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10.12.2018 | Blog

7 Gründe, warum Menschenrechte Hunger bekämpfen

Seit 70 Jahren gibt es die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Das darin enthaltene Recht auf angemessene Nahrung wird jedoch in vielen Teilen der Welt verletzt, denn 821 Millionen Menschen sind nach Angaben der Vereinten Nationen chronisch unterernährt. Damit stellt das Recht auf Nahrung eines der am häufigsten verletzten Menschenrechte dar.

Indien-Besuch von Wolfgang Jamann, India Visit Mr. Jamann
Eine Dorfversammlung im Dorf Nakaryak (Indien): Gleichberechtigung Meinungsfreiheit und politische Mitgestaltung tragen zur Hungerbekämpfung bei. © Enrico Fabian
Andrea Sonntag Policy and External Relations

Das Recht, keinen Hunger leiden zu müssen, ist in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert. Seit 70 Jahren ist es eines der am häufigsten verletzten Menschenrechte. In diesem Jahr mussten die Vereinten Nationen zum zweiten Mal in Folge einen Anstieg der Zahl der Hungernden vermelden: Derzeit hungern rund 821 Millionen – so viele wie seit zehn Jahren nicht mehr. Damit ist ein fundamentales Menschenrecht jedes neunten Menschen verletzt.

Hier sind sieben Gründe, warum sich Hunger nicht ohne die Verwirklichung der Menschenrechte bekämpfen lässt.

1. Ohne die Veränderung der Machtverhältnisse, die zu Hunger führen, ist Hungerbekämpfung nicht nachhaltig

Jahrelang hatten die Welthungerhilfe und ihre lokale Partnerorganisation in Kambodscha indigene Gemeinden bei der Verbesserung ihrer Ernährungssituation unterstützt: Landwirtschaftliche Beratung hat ihre Erträge erhöht und sie widerstandsfähiger gegenüber dem Klimawandel gemacht. Verbesserte Brunnen sorgten für sicheres Trinkwasser, und Trainings in Säuglingsernährung sorgten dafür, dass Kinder gesund aufwuchsen. Dann fielen die Dörfer dem Landraub zum Opfer. Wo früher Brunnen, Reisfelder und Hausgärten waren, ist heute eine Kautschukplantage. Die Menschen verloren ihr Land und damit ihre Existenzgrundlage.

Monokulturen Kambodscha
Plantage in Kambodscha. © Weihermann/JustFilms

Aus diesen und weiteren Fällen haben wir gelernt: Wenn wir nachhaltige Wirkungen in der Hungerbekämpfung erzielen wollen, müssen wir nicht nur die sozioökonomischen, sondern auch die politischen Ursachen von Hunger und Fehlernährung in den Blick nehmen. Dazu gehören mangelnde Rechtsstaatlichkeit und schlechte Regierungsführung, diskriminierende Agrar- und Handelspolitiken und ausbeutende Konsummuster im Globalen Norden.

2. Der Menschenrechtsansatz nimmt Staaten und Regierende in die Pflicht

Das Menschenrecht auf Nahrung ist nicht nur in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, sondern auch im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und in weiteren internationalen Konventionen wie der afrikanischen Menschenrechtscharta verankert. Verwirklicht ist es, wenn jeder Mensch jederzeit Zugang zu angemessener Nahrung hat. Das heißt, Menschen müssen entweder Ressourcen besitzen, um ausreichend Nahrung produzieren zu können, wie zum Beispiel eigenes Land oder Vieh. Oder ein Einkommen, das ausreicht, um gesunde Nahrungsmittel zu erwerben.

Für die Unterzeichnerstaaten stellen die Verträge bindendes internationales Recht dar. Sie stehen in der Verantwortung:

Menschenrechtsbasiertes Arbeiten bedeutet nicht nur, die Bürger*innen über ihre Rechte aufzuklären und sie dabei zu stärken, sie auch einzufordern. Sondern auch, staatliche Akteure, wie zum Beispiel Kommunalregierungen, in der Wahrnehmung ihrer Verantwortung zu stärken.

3. Der Blick durch die menschenrechtliche Brille geht den Ursachen von Hunger auf den Grund

Hunger und Armut sind dort chronisch, wo Menschen ausgegrenzt und benachteiligt werden. Zum Beispiel aufgrund von Herkunft, Geschlecht, Religion oder Wohnort. Der Menschenrechtsansatz fragt nach, wer von Hunger und Fehlernährung betroffen ist und welche politischen, wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Faktoren daran Schuld haben.

