Die Arbeit der Welthungerhilfe in Niger.
Helfen unter schwierigen Bedingungen
Mathias Mogge ist nach Diffa im äußersten Südosten Nigers gereist. Diffa grenzt direkt an das große und mächtige Nigeria im Süden. Die gewalttätigen Umtriebe von Boko Haram – oder „BH“, wie sie vor Ort genannt werden – haben zu massiven Fluchtbewegungen geführt.
Alleine in der Region Diffa haben sich sowohl rund 100.000 Nigrer als auch 100.000 Nigerianer notdürftig niedergelassen. Niger ist eines der ärmsten Länder der Welt. Oft firmiert das westafrikanische Binnenland an letzter Stelle des sogenannten Human Development Index, der von den Vereinten Nationen erhoben wird und Aussagen zum Entwicklungsstand eines Landes macht. Auch 2016 ist Niger wieder auf dem letzten Platz. Im Welthunger-Index liegt Niger auf Platz 109 von 118 erfassten Ländern. Hinzu kommt seit 2014 eine zunehmende Verunsicherung des Landes durch die Kämpfe in Mali und besonders durch die Terrorattacken Boko Harams. Boko Haram ist bekannt durch schlimmste Attentate und Massenentführungen gerade von Mädchen in Nigeria. Weniger bekannt ist, dass sich die Gruppe nach dem Zurückdrängen durch die nigerianische Armee immer näher an die Grenze zu Niger zurückgezogen hat und nun auch dort die Bevölkerung terrorisiert. Ganze Dörfer wurden und werden angegriffen, Menschen ausgeraubt, entführt und ermordet.
Hunderttausende fliehen vor dem Terror Boko Harams
Ich habe viele Menschen besucht, die direkt von den Terrorangriffen betroffen sind, wie Atcha Abba und ihre Enkelin Halima Amadou. Halimas Eltern wurden von BH umgebracht. Der Rest der Familie konnte fliehen und findet sich nun vollkommen mittellos in sengender Hitze ohne Einkommensmöglichkeiten in Diffa wieder. Atcha erzählt mir, dass ihr Mann blind sei und in die Stadt gegangen ist, um zu betteln. Wenn er etwas Geld bekommt, wird die Familie am Abend etwas zu essen haben – wenn nicht, dann gibt es nichts. Die Situation ist sehr bedrückend, Atcha lacht verlegen, etwas verbittert und verzweifelt.
Die Welthungerhilfe wird in den nächsten Tagen wieder Bargeld ausgeben. Atcha und ihre Familie wird unter den begünstigten Haushalten sein und damit die dringend benötigten Nahrungsmittel kaufen können. Diese Art von „Cash Transfer“ wird an 2.000 Haushalte, also etwa 14.000 Menschen, ausgegeben. Jede Familie erhält rund 50 Euro, bei durchschnittlichen sieben Familienmitgliedern ist das nicht üppig, hilft aber enorm, wie uns Atcha versichert. Die Transfers erfolgen monatlich.
Drastische Maßnahmen für mehr Sicherheit?
Leider hat sich die Sicherheitssituation trotz massiver militärischer Präsenz durch die nigrische Armee und anderer teils drastischer Maßnahmen nur wenig verbessert. Zum Beispiel dürfen seit Monaten keine Motorräder benutzt werden, weil BH gewöhnlich auf Motorrädern Angriffe durchführt. Viele junge Männer haben ihren Lebensunterhalt mit Motorradtransporten verdient. Sie sind seit dem Verbot arbeitslos und somit wiederum leichte Beute für Rekrutierungen durch BH.
Als wir kurz mit dem Auto anhalten und mit Markthändlern ins Gespräch kommen, drängt uns unser Koordinator Moussa zum raschen Aufbruch. Es sei nicht sicher an diesem Ort. Am nächsten Morgen erfahren wir, dass in der Nacht ein Händler ermordet, ein weiterer entführt wurde. Ich spüre große Demut und Dankbarkeit vor unseren Kollegen, die in dieser Situation ihren Dienst verrichten und immer wieder versuchen, das Leben der Geflohenen und der Gastgemeinden zu verbessern.
