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31.12.2015 | Blog

“Wir sind nicht gekommen, um zu bleiben”

Hilfsorganisationen müssen so früh wie möglich Verantwortung an die Menschen vor Ort übertragen, meint Gutachter Kai-Uwe Seebörger. Nur so könnten sie verhindern, dass die Menschen bei Projektende ins Nichts fallen. Bei einem Projekt der Welthungerhilfe in Ruanda hat dies schon geklappt. Seebörger über Aufbruchstimmung im Mwogo-Tal und Analysen mit Analphabeten.

Evaluator Kai Seebörger lässt sich von einem jungen Agronom die Reisfelder der Kooperative Coriki in Ruanda erklären.
Evaluator Kai Seebörger lässt sich von einem jungen Agronom die Reisfelder der Kooperative Coriki in Ruanda erklären. © Christina Felschen
Christina Felschen

Herr Seebörger, können Sie binnen zwei Wochen überhaupt beurteilen, was ein Projekt in Ruanda bewirkt?

Da die Zeit vor Ort sehr begrenzt ist, muss ich die Projektunterlagen – meist Dutzende von Seiten – schon vor Antritt der Reise sehr gut lesen. Vor Ort kann es manchmal schwierig sein, bestimmte Aussagen und Erkenntnisse aus dem Projektalltag zu verifizieren und zu abstrahieren, da man selten mit allen Beteiligten an allen Orten sprechen kann. Bei der Beurteilung hilft mir, dass ich selbst jahrelang Projekte im Sahel für den Deutschen Entwicklungsdienst (DED) verantwortet habe – ich kenne die schwierigen Bedingungen an der Basis also.

Wie war es, als Sie damals evaluiert wurden?

In Mali und Niger habe ich drei Evaluationen mit vorbereitet und erlebt. Das bedeutet für alle Beteiligten im Projektteam viel Vorbereitung, Arbeit und Anspannung. Schließlich möchte man, dass das Projekt möglichst gute Ergebnisse bescheinigt bekommt. Da ist es schon wichtig, mit seinen Teamkolleg*innen gerade auch eventuelle Schwachstellen zu identifizieren und diese den Evaluator*innen plausibel erklären zu können.

Wie Evaluationen Projekte verbessern können und wie die Welthungerhilfe die Ergebnisse umsetzt.

Was hätten Sie in Ruanda gerne intensiver recherchiert?

Die Frage, inwiefern Frauen in den Haushalten über die Verwendung von Nahrungsmitteln und Einkommen mitentscheiden. Außerdem hätte ich gern genauer beobachtet, in wie fern Landrechte die Übernahme verbesserter Landnutzungstechniken beeinflussen. Dass alle Sümpfe dem Staat gehören und ein Teil der Hanglagen während des Genozids 1994 Ermordeten, schien einige Landwirt*innen davon abzuhalten noch mehr zu investieren. Aber beide Themen – die Rolle der Frauen und die Bodenrechte – sind sozial brisant; sie intensiver zu thematisieren, würde viel Vertrauen und Zeit voraussetzen – mehr als man in zwei, drei Wochen erreichen kann.

Welche Methoden bringen Ihnen die besten Erkenntnisse?

Am liebsten verwende ich partizipative Methoden, bei denen sich die Menschen vor Ort kreativ in ihrer eigenen Sprache ausdrücken können. Wenn ich es mit einer Gruppe zu tun habe, die zumindest die für sie wichtigen Begriffe lesen und schreiben kann (funktionale Analphabet*innen), finde ich SWOT-Analysen gut, die Stärken, Schwächen, Chancen und Herausforderungen herausstellen. Analphabet*innen bitte ich, ihre Aussagen durch selbst gewählte Symbole zu visualisieren. Dafür können auch lokale Materialien herhalten; so habe ich Landwirt*innen im Sahel gebeten, ihre Erfahrungen zu bestimmten Themen in den Sand zu zeichnen, was gut geklappt hat. Wenn ich Konflikte vermute, setze ich stärker auf Einzelinterviews – darin äußern sich meine Gesprächspartner*innen offener als vor der ganzen Gruppe.

Welthungerhilfe-Mitarbeiter Jonathan Nturo sprint über einen Bewässerungsgraben
Welthungerhilfe-Mitarbeiter Jonathan Nturo bewegt sich sicher zwischen den Bewässerungsgräben. Mitglieder einer Water User Organisation und der Kooperative Coriki zeigen Evaluator Kai Seebörger den Reis- und Maisanbau auf ihren Feldern. © Christina Felschen

Wie wirkungsvoll Evaluationen sind und wie deren Ergebnisse umgesetzt werden.

