Die Arbeit der Welthungerhilfe in Indien
Indigene Kleinbauern gegen Großkonzerne
Im indischen Bundesstaat Chhattisgarh entsteht ein an Größe kaum zu übertreffender Schwerindustriepark. Die indigenen Adivasi wehren sich gegen Landenteignung und Vertreibung.
Stahlwerke, Kohlekraftwerke und Minen, die Uran, Eisenerz, Kupfer, Glimmer und Bauxit abbauen – im indischen Bundesstaat Chhattisgarh entsteht ein an Größe kaum zu übertreffender Schwerindustriepark. Die Atmosphäre: eine Mischung aus Industrieller Revolution, Mad Max und Wildem Westen. Doch was ist mit den indigenen Bewohnern der Gegend?
Den Adivasi wird das Land von indischen und transnationalen Großkonzernen buchstäblich unter den Füßen weggezogen.In den industriellen Ballungszentren ist er mittlerweile komplett verschwunden. Für die Adivasi bedeutet das: Landenteignung, Vertreibung, Arbeitsmigration und die schwerwiegende Umweltzerstