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30.11.2017 | Blog

Wenig Perspektive für Rohingya in Bangladesch

Mehr als 600.000 Menschen, Angehörige der Rohingya-Minderheit, sind aus Myanmar ins benachbarte Bangladesch geflohen. Welthungerhilfe-Mitarbeiterin Jessica Kühnle hat mehrere Flüchtlingscamps besucht: ein Reisebericht.

Aus Myanmar geflüchtete Rohingya leben in einem Flüchtlingslager in Bangladesch.
Aus Myanmar geflüchtete Rohingya im Leda Camp, Bangladesch. © Pilar
Jessica Kühnle Landesbüro Türkei/Syrien/Irak

Bereits am Domestic Airport in Dhaka überkommt mich das Gefühl, dass ich gleich etwas ganz Großes erleben werde – etwas, was jenseits meiner Vorstellung liegt. Am Gate nach Cox‘s Bazar sehe ich viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von internationalen Hilfsorganisationen. Auf dem Rollfeld parkt eine riesige UN-Maschine. Größtenteils ist das Flugzeug allerdings mit Menschen besetzt, die zu der gehobeneren Schicht Bangladeschs gehören.

Mit einer 120 Kilometer langen Küste ist Cox’s Bazar der größte Badeort in Bangladesch und ein beliebter Ort für den Binnentourismus. Das ganze Szenario erscheint mir surreal – auf der einen Seite Familien, die nach Cox’s Bazar fliegen, um ihr Wochenende am Strand zu verbringen, auf der anderen Seite wir, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen, die versuchen, der in diesem Moment stattfindenden humanitären Katastrophe entgegenzuwirken.

„Sie kamen und haben auf uns geschossen.“

Die Dimension dieser Katastrophe ist enorm: Die Größe der Camps, von denen einige schon den Status eines Megacamps erreicht haben, ist erschreckend; die Anzahl der Menschen, die innerhalb weniger Tage und Wochen aus Myanmar nach Cox’s Bazar geflüchtet sind, schier unglaublich. Jeder der circa 620.000 geflüchteten Rohingya ist auf humanitäre Hilfe angewiesen – das zu koordinieren, ist eine schwierige Herausforderung. Ständig entstehen neue, spontan aufgebaute Camps, manchmal innerhalb weniger Stunden. Die Neuankömmlinge siedeln sich auf Reisfeldern, Hügeln oder am Straßenrand an, einfach überall, wo noch ein Fleckchen Land verfügbar ist.

Die Menschen leben unter desaströsen Bedingungen. Es gibt zu wenige sanitäre Einrichtungen, mehrere hundert Menschen teilen sich oftmals eine Toilette. Nur wenige haben überhaupt Zugang zu sauberem Wasser. Das Risiko, sich mit Infektionskrankheiten anzustecken, wie z.B. Cholera, Masern und Polio, ist sehr hoch.

Flüchtlinge sind erschöpft, traumatisiert und hungrig

Die Situation der Neuankömmlinge ist besonders dramatisch. Die Mehrzahl der Familien musste auf der Flucht ihr gesamtes Hab und Gut zurücklassen. Ihre Ersparnisse haben sie für den Transport aus Myanmar (über den Fluss mit Booten) und für Materialen, die sie für den Bau von provisorischen Unterkünften benötigen, restlos aufgebraucht.

Viele Geflüchtete sind erschöpft von den tagelangen Fußmärschen und stark traumatisiert von den schrecklichen Erlebnissen, die sie erleiden mussten. So wie Rhena (30), die zusammen mit ihrer Mutter Badu (65) und ihren vier Kindern vor der Gewalt in ihrem Heimatdorf nach Bangladesch geflohen ist. Sie waren mehrere Tage zu Fuß unterwegs, mussten sich immer wieder in den Bergen verstecken, ohne Essen und Trinkwasser.