Arbeiten Sie gerne mit lokalen Co-Evaluator*innen zusammen?

Ja, schließlich bringen sie viel mehr Hintergrundwissen mit – etwa zu gesellschaftlichen Strukturen oder lokalen Anbautechniken – und können uns ausländischen Kolleg*innen eine gute Orientierungshilfe sein. Außerdem übernehmen sie auch die Rolle des Übersetzers, die in Ein-Personen-Evaluationen oft den Projektmitarbeiter*innen zufällt; das kann die Unabhängigkeit der Recherche beeinträchtigen.

Bei einer Evaluation sind Sie lange mit dem Projektteam unterwegs. Wie bewahren Sie Ihre Unabhängigkeit und gehen auf Distanz, wenn es sein muss?

Trotz freundlicher Atmosphäre muss man manchmal umschalten und sehr ernsthaft nachhaken. Schließlich habe ich meinen Namen als kritischer Gutachter zu verteidigen. Ich lasse mich von Projektleiter*innen duzen, wenn die Atmosphäre danach ist, aber ich verbrüdere mich nicht. Bei dieser Evaluation war ich von der guten Vorbereitung und den schnellen Reaktionen auf meine Nachfragen begeistert. Deshalb habe ich manchmal abends noch mal ein Bier mit den Mitarbeiter*innen getrunken – das ist aber die Ausnahme. Privat versuche ich Distanz zu wahren, um keine falschen Erwartungen zu wecken.

Evaluation ist für mich keine Prüfung, sondern ein gegenseitiger Lernprozess. Ungehalten werde ich allenfalls, wenn ich den Eindruck habe, Gesprächspartner*innen versuchen mir Informationen vorzuenthalten oder mir etwas vorzuspielen. In Westafrika hat mir ein Projektmitarbeiter mal gesagt: „Schriftliche Monitoring-Aufzeichnungen gibt es bei uns nicht, weil wir eine sehr ausgeprägte orale Kultur haben.“ Es gab natürlich welche, aber er wollte sie mir eigentlich nicht zeigen, weil sie so dürftig waren. Ich habe aber darauf bestanden sie einzusehen – und durfte es schließlich auch.

Aus Erfolgen und Fehlern lernen: Wie das Ausrichten an angestrebten Veränderungen und das Reflektieren von Erfolgen und Misserfolgen die Organisation voranbringt.

Als Evaluator bekommen Sie viele Projekte verschiedener Hilfsorganisationen zu sehen. Was fällt Ihnen auf?

Mit Sorge beobachte ich, wie sehr Menschen in einigen Regionen auf eine Unterstützung durch Projekte setzen und Selbsthilfe eher ausblenden. Dass diese Nehmermentalität entstehen konnte, haben sich bestimmte Akteure der Entwicklungszusammenarbeit aber auch selbst zuzuschreiben.

Besteht die Gefahr in Ruanda auch?

Im Gegenteil: Die Reisanbauer*innen im Mwogo-Tal scheinen stolz darauf zu sein, was sie zusammen mit der Welthungerhilfe erreicht haben. Und das können sie auch sein. Es war beeindruckend zu sehen, wie lehrbuchmäßig sie ihre Anbauterrassen inzwischen nutzen; genauso habe ich es in meinem Studium gelernt. Ich werde meinen Studierenden von der Hochschule Eberswalde Fotos davon zeigen. Beeindruckt hat mich auch die Entschlossenheit der lokalen Kooperativen, die vom Projekt geförderten Aktivitäten über das Projektende hinaus in Eigenregie fortzuführen. Die Kooperativen wirkten optimistisch und sind fest entschlossen, die vom Projekt geförderten Aktivitäten über das Projektende hinaus in Eigenregie fortzuführen. Das erreichen Projektleiter*innen nur, wenn sie im Alltag immer wieder klar machen: “Wir sind nicht gekommen, um zu bleiben.”

Kai-Uwe Seebörger hat in Göttingen, Berlin und im indischen Allahabad Geografie, (sub)tropischer Pflanzenbau und Sozialökonomik ruraler Entwicklung studiert. Nach sechseinhalb Jahren als Entwicklungshelfer in Mali und Niger arbeitet er seit 2001 als freiberuflicher Berater und Gutachter vornehmlich zu Themen der ländlichen Entwicklung, mit zwei bis drei Auslandseinsätzen pro Jahr – unter anderem für die Welthungerhilfe.

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