Von Diffa aus fahren wir in den äußersten Westen des Landes, in die Region Tillaberi. Im Projektgebiet ist es vergleichsweise sicher und es gibt einen recht schwunghaften Handel mit der Hauptstadt Niamey. Aber die Region hat auch große Probleme: Unter anderem sind weite Flächen nicht mehr landwirtschaftlich nutzbar und der seltene Regen fließt ab, ohne zu versickern. Es gibt Gegenmaßnahmen wie zum Beispiel das Anlegen von sogenannten „Demi Lunes“, sichelförmigen Vertiefungen mit einem Graben am inneren Rand. In diesen Graben fließt das Regenwasser und infiltriert ganz langsam. Im „Demi Lune“ ausgebrachtes Saatgut fängt nach einem Regen sofort an zu sprießen. Nach und nach bildet sich wieder eine Humusschicht, nach einer gewissen Zeit ist der Boden vollständig rehabilitiert.
Frauen sorgen mit neuen Ideen für Einkommen
Besonders beeindruckt haben mich die Aktivitäten einer Frauengruppe in Bandjo. Die Welthungerhilfe hat in Zusammenarbeit mit ALMAF, einer lokalen NGO, Frauen darin ausgebildet, verschiedenste Erdnussprodukte zu kreieren und zu vermarkten. Die Produkte wie Erdnussöl oder Erdnusspaste sind mir bekannt. Was ich noch nicht kannte, ist eine Art Erdnussriegel und kleine Kuchen, hergestellt aus den Rückständen der Ölproduktion.
Nach Aussage der Frauen gibt es einen reißenden Absatz, gerade durch die Nähe zu Niamey. Mit einer multifunktionalen Mühle, die sowohl als Öl-, als auch Getreidemühle verwendet werden kann, hat die Gruppe nun alle Voraussetzungen, um auf dem Markt erfolgreich zu arbeiten und für ihre Familien zusätzliches Einkommen zu erwirtschaften. In einer ländlichen Gegend sind solche Einkommensmöglichkeiten gerade für Frauen keine Selbstverständlichkeit.
Trotz vieler erfreulicher Entwicklungen gibt es leider immer noch Frauen und Kinder, die unter- oder fehlernährt sind. Unsere Ernährungsexpertin Ramatou Assogba zeigt mir stolz ihre Arbeit mit einer Gruppe von Frauen, die sich zusammengetan haben, um die schwierige Ernährungslage besonders ihrer Kinder zu verbessern. Die an diesem Programm teilnehmenden Frauen erhalten eine intensive Beratung: Beispielsweise wird die Bedeutung guter Hygiene, das Stillen der Babys, einer vielfältigen Ernährung oder die Verwendung von imprägnierten Moskitonetzen erklärt und praktisch umgesetzt. Die Frauen erhalten Rezepturen an die Hand, wie sie bereits moderat unterernährte Kinder mit einem angereicherten Getreidebrei aus vor Ort verfügbaren Zutaten wieder so aufpäppeln können, dass die Kinder aus der Gefahrenzone herauskommen.
Neue Getreidesorten gegen Mangelernährung
Mittelfristig müssen wir zusammen mit den Gemeinden daran arbeiten, dass zum Beispiel neue Getreidesorten mit höheren Zink und Eisengehalten, wie sie vom internationalen Forschungsinstitut ICRISAT in den letzten Jahren entwickelt wurden, von den Bauern angebaut werden. Die ersten Erfahrungen sind äußerst positiv. Nicht nur sind die Sorten toleranter gegenüber Trockenheit, sie reifen auch schneller, bringen höhere Erträge und schmecken der Bevölkerung. Daneben müssen wir die Gemeinde davon überzeugen, dass sich die Ernährung durch den höheren Verzehr von Blattgemüse, Obst und tierischen Produkten verbessert. Nach wie vor gibt es Tabus und Aberglaube rund um das Thema Essen. So glauben zum Beispiel viele, dass Kinder, die Eier verzehren, später zu Dieben werden.
Ich fahre mit sehr gemischten Gefühlen aus Niger ab. Die Ereignisse in Diffa gehen mir sehr nach. Dieses Land könnte viel weiter sein, den Menschen könnte es besser gehen. Das extrem heiße Klima, das hohe Bevölkerungswachstum, aber auch die katastrophalen Übergriffe von Terrorgruppen machen es dem Land und seinen Bewohnern schwer, vorwärts zu kommen.