Frauen sind auf vielfältige Weise diskriminiert. Mädchen erhalten weniger Bildung als Jungen, werden in vielen Ländern früh verheiratet, sind wirtschaftlich abhängig von ihrem Ehemann und nach seinem Tod häufig aufgrund diskriminierender Gesetze oder Traditionen vom Erbe ausgeschlossen. Frauen besitzen im Durchschnitt weniger Land als Männer, sie haben schlechteren Zugang zu Krediten, landwirtschaftlicher Beratung und Bewässerungstechnik. Wenn diese Diskriminierung nicht beseitigt und die Rechte von Frauen nicht gestärkt werden, können Hunger und Fehlernährung nicht überwunden werden.

Frauen protestieren für bessere Landrechte und Gleichberechtigung in Liberia.
Frauen protestieren für bessere Landrechte und Gleichberechtigung in Liberia. © Welthungerhilfe

Mit der Agenda 2030 hat sich die internationale Gemeinschaft dazu verpflichtet, niemanden zurückzulassen. Wenn wir diesen Leitsatz ernst nehmen, dann müssen wir uns bei jeder politischen Entscheidung, bei jeder Entwicklungsmaßnahme fragen, ob sie denjenigen zugutekommt, die von Hunger und Armut betroffen sind.

4. Menschenrechte sorgen in Krisensituationen dafür, dass Hilfe wirklich ankommt

Preiskrisen, bewaffnete Konflikte, Naturkatastrophen und extreme Wetterereignisse treffen die ohnehin schon marginalisierten und verletzlichen Gruppen am stärksten. Die betroffenen Staaten kommen häufig ihrer Vorsorgepflicht nicht nach, zum Beispiel in dem sie ausreichend Nahrungsmittel für Krisenfälle lagern oder soziale Sicherungssysteme schaffen. Im Kontext von Krisen und humanitärer Hilfe tragen menschenrechtliche Prinzipien wie die Nicht-Diskriminierung bestimmter Gruppen, die Einbeziehung der Betroffenen, Transparenz, Rechenschaft und Beschwerdemechanismen dazu bei, dass die Hilfe dort ankommt, wo sie am meisten benötigt wird.

Rechtliche Grundlagen

Das Menschenrecht auf Nahrung ist verankert in:

Im Rahmen des World Food Summit 1996 beauftragten die UN-Mitgliedsstaaten den UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte mit einer Interpretation des Artikel 11, in dem die aus dem Recht auf Nahrung resultierenden Staatenpflichten beschrieben werden (General Comment #12). Um den Staaten weitere Orientierung bei der Umsetzung dieser Pflichten zu geben, wurden die „Freiwilligen Leitlinien zur schrittweisen Verwirklichung des Menschenrechts auf angemessene Nahrung“ erarbeitet und 2004 durch die FAO-Mitgliedsstaaten angenommen.

2013 trat schließlich das Fakultativprotokoll zum UN-Sozialpakt in Kraft. Neben dem bereits existierenden Staatenberichtsverfahren wird damit in Staaten, die das Protokoll ratifiziert haben (derzeit elf), Einzelpersonen die Möglichkeit eröffnet, ein internationales Beschwerdeverfahren sowie ein Untersuchungsverfahren vor Ort anzustoßen.

5. Meinungsfreiheit hat mit dem Recht auf Nahrung zu tun

Journalist*innen, die Korruption in der Regierung aufdecken werden verleumdet und bedroht; Gemeindeführer*innen, die sich gegen die Vertreibung indigener Gemeinden für ein Staudammprojekt einsetzen, werden verhaftet oder sogar ermordet; die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen wird durch bürokratische Hürden erschwert. Ob in Kambodscha, in Burundi oder in Bolivien – weltweit nimmt die Überwachung, Stigmatisierung und Bedrohung von Menschen, die sich für eine Veränderung der politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Strukturen einsetzen, zu.

Landwirt*innen müssen ihr Land verteidigen, Arbeiter*innen sich für bessere Arbeitsbedingungen organisieren, Bürger*innen größere Transparenz von ihrer Regierung einfordern dürfen, ohne kriminalisiert und bedroht zu werden. Die Meinungs-, Presse und Versammlungsfreiheit ist eine wichtige Voraussetzung, um das Recht auf Nahrung zu verwirklichen.

