Indien: Frauen gegen Mangelernährung
In Orissa, einem Dorf in Ostindien, gründeten Frauen eine Selbsthilfegruppe – und retten Leben.
Als die 20-jährige Runi ihr erstes Kind auf die Welt bringt, sind die Frauen im Dorf schockiert. Das Baby ist schwach und klein, es wirkt abwesend und trinkt nicht. Das Dorf liegt in den Bergwäldern von Orissa im Osten Indiens, hier gilt es noch häufig als Schicksal, wenn Neugeborene sterben. Doch dieses Mal sagt sich die erfahrene Draupadi Pidikaka: „Nein, nicht schon wieder!“
Die Welthungerhilfe hat im Dorf eine Selbsthilfegruppe für Frauen initiiert. Draupadi Pidikaka als Älteste beruft sofort ein Nottreffen ein, zu dem auch die Gesundheitsberaterin kommt. Sie wiegt das Kind: nur 1.200 Gramm. Allen ist klar, dass es sofort medizinische Hilfe braucht. Doch die Eltern sind misstrauisch. Immer wieder sucht Draupadi Pidikaka das Gespräch und erklärt, dass ihr Kind stirbt, wenn sie nicht schnell handeln. Schließlich willigen sie ein.
Gesündere Nahrung für eine bessere Gesundheit
Bislang litten drei Viertel aller Haushalte drei bis vier Monate im Jahr an Hunger, drei von vier Kindern unter fünf Jahren sind aufgrund von Mangelernährung zu klein für ihr Alter. Die kargen Erträge einer monsunabhängigen Landwirtschaft, die regelmäßig von Dürre bedroht ist, können die Ernährung der Familien allein nicht sichern. Einkommensalternativen gibt es kaum. Vitaminmangel und Anämie sind vor allem unter Frauen und Kindern weit verbreitet. Aus diesem Grund startete 2011 die Welthungerhilfe gemeinsam mit acht indischen Partnerorganisationen die Maßnahmen der „Fight Hunger First Initiative“, die nun Wirkung zeigen.
Ziel dabei ist es, die Lebensbedingungen in fünf besonders von Hunger betroffenen indischen Bundesstaaten hinsichtlich Ernährung, Einkommen und Grundschulbildung nachhaltig zu verbessern. Der Ernährungs- und Gesundheitssituation von Müttern und Kindern wird dabei besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Nach dem PrinzipHilfe zur Selbsthilfe setzt die Welthungerhilfe hier auf Aufklärung und Bewusstseinsbildung, vor allem zur Ernährungssicherung.
Die Frauen unterstützen sich gegenseitig
Die Selbsthilfegruppe um Draupadi Pidikaka sammelt das Reisegeld, damit die Familie des Neugeborenen mit dem Bus zum Krankenhaus fahren kann. Das Baby ist inzwischen noch schwächer geworden. Im Krankenhaus wird es sofort medizinisch versorgt und bekommt Spezialnahrung. Nach drei Tagen trinkt es bereits und nimmt kontinuierlich an Gewicht zu. „Wir waren alle überglücklich im Dorf“, sagt Draupadi. Heute ist der Junge 18 Monate alt. „Er hat überlebt, weil wir als Frauengruppe gelernt haben, erste Anzeichen von Unterversorgung zu erkennen und dafür zu sorgen, dass medizinische Hilfe geleistet wird“, erzählt die Dorfälteste. „Außerdem weiß die Mutter jetzt, dass sie sich gesund ernähren muss, damit sie genug Milch hat.“
Damit auch andere Frauen und ihre Kinder gesund leben, besuchen Gesundheitshelferinnen regelmäßig die Dörfer. Sie kontrollieren Größe und Gewicht der Kinder, um Mangelerscheinungen rechtzeitig entgegenwirken zu können und erörtern mit den Frauen, was genau gesunde Ernährung bedeutet, wie man ein Kleinkind versorgt oder wie wichtig Händewaschen und sauberes Trinkwasser sind. Damit die nächste Generation unter besseren Bedingungen heranwachsen kann.
Die Förderung von Selbsthilfegruppen ist ein wichtiger Ansatz des Projektes, das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) anteilig unterstützt wird: In Dorf- und Schulkomitees, Mütter- und Jugendgruppen gemeinschaftlich organisiert, können die Familien ihre Interessen besser vertreten.