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30.05.2017 | Blog

G7-Gipfel: Das Taormina-Desaster

800 Millionen Menschen gehen abends hungrig zu Bett. Können die Staats- und Regierungschefs noch mit einem reinen Gewissen schlafen gehen?

Soldaten beim G7-Gipfel in Taormina
Soldaten riegeln einen Strand bei Taormina ab - aufgrund der G7-Sicherheitsregelungen wurden Boote mit Geflüchteten das Anladen in Sizilien verboten. © Welthungerhilfe
Simone Welte Team Sector Strategy, Knowledge & Learning

Oben auf dem Berg in Taormina, Sizilien, treffen sich die sieben Staats- und Regierungschefs der G7-Länder sowie ihre Entourage aus über 2000 Delegierten. Etwas weiter unten, in zwei hochpreisigen Hotels in Giardini Naxos versammeln sich über 2000 akkreditierte Journalisten in den Mediencentern sowie Mitarbeiter von etwa 40 NGOs.

Einige hundert Kilometer weiter, auf dem Meer zwischen Italien und der lybischen Küste, werden 1446 Menschen von „Ärzte ohne Grenzen“ aus dem Meer gerettet. Sie quetschen sich auf einem Schiff zusammen, das nur für 600 Menschen ausgelegt ist. Aufgrund des G7-Gipfels und der verschärften Sicherheitsbestimmungen darf das völlig überladene Schiff keinen Hafen auf Sizilien anlaufen. Das Schiff, auf dem weder genügend Wasser noch Nahrungsmittel für die vielen Menschen verfügbar sind, wird nach Neapel umgeleitet. Nach 48 Stunden auf See darf es endlich anlegen. Mindestens 40 Kinder und viele schwangere Frauen sind an Bord.

Und was ist das Ergebnis eines Gipfels, der mindestens 55 Millionen Euro kostete, eine Stadt nahezu sieben Tage lahmlegte und der mit mehr als 10.000 Sicherheitsbeamten zu Land, zu Wasser und in der Luft abgesichert werden musste? Es ist ein sechs Seiten umfassendes Abschluss-Kommuniqué, in dem diplomatische Floskeln wie „bestätigen“ und „bekräftigen“ zu lesen sind, der jedoch keine einzige konkrete politische oder finanzielle Zusage enthält. Ein Desaster. Einzig im Bereich Terrorismus und Sicherheit konnten die G7 eine Einigung erzielen. Ein Thema, auf das es einfach war, sich nach der schrecklichen Attacke von Manchester, zu verständigen.

„Tiefe Besorgnis“ ernährt keine Hungernden

Aber was ist mit den 20 Millionen Menschen, die am Horn von Afrika und im Jemen von der Hungerkrise betroffen sind? Was ist mit den 800 Millionen Menschen auf dem Globus, die hungrig zu Bett gehen müssen und den zwei Milliarden Menschen, die an verstecktem Hunger leiden? Ihnen wird die „tiefe Besorgnis“ der sieben reichsten und mächtigsten Industrienationen ausgesprochen. Sie können sich darauf verlassen, dass die G7 ihre „gemeinsame Unterstützung (…) durch eine Reihe von möglichen Aktivitäten“ ausbauen.

Mary Afan aus Nigeria wendet sich an die G7
"Wir brauchen mehr Investitionen, um Kleinbauern zu unterstützen, da sie für die Ernährungssicherheit entscheidend sind," Mary Afan aus Nigeria wendet sich an die G7. © Welthungerhilfe © Welthungerhilfe

Nicht zu vergessen sind natürlich die Versprechen, politische Prozesse zu unterstützen, welche die Ursachen-Bekämpfung des Hungers als Ziel haben – sowie die „Verpflichtung zur Stärkung des humanitären Systems zur besseren Vorbereitung humanitärer Aktivitäten und der Minderung von Hungerkrisen.“

Dies ist nicht mehr als eine umformulierte und noch ungenauere Version des Textes von Elmau, der bereits vor zwei Jahren versprochen wurde. Damals hatten die G7 zugesagt, bis 2030 500 Millionen Menschen aus Hunger und Mangelernährung zu führen; eine klare Zusage zur Erreichung des zweiten UN-Nachhaltigkeitsziels „Zero Hunger.“