6. „Nothing about us, without us“ – die Landbevölkerung muss mitgestalten

Drei Viertel aller Hungernden leben auf dem Land, paradoxerweise dort, wo Nahrung produziert wird. Sie sind kleinbäuerliche Familien, Landarbeiter*innen, Pastoralist*innen oder Fischer*innen. Es sind gerade diese am stärksten von Hunger und Mangelernährung betroffenen Gruppen, die gleichzeitig am wenigsten an der Ausgestaltung der Politik zur Überwindung dieser Probleme beteiligt sind.

Nach Einschätzungen des World Economic Forum hat wirtschaftliches Wachstum im Agrarsektor einen elfmal positiveren Einfluss auf die Bekämpfung von Armut, als Wachstum in anderen Bereichen. Dennoch werden Investitionen in die Landwirtschaft und in die ländliche Entwicklung von den meisten Regierungen sträflich vernachlässigt. Bereits 2009 haben sich die afrikanischen Regierungen im Rahmen der Afrikanischen Union dazu verpflichtet, zehn Prozent ihres Budgets für die Förderung der Landwirtschaft zu verwenden. Fast zehn Jahre später hat nur ein Bruchteil der Staaten dieses Ziel erreicht. Die meisten Menschen auf dem Land wissen aber weder von dieser Zusage, noch von völkerrechtlich verankerten Verpflichtungen ihrer Regierung, wie dem Menschenrecht auf Nahrung.

Porträt: Andrea Sonntag, Team Politik und Außenbeziehungen.

Hunger ist politisch. Seine Ursachen sind bekannt – Lösungswege auch. Der Kurswechsel steht aber noch aus.

Andrea Sonntag Team Politik und Außenbeziehungen

Um langfristig Hunger und Armut zu überwinden, müssen die Betroffenen darin gestärkt werden, sich an der Ausgestaltung und Kontrolle relevanter Programme zu beteiligten. „Nothing about us without us” – nichts, was uns betrifft, kann ohne uns verhandelt werden! Auf UN-Ebene sitzen die Betroffenen inzwischen mit am Tisch, wenn im Welternährungskommittee über Strategien der Hungerbekämpfung verhandelt wird. In ihren Heimatländern müssen sie noch dafür kämpfen.

7. Menschenrechte müssen auch für Unternehmen verbindlich sein

In Bolivien ist der Bau einer Eisenbahnverbindung geplant, die das Land an Häfen am Atlantik und Pazifik anbinden soll. Auch deutsche Unternehmen interessieren sich für das Projekt. Es eröffnet Chancen für die wirtschaftliche Entwicklung Boliviens, birgt aber auch Risiken: die Bodenpreise rund um den Korridor könnten in die Höhe schießen, die Sojaplantagen könnten sich weiter in Regenwaldgebiete hineinfressen, indigene Gemeinschaften von ihren Territorien vertrieben werden. Die potenziell betroffene Bevölkerung hat ein Recht darauf, über das Vorhaben informiert und konsultiert zu werden. In der Vergangenheit hat die bolivianische Regierung dieses Recht missachtet.

Versammlung eines Dorfes zur Rechtsberatung in Bolivien
Mitglieder der indigenen Bevölkerung Boliviens besuchen ein Rechtsberatungsbüro in Tarabuco und eine Bildungsmesse zum Thema Menschenrechte, um über ihre Rechte als Staatsbürger*innen aufgeklärt zu werden. © Gustavo diez de Medina

Unternehmen stehen in besonderer Sorgfaltspflicht, wenn sie in ernährungsunsicheren Ländern oder Regionen tätig sind. Während jedoch Investorenrechte einklagbar sind, sollen die Menschenrechte bisher in den meisten Ländern über freiwillige Selbstverpflichtungen garantiert werden. Erfahrungen zeigen aber, dass diese gerade in Ländern mit schwacher Regierungsführung und hoher Korruption häufig nicht eingehalten werden. Eine verbindliche Regelung, die dafür sorgt, dass Unternehmen nicht die Ernährungssicherheit von Menschen gefährden und den Betroffenen Klagemöglichkeiten bietet, wäre ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung.

Hunger ist politisch. Seine Ursachen sind bekannt – Lösungswege auch. Der Kurswechsel steht aber noch aus. Millionen hungernde Menschen haben ein Recht darauf.

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