Freunden auf der Flucht anzuschließen. Die Grenze nach Polen überquerte sie schließlich zu Fuß.

Auch Alina B. und Maria C. verließen ihre Heimat im Rahmen des Ukraine-Kriegs. Ihre Flucht aus Kiew begann in Panik – hektisch packten sie, was ihnen als erstes in den Sinn kam, teilweise wurden dabei wichtige Dinge vergessen, Dinge, an die man in dem Moment einfach nicht gedacht hat: Hygieneartikel für Frauen und Kinder oder warme Sachen zum Beispiel. Während es Maria C. und Alina B. gelang, die Stadt zu verlassen, blieb Marias Mutter in der Heimat zurück. Auch sie hat es mittlerweile geschafft, Kiew zu verlassen, musste jedoch die geliebten Haustiere zurücklassen.

Ein langer und beschwerlicher Weg

Maria C. und Alina B. flohen zunächst mit dem Auto, um so viel Abstand wie möglich zwischen sich und den schrecklichen Ereignissen zu bringen. „Man hört die Sirenen auch dann noch, wenn sie gar nicht mehr heulen. Sie sind einfach im Kopf.“, erklären die Frauen. Nach einigen Kilometern ereilte sie dann schließlich die nächste Ernüchterung: Im Dunkeln fuhren die beiden Frauen auf eine Panzersperre zu, wodurch eine Weiterfahrt mit dem defekten Wagen nun nicht mehr möglich war. Doch sie hatten Glück im Unglück: Freunde der Familie haben die Frauen kurz vor der Ausgangssperre aufgenommen.

Zwei Frauen aus der Ukraine in warmer Kleidung stehen nebeneinander auf einem Gehweg, Polen 2022.

Man hört die Sirenen auch dann noch, wenn sie gar nicht mehr heulen. Sie sind einfach im Kopf.

Alina S.

Die Flucht durch die Ukraine wurde anschließend mit dem Zug fortgesetzt. Dicht an dicht drängten sich die Menschen. Wer Glück hatte, fand einen Sitzplatz, doch für die meisten verlief die Reise im Stehen. Ohne Wasser, Essen und Toiletten macht sich die Erschöpfung bemerkbar, gepaart mit der ständigen Furcht und Ungewissheit: Alle paar Stunden kam der Zug zum Stehen, ohne dass jemand genau den Grund nennen konnte. Während der Zugfahrt stiegen immer mehr Menschen ein, Alina B. und Maria C. beobachteten Familien, welchen nicht bewusst war, dass Männern die Ausreise nicht mehr erlaubt war.

Die Frauen, Mütter und Kinder stiegen in den Zug, während die Männer gemeinsam mit den gepackten Koffern zurückgelassen werden mussten. Mit einem Kind im Arm hatten viele der Frauen nicht die Möglichkeit, das Gepäck mitzunehmen, sodass sie mit wenig in den Nachbarländern ankommen und umso mehr auf die Solidarität und Mithilfe der europäischen Bürger*innen angewiesen sind. Maria C.  und Alina B. ist die Flucht nach Polen gelungen, wo sie in einigen Tagen von Freunden aus Hannover abgeholt werden.

Weltweit sind Frauen auf der Flucht

Flüchtlinge der Rohingya aus Myanmar überqueren die Grenze nach Bangladesch. Ihr Hab und Gut tragen sie dabei auf ihren Schultern.
Flüchtlinge der Rohingya aus Myanmar überqueren die Grenze nach Bangladesch. Ihr Hab und Gut tragen sie dabei auf ihren Schultern.

So wie Maria C., Alina S. und Alina B. geht es Millionen von Frauen. In vielen Teilen der Welt sind Menschen auf der Flucht. Die Hälfte aller Flüchtlinge sind Mädchen und Frauen. Sie fliehen vor Gewalt, Verfolgung und Unterdrückung aus religiösen oder politischen Gründen. Während die Gründe oft identisch zu denen der Männer sind, sind Frauen auf der Flucht mit zusätzlichen Problemen und Risiken konfrontiert.

Ständige Furcht ist der Begleiter auf der tage-, wochen- oder sogar monatelangen Flucht, Neben Krankheit und Hunger werden Frauen auf der Flucht häufig Opfer von Gewalt oder sexuellen Übergriffen. Ungewollte Schwangerschaften und die daraus folgenden Probleme bei der Rückkehr in die sozialen Strukturen ihres Herkunftslands stellen hierbei keine Seltenheit dar. Darüber hinaus tragen die Frauen in der Regel eine große Verantwortung für die eigene Familie – insbesondere bei Kriegen werden die Männer und Väter oft in der Heimat zurückgelassen, sodass die Integration der Familie in das Aufnahmeland alleinig der Frau obliegt.

Fehlende medizinische, psychologische und rechtliche Unterstützung hinterlassen bei Frauen und Mädchen auf der Flucht oft schwerwiegende körperliche und psychische Langzeitfolgen wie Traumata. Die Flucht und Migration von Mädchen und Frauen ist ein Thema, welches mit enormer Deutlichkeit aufzeigt, dass noch viele Schritte gegangen werden müssen, damit alle Frauen weltweit den Internationalen Frauentag in Überzeugung und sicher in der eigenen Heimat feiern können.

Hier mehr über die Ukraine erfahren.

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