Südsudan: mit Kanu und Gummistiefeln
Schon beinahe im Rentenalter lasse ich mich auf ein Projekt im Südsudan ein. Kann das gut gehen?
In Ganyiel, im Norden des Landes, sind wir auf dem International Rescue Committee Areal (IRC) untergebracht – wir wohnen und arbeiten in „Safarizelten“. Bisher bereue ich nichts, trotz eines Skorpionstichs – solche Schmerzen hatte ich schon lange nicht mehr – trotz eines riesigen Warans, der immer nachmittags zwischen den Zelten seine Runde macht, und eines Habichts, der mir aus den Fingern im Vorbeiflug ein Stück meines Frühstücks vor Wolfgangs Zelt entriss. Abenteuer pur, aber da ist natürlich auch noch die Arbeit.
Überschwemmungen behindern unsere Arbeit
Wir wollen in fünf Payams (so nennt man die verschiedenen Distrikte hier im Südsudan) insgesamt fünf provisorische Schulen bauen und die landwirtschaftliche Produktion wieder anstoßen, um die Abhängigkeit von Nahrungsmittellieferungen zu verringern. Das hört sich einfach an, ist es aber nicht. Alles, was wir hier brauchen, muss mit dem Hubschrauber oder dem Flugzeug transportiert werden. Die Straße, die einst da war, ist nicht mehr zugänglich wegen Hochwasser und zudem befinden wir uns in einer Gegend, die von der Oppositionspartei kontrolliert wird.
Im Oktober habe ich zusammen mit den Gemeindemitgliedern, Lehrern und Elternvertretern in fünf Dörfern die Plätze für die Schulen ausgewählt. Wir mussten sicher gehen, dass diese Plätze nicht vom Hochwasser betroffen werden während der Regenzeit. Zwei Wochen später besuchte ich wieder die Dörfer und alles war überschwemmt. „Bis hierher war noch nie Wasser gekommen,“ versicherten mir die Leute. Nur einige Ältere konnten sich erinnern, dass in den Sechzigern schon einmal das Wasser so weit anstieg.
Leben und Arbeiten im „Sudd“
Teile von Unity State, wo wir uns befinden, liegen im „Sudd“, (der Name für das Sumpf- und Überschwemmungsgebiet im Südsudan). Das bedeutet, wenn der Weiße Nil ansteigt, werden riesige Flächen überflutet. Es ist ein einzigartiger Biotop, wo sich viele Vögel niederlassen, natürlich auch Krokodile und anderes Wild. Die Menschen hier leben auf minimalen Erhöhungen in einfachen Tukuls (Lehmhütten), die mit kleinen Gärten umgeben sind. Einige höher gelegene Flächen sind für den Sorghumanbau da und auf anderen suchen die Männer oder Kinder stets nach neuen Weidegründen für ihre Rinderherden.
Die Rinder, auch „cash box“ genannt, sind besonders bei Hochzeiten wichtig. Denn, wenn ein Mann eine Frau begehrt, muss er bis zu 100 Rinder an die Brautfamilie zahlen; natürlich werden die Tiere auch für Notsituationen benutzt: verkauft oder geschlachtet, wie jetzt bei der extremen Überflutung im November und der schlechten Versorgungslage durch die andauernden Konflikte. Aber ein Bauer sagte mir, dass er zehn Rinder hat, von denen sechs gestorben seien, weil sie im Wasser grasen mussten. Für die Menschen hier ist diese Überflutung eine zusätzliche Belastung und ein Desaster. Viele Familien mussten ihre Häuser verlassen und auf höher gelegene Eilande ziehen.
Gestern konnte ich ein solches Eiland besuchen und einige Informationen sammeln. In 105 einfachen Unterkünften leben 3-4 Familien, meist nur die Frauen mit Kindern und die Alten – die Männer sind bei ihren Viehherden. Ihre Unterkünfte sind ganz provisorisch gebaute Tukulhütten aus Plastikplanen und zusammengeschusterten Sackteilen, die bei der Verteilung von Nahrungsmittel des Word Food Programms mit ausgegeben wurden. Denn Sorghum, Bohnen usw. werden mit riesigen Flugzeugen hier in einer „drop zone“ abgeworfen und von uns dann an die Menschen verteilt. Für diese Airdrop-Abwürfe werden die Nahrungsmittel fest mit Planen umwickelt, damit die wertvolle Fracht nicht kaputt geht bzw. die Säcke auch nicht platzen.
Was ich sonst noch während meines Besuches erlebe und sehe…
Viele der Brunnen sind überschwemmt und das Trinkwasser könnte kontaminiert sein. Aber viele Brunnen sind auch einfach nicht mehr zugänglich. Fatal für die Versorgung mit sauberen Trinkwasser und für die Hygienebedingungen in den provisorischen Siedlungen. Es fehlen Toiletten, Decken, Moskitonetze, Kochgeschirr, Feuerholz und vieles mehr. Eine alte Frau zeigte, wie sie ihr altes Moskitonetz abends aufhängt, und zeigte mir dabei auch mithilfe von Gesten, wie kalt es nachts wird.
Ach ja, und solche Eilande sind auch nur mit lokalen Kanus zu erreichen, was eine weitere Herausforderung darstellt – wir brauchten zwei Stunden im Kanu, um zu den Familien auf dem Eiland zu gelangen.
Die Welthungerhilfe und andere Organisationen wie Mercy Corp und IRC werden gemeinsam an die „Cluster“ im Südsudan berichten und hoffentlich bald in der Lage sein, den Menschen hier weiter auf den Eilands und im Sudd zu helfen. Zur Info: Die UN hat die verschiedenen Aktivitäten im Bereich der humanitären Hilfe wie Logistik, Sicherstellung von Ernährung, Wassermaßnahmen usw. in Cluster unterteilt.
Und bei diesen Clustermeetings treffen sich die UN-Organisationen und auch internationale und nationale NGOs, um Strategien und anderes zu besprechen, damit die Hilfe effektiv und schnell wirkt und besser koordiniert werden kann.
Die Schulen und die Landwirtschaft müssen also vorerst noch etwas warten. Dringender ist nun, den Menschen mit Nahrung, Saatgut, sauberem Wasser und mit dringend benötigten Decken, Moskitonetzen, Toiletten und Kochgeschirr zu helfen!