Was wir NGOs, die wir im Bereich der Hungerbekämpfung und Ernährungssicherung arbeiten, von diesem G7-Gipfel erwartet haben, war ein klarer Fahrplan zur Erreichung des Elmau-Ziels bzw. des zweiten UN-Nachhaltigkeitsziels. Wir hofften auf ein definiertes Vorgehen und konkrete finanzielle Zusagen. Die Welthungerhilfe, gemeinsam mit den Mitgliedern von GCAP, unserem italienischen Alliance2015-Partner CESVI und der internationalen G7-NGO-Task-Force haben einige Zeit damit verbracht, die G7-Staats- und Regierungschefs dazu zu bringen, zuzuhören. Sie sollten ihre Ohren nicht nur für die Forderungen der Zivilgesellschaft öffnen, sondern vor allem auch den Ruf der Millionen Menschen im Süden hören. Ohne sofortige und konkrete Maßnahmen wird die Erreichung der UN-Nachhaltigkeitsziele in Frage gestellt. Mit der Einstellung und dem Investitionsverhalten nach dem Motto „Weiter wie bisher“ ist eines zumindest garantiert: dass die Weltgemeinschaft ihre selbstgesetzten, für alle Menschen so elementar wichtigen Ziele nicht erreichen wird.

Schuld trifft nicht allein die USA

Trumps Verhalten, sein Benehmen und das offenkundige Desinteresse an allem, was nicht direkt den USA Vorteile verschafft, überstrahlte den Gipfel. Die G7-Staaten waren nicht in der Lage, sich auf etwas ganz Simples zu einigen: „Eine Welt ohne Hunger ist nicht eine Vision, es ist ein Menschenrecht.“

Als Beobachter und Teilnehmer am politischen Prozess der G7 in diesem Jahr, wäre es zu einfach, ausschließlich die Blockadehaltung der USA für das Scheitern des Gipfels verantwortlich zu machen. Schon letztes Jahr im Sommer während der Olympischen Spiele in Brasilien kam es nicht zu einer internationalen Geberkonferenz (Nutrition for Growth). Weder finanzielle Zusagen wurden gemacht noch klare Schritte zur Bekämpfung von Hunger und Mangelernährung definiert. Weder fanden sich andere Formate oder Geberkonferenzen für langfristige Investitionen noch taten sich einzelne Staaten als Vorreiter für das Thema hervor. Es passierte nichts und man ließ kostbare Zeit verstreichen. In den Monaten vor dem G7-Gipfel wurde immer deutlicher, dass von Seiten der USA nicht viel zu erwarten sei. Aber auch die anderen G6-Staaten hielten sich im Vorfeld auffallend bedeckt bei der Frage, Gelder für das Elmau-Ziel von 2015 bereit zu stellen. Hätten sie ernsthaft gewollt, dann hätte es Lösungen gegeben. Sich hinter Wahlen und anderen innenpolitischen Prozessen zu verstecken, ist feige – denn die Investitionen gegen Hunger und Mangelernährung, die politische Lösung von Konflikten, der Umgang mit Migration und Flucht bedürfen keinem Aufschub.

Millionen Menschen sind in Syrien und im Irak auf der Flucht.
Millionen Menschen sind in Syrien und im Irak auf der Flucht. © Ralph Dickerhof

Mit dem Investitionsverhalten nach dem Motto „Weiter wie bisher“ ist eines garantiert: dass die Weltgemeinschaft ihre selbstgesetzten, für alle Menschen so elementar wichtigen Ziele nicht erreichen wird.

Francesca Schraffl Welthungerhilfe-Mitarbeiterin

Im G7-Abschluss-Kommuniqué wurde das wichtige Thema Gesundheit auf 100 vage Worte reduziert. Die Hoffnungen der italienischen Regierung, die positiven Aspekte von Migration in das Kommuniqué aufzunehmen, wurden torpediert. Stattdessen nahm man einen Satz auf, der „die souveränen Rechte von Staaten (…) ihre eigenen Grenzen zu kontrollieren und Politiken zu verabschieden, die ihren eigenen nationalen Interessen und nationaler Sicherheit nicht entgegen stehen“ sichert. Besonders prekär liest sich dieser Satz durch den Tatbestand, dass 34 Menschen, darunter Kinder, kurz zuvor und in unmittelbarer Nähe, auf ihrem Weg nach Italien im Meer ertranken.

Was wohl noch nicht ganz in das Bewusstsein vieler Menschen und vor allem der Staats- und Regierungschefs der G7 gedrungen ist: die vielen Millionen Menschen, die ihre Heimatländer verlassen, machen dies, weil es dort, wo sie herkommen, schlicht unmöglich ist zu leben. Jeder der weiß, was es bedeutet in Syrien, in einem Flüchtlingscamp im Südsudan oder in einer, von der Dürre betroffenen Region in Äthiopien zu leben, der würde sofort verstehen, warum Menschen ihre Heimat verlassen. Denn es ist immer die bessere Wahl, in der Hoffnung auf ein friedvolleres Leben das eigene Leben zu riskieren, als dort zu bleiben, wo Krieg und Perspektivlosigkeit herrschen.

Die Nachrichten haben Trumps „Unfähigkeit“ aufgegriffen, sich zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens zu äußern. Er muss da nochmal drüber nachdenken und will dem Rest der Welt in dieser Woche seine Entscheidung mitteilen. Glücklicherweise wurden durch den beispiellosen Akt der restlichen G6-Staaten die gegebenen Zusagen zum Klimaschutz bestätigt. Zumindest an dieser Stelle wurde sich der totalen Blockadehaltung der USA verweigert. Schade ist nur, dass die G6 es nicht auch bei anderen Themen geschafft haben, sich klar von der US-Position abzugrenzen.

Ein nicht enden wollender Bürgerkrieg und eine humanitäre und wirtschaftliche Krise machen vielen Geflüchteten das Leben im Südsudan zur Hölle.
Ein nicht enden wollender Bürgerkrieg und eine humanitäre und wirtschaftliche Krise machen vielen Geflüchteten das Leben im Südsudan zur Hölle. © Daniel Rosenthal/Welthungerhilfe

Ignoranz ist keine Entschuldigung

Aus Sicht der Zivilgesellschaft und Perspektive der Menschenrechte war dieser G7-Gipfel ein klarer Misserfolg, der weit über unsere schlimmsten Erwartungen hinausging. Als Mitarbeiterinnen einer Organisation, die sich täglich mit dem Kampf gegen den Hunger beschäftigt, um die Vision „Zero Hunger“ Wirklichkeit werden zu lassen, kommen wir frustriert, traurig und fassungslos aus Taormina zurück.

Wir haben mangelernährte Kinder in unseren Projektgebieten in Äthiopien gesehen, die zu schwach sind, sich aufzusetzen. Wir haben mit Menschen gesprochen, deren Lebensgrundlage von einer Flut oder Dürre zerstört wurde und deren Leben komplett von der Hilfe durch Dritte abhängt. Wir haben mit Eltern gesprochen, deren Herz jedes Mal bricht, wenn sie ihren Kindern nicht genug zu essen geben können. Wir sprachen mit Frauen in einem südsudanesichen Flüchtlingscamp, die auf dem Weg zur Lebensmittelverteilung täglich Gewalt und Tod in Kauf nehmen, um das Überleben ihrer Familie irgendwie zu sichern. Ignoranz ist keine Entschuldigung. Auch die sieben mächtigsten Staats- und Regierungschefs müssen diese Bilder von Menschen gesehen und ihre Geschichten gehört haben: Warum nur haben sie daraufhin keine Maßnahmen ergriffen? Wie können sie abends mit ruhigem Gewissen zu Bett gehen, wohl wissend, dass 800 Millionen Menschen hungrig schlafen gehen?

20 Millionen Menschen leiden am Horn von Afrika unter einer Hungersnot.
20 Millionen Menschen leiden am Horn von Afrika unter einer Hungersnot. © Welthungerhilfe

Die G7 haben in Taormina versagt

Nachdem wir nun aus Sizilien zurückgekehrt sind, müssen wir zusammenfassen: beim diesjährigen G7-Gipfel haben die Staats- und Regierungschefs ihre Verantwortung für all die Menschen, die von Hunger und Mangelernährung betroffen sind, nicht wahrgenommen. „Die G7 haben versprochen, 500 Millionen Menschen bis 2030 aus Hunger und Mangelernährung zu führen, aber dieser Gipfel hat uns diesem Ziel nicht einen Schritt nähergebracht. Der richtige Weg wäre es, die Rechte von Kleinbauern zu stärken, Einkommensmöglichkeiten im ländlichen Raum zu schaffen, in nachhaltige und umweltschonende landwirtschaftliche Praktiken zu investieren und das Engagement auf die ärmsten Länder der Armen auszurichten.“

Falls die SDGs nicht erreicht werden, ist das ein Problem für den gesamten Globus und nicht nur für die Länder, aus denen uns die traurigen und bedrückenden Bilder im Fernsehen erreichen. Die Nachhaltigkeitsziele der UN sind die Chance, unseren Planeten für zukünftige Generationen zu bewahren und als einen lebenswerten Ort für alle zu erhalten. Die G7-Länder, die zu mehr als der Hälfte der Globalen Wertschöpfung beitragen, und enorme Macht und Einfluss vereinen, haben keine Ausrede. Am Samstag in Taormina haben die G7 versagt, aber das entbindet sie nicht von ihrer Pflicht, in Zukunft Verantwortung zu übernehmen. Jedes einzelne Land hat die Pflicht jetzt zu handeln – für eine Welt ohne Hunger und Armut.

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