Gruppenbild: Aus Myanmar geflüchtete Rohingya im Nayapara Registration Camp in Bangladesch.
Aus Myanmar geflüchtete Rohingya im Nayapara Registration Camp in Bangladesch am 17.11.2017. Mutter Badu, 65 Jahre alt, Tochter Rhena, 30 Jahre alt, mit ihren Kindern Iman Hossain, 13 Jahre alt; Abdur Raham, 8 Jahre alt, Salim Ulla, 5 Jahre alt und Parmin, 6 Jahre alt (Mädchen). © Pilar

Rhena berichtet von grausamen Überfällen auf die Dorfbewohner. Sie musste dabei zusehen, wie junge Mädchen systematisch vergewaltigt wurden. Viele überlebten die Tortur nicht. Häuser wurden angezündet, die Männer willkürlich verhaftet. Auch ihr Mann, erzählt sie mir, wurde bei dem Versuch seine Familie zu schützen verhaftet. Rhena weiß bis heute nicht, wo er sich derzeit befindet oder ob er überhaupt noch am Leben ist. Diese Ungewissheit belastet die ganze Familie sehr.

Neben den traumatischen Erlebnissen leiden viele der geflüchteten Rohingya auch an gesundheitlichen Problemen. Sie sind krank, haben Fieber, leiden an Atemwegserkrankungen und sind extrem unterernährt. Es fehlt einfach an allem und die Menschen benötigen dringend Hilfe.

Welthungerhilfe verteilt Nahrungsmittel- und Hygienepakete

Zusätzlich zu den Reisverteilungen des World Food Programme verteilt die Welthungerhilfe Nahrungsmittelpakete mit Linsen, Öl, Salz und Zucker. Außerdem ist die Verteilung von Hygienepaketen geplant, die u.a. Seife, Windeln, Eimer, Wasserkanister und weitere Hygieneartikel enthalten. Die Mehrheit der Flüchtlinge ist erst seit einigen Tagen oder Wochen hier, andere wiederum schon seit 25 Jahren. Sie kamen mit dem ersten großen Flüchtlingsstrom im Jahr 1991 nach Cox’s Bazar. Schon damals gab es gewalttätige Übergriffe seitens der nicht muslimischen Bevölkerung in Myanmar. Diese Geschichten zu hören, ist einfach entsetzlich und verdeutlicht mir die enorme Tragweite und Dauer dieses Konflikts.

Das Erdrückendste an dieser humanitären Katastrophe ist für mich die ungewisse Zukunft der insgesamt über 830.000 geflüchteten Rohingya. Bisher gibt es keine Lösung für diesen Konflikt. Daher werden die Menschen auch weiterhin auf humanitäre Hilfe angewiesen sein.

Humanitäre Katastrophe stellt Bangladesch vor große Herausforderungen

Bangladesch muss sich aufgrund des massiven Ausmaßes dieses Flüchtlingszustroms weiteren Herausforderungen stellen. Die Rodung von Waldflächen und die Übernutzung natürlicher Ressourcen zur Sicherung der Lebensgrundlagen der Flüchtlinge werden schwerwiegende Folgen für die lokale Umwelt und Bevölkerung haben. Bangladesch zählte bereits vor dem Zustrom der Rohingya zu den am dichtesten besiedelten Staaten der Welt. 1.110 Einwohner pro Quadratkilometer, das sind fünfmal so viele wie in Deutschland.

Rohingya in Bangladesch: Menschen überqueren eine Brücke
Aus Myanmar geflüchtete Rohingya im Leda Camp, Bangladesch. © Pilar

Die Erfahrungen verschiedener Länder, die während humanitärer Krisen Flüchtlinge aufgenommen haben, zeigen, dass die internationale finanzielle Unterstützung im Laufe der Zeit abnimmt, wenn die Flüchtlingskrisen andauern. Der Druck seitens der internationalen Gemeinschaft zur Beendigung dieser Tragödie muss also erhöht werden. Gleichsam muss das Schicksal der Rohingya noch stärker in das Bewusstsein der Menschen rücken, um zu verhindern, dass es irgendwann als eine weitere „vergessene Krise“ aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwindet.

Über ihre langjährige, einheimische Partnerorganisation Anando versorgt die Welthungerhilfe im Distrikt Cox’s Bazar 2.600 Familien mit Nahrungsmitteln. Ein Experte des Nothilfe-Teams der Welthungerhilfe unterstützt die Partner, um die Aufstockung der Hilfe zu organisieren.

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