Heirat erst nach dem Uni-Abschluss
Als Mitarbeiterin für Öffentlichkeitsarbeit trifft Stephanie Binder viele Menschen. Eine Frau, die bleibenden Eindruck hinterlassen hat, ist Mariam Khaled Mohammad aus Rabia. Eine inspirierende Begegnung.
Als Mitarbeiterin für Öffentlichkeitsarbeit der Welthungerhilfe in der Region Türkei, Syrien und Nordirak treffe ich viele Menschen, die interessante, oft traurige, aber auch inspirierende Geschichten erzählen. Eine Frau, die mich wirklich beeindruckt hat ist Mariam Khaled Mohammad aus Rabia.
Ich begegnete Mariam zum ersten Mal, als ich eine Pressereise der Welthungerhilfe im Nordirak begleitete. Sie war eine der wenigen Frauen in der konservativ geprägten Stadt Rabia an der syrischen Grenze im Nordirak, die sich bereiterklärt hatte, ihre Geschichte mit drei deutschen Journalisten zu teilen.
„Ich bin eine moderne Frau“
So saß ich schließlich bei 48 Grad Celcius auf dem Sofa neben Mariam und fragte sie noch einmal, ob sie damit einverstanden sei, fotografiert zu werden. Sie schaute mich an und lächelte: „Selbstverständlich, ich bin eine moderne Frau.“ Als die Reporter sie nach ihrer 17-jährigen Tochter Amira und ihren Zukunftplänen fragten, wurde Mariam plötzlich sehr ernst: „Ich habe eine Vereinbarung mit meiner Tochter getroffen, dass sie nicht heiraten wird bis sie ihren Universitätsabschluss in der Tasche hat.“ In einer Gegend, in der junge Mädchen immer noch mit 13 Jahren oder sogar jünger verheiratet werden, ist das in der Tat die Ansicht einer modernen Frau – meine Neugierde war geweckt.
Eine Woche später besuchte ich Mariam noch einmal. Sie erzählte, dass sie nach dem Tod ihres Mannes mit sieben Kindern alleine in ihrem Haus zurückblieb und ums Überleben kämpfte. Erst finanziell und dann gesundheitlich: „Nachdem mein Mann starb, besorgte ich mir Stoffe, um Kleider zu nähen und sie zu verkaufen. Ich hatte kein Geld für den Stoff, aber der Stoffhändler ließ mich später bezahlen.“
Die Stadt Rabia wurde 2014 vom IS eingenommen. Die meisten Bewohner wurden zur Flucht gezwungen. Nachdem die Region 2015 von den Peshmerga zurückerobert wurde und die Menschen langsam zurückkehrten, standen sie vor dem Nichts: viele Häuser und große Teile der Infrastruktur waren zerstört, es gab keine Jobs, Strom und Wasser floss nur unregelmäßig.
Nach der Vertreibung des IS standen sie vor dem Nichts
Um zu überleben, helfen sich die Bewohner der Stadt gegenseitig. Wer kann, verleiht Geld, Schulden werden zurückgezahlt, wenn man selbst wieder besser dasteht. „Als bei mir Brustkrebs diagnostiziert wurde, sammelten Freunde und Nachbarn Geld für mich, so dass ich mir die Behandlung in Dohuk leisten konnte“, erzählt Mariam.
Doch Geld und Gesundheit sind nicht die einzigen Themen, die Mariam Sorge bereiten. „Ich wünsche mir für meine Tochter Amira, dass sie in der Zukunft nicht in dieser engstirnigen Gemeinschaft lebt. Ich möchte, dass sie sich in einer offeneren Umgebung entfalten kann, wo es mehr Freiheiten gibt“, erzählt sie mir.
Verheiratet mit 11 Jahren
Der letzte Wunsch des Vaters war es, dass seine Tochter Ärztin wird. Amira arbeitet hart an der Erfüllung dieses Traums. Ihre Ausbildung hat für Mariam Priorität vor allem anderen. Wir reden über junge Mädchen, die schon als Kinder verheiratet werden. Ihr Gesicht versteinert sich und schließlich laufen ihr Tränen über die Wangen: „Ich habe selbst mit 17 Jahren geheiratet. Mein erster Mann und ich haben uns nicht verstanden, er ließ sich schließlich von mir scheiden und behielt meine ersten beiden Töchter bei sich. Mit 11 und 13 Jahren verheiratete er sie. Ich habe es erst später erfahren und in dieser Zeit sehr viel geweint.“
Die beiden Töchter, mittlerweile 25 und 26 Jahre alt, leben von ihren Männern getrennt, in einem Camp für Vertriebene in der Nähe der Stadt Telafar, die im August 2017 immer noch weitgehend vom IS beherrscht wird. Mariam hat wieder Kontakt zu ihnen und wartet darauf, dass sie aus dem Lager kommen, um mit ihr in Rabia zu leben: „Mein eigenes Leben war immer voller Probleme und Herausforderungen. Ich wünsche mir, dass meine Kinder glücklich werden!“
Mariam Khaled Mohammad nahm an so genannten „Cash for for Work“ Maßnahmen der Welthungerhilfe in der Stadt Rabia teil. Finanziert von der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) und dem Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) werden Schulen, Straßen und Krankenhäuser in rund 150 Gemeinden im Norden der Provinz Niniveh renoviert. Ein Teil der Wiederaufbauarbeiten wird von den Menschen vor Ort erledigt, die dafür einen Lohn enthalten und so bei der Finanzierung von Lebensmitteln und Dingen des täglichen Bedarfs unterstützt werden. Das Projekt wird vom Dänischen Flüchtlingsrat (DRC) unterstützt.