Zur Hauptnavigation springen Zur Suche springen Zum Seiteninhalt springen Zum Footer springen

23.07.2015 | Blog

Entwicklungshelfer - ein Job mit hohem Sicherheitsrisiko

Interview mit dem Sicherheitsexperten der Welthungerhilfe

Mali Nothilfe Projekt Cash Transfer
Militär sichert die Auszahlungen. © Jens Grossmann
Christina Felschen

Die Sicherheitsrisiken für Entwicklungshelfer, die im Ausland arbeiten und leben, sind in den letzten Jahren extrem gestiegen. Der Sicherheitsexperte der Welthungerhilfe, Josef Frei, erklärt im Interview welche Strategien die Welthungerhilfe hat, damit Mitarbeitende möglichst nicht in Gefahr geraten.

2014 gab es laut dem aktuellesten Aid Worker Security Report 190 Angriffe auf humanitäre Organisationen – vier Mal mehr als ein Jahrzehnt zuvor. Wie kann die Welthungerhilfe ihre Mitarbeitenden schützen?

Der Bürgerkrieg in Syrien hat unser Bewusstsein dafür geschärft, dass Entwicklungshelfer*innen auch bewusst zum Ziel von Angriffen werden können. Wir nehmen die Sicherheit unserer Mitarbeitenden sehr ernst und bedenken sie in jedem Schritt mit – etwa wenn wir Projekte auswählen oder das Budget planen. Sicherheitsfragen erfordern oft schnelle Reaktionen; daher stehe ich als Sicherheitsbeauftragter im direkten Austausch mit dem Vorstand und berate die Sicherheitssituation mit den Projektländern.

Sicherheitstraining für Mitarbeitende im Ausland 

Die Welthungerhilfe arbeitet in sieben Staaten, die sie in ihrer zweimal jährlich erhobenen Bedrohungsanalyse derzeit als "sehr gefährlich" einstuft. Was rechtfertigt dieses Risiko?

Gerade in Risikoländern haben die Menschen Hilfe am nötigsten. Als Hilfsorganisation dürfen wir uns nicht die Rosinen herauspicken. Natürlich zwingen wir niemanden in gefährliche Länder zu gehen und wählen nur geeignete Bewerber*innen aus. Alle entsandten Kollegen absolvieren Sicherheitstrainings und Erste-Hilfe-Kurse. Sicherheitskonzepte vor Ort helfen, die Gefahren soweit wie möglich zu minimieren. Außerdem kennen die lokalen Mitarbeiter*innen den landesspezifischen Kontext genau und können die Sicherheitslage sehr gut einschätzen. Von ihren Erfahrungen und ihrem Wissen profitiert das ganze Welthungerhilfeteam im Land.

Wer eignet sich denn für ein Krisenland?

Abgesehen von den jeweiligen Fach- und Landeskenntnissen müssen unsere Kolleginnen und Kollegen vor Ort psychisch sehr belastbar sein – allein schon, um mit den Lebensumständen etwa in Zentralafrika oder im Südsudan klarzukommen. Wer sich freizügig kleidet, Alkohol trinkt, nachts unterwegs ist oder Statements über Politik und Religion abgibt, kann sich zum Beispiel in muslimischen Projektländern unbeliebt machen. In Deutschland finden wir nicht immer geeignete Bewerber*innen, die sich auf ein solches "Abenteuer" einlassen. Daher stellen wir oft Expert*innen aus Drittländern an.

Schutz vor Gewalt: Mit der Bevölkerung arbeiten

Im Südsudan arbeitet die Welthungerhilfe zeitweise sogar im "Bunker". Was bedeutet das?

In unserer Projektregion Bentiu im Südsudan wurde in letzter Zeit immer wieder geschossen. Das passiert mindestens alle zwei Monate, wir haben darin schon Routine: Meist skype ich mit der Landesdirektorin und wir überlegen in Rücksprache mit dem Programmdirektor, ob sich das Mitarbeiterteam an einen sicheren Ort zurückziehen soll. Dann arbeiten sie in einem schusssicheren Schutzraum, bis offiziell Entwarnung gegeben wird. Wenn eine größere Attacke angekündigt wird, würden wir notfalls auch evakuieren und die Projektarbeit vorübergehend einstellen. Unsere Mitarbeiter*innen im Südsudan sind erfahren genug, um die jeweilige Situation gemeinsam mit uns richtig einschätzen zu können.

Wie verhindern Sie, dass die Welthungerhilfe ins Visier von radikalen Gruppen gerät, weil sie vermeintlich feindliche Lebenskonzepte transportiert?

Dafür haben wir ein einfaches Rezept: Akzeptanz. Die Welthungerhilfe arbeitet immer mit der Bevölkerung, nicht gegen sie. Nur deshalb können wir uns sogar in Hochrisikoländern relativ sicher bewegen. Die beste Projektidee ist nichts wert, wenn die lokale Gesellschaft dagegen ist. Auf ein Hygieneprojekt für Frauen im ländlichen Afghanistan mussten wir deshalb schon mal verzichten. So schwer es uns auch fällt: In solchen Situationen müssen wir nachgeben. Projekte lassen sich nicht durchboxen – dann könnten wir nichts bewirken und bekämen auch ein Sicherheitsproblem.

Psychologische Unterstützung für Mitarbeitende weltweit 

Verhandelt die Welthungerhilfe auch mit Rebellen, um die Projektarbeit zu sichern?

Wir verhandeln grundsätzlich mit allen am Konflikt beteiligten Parteien. Es ist wichtig, auch diese Kräfte einzubinden und ihnen zu erklären, was wir im Land tun. In vielen Krisenländern gelten alle Ausländer*innen als Spione. Dieses Gerücht wollen wir natürlich widerlegen und zeigen, dass wir keine Bedrohung darstellen. Aber dafür braucht es viel Vertrauen von beiden Seiten.    

Wie können Mitarbeitende mit dem Schrecken nach einem Angriff fertig werden?

Wenn ein einheimischer oder internationaler Kolleg*in einen Überfall oder eine besonders harte Situation erlebt hat – etwa die Ebolakrise in Westafrika – bieten wir an, einen Kontakt zu unserem Kölner Psychologen herzustellen. Gerade Männer scheuen sich aber davor, weil sie glauben, als "Kerl" müssten sie alles alleine bewältigen können. Die jüngeren Kollegen sehen das entspannter. Ich habe nach zwei Jahren Einsatz in Syrien auch eine Supervision gemacht und kann das sehr empfehlen.

Das Interview führte Christina Felschen, freie Journalistin in der San Francisco Bay Area, USA.

Schlagworte

Das könnte Sie auch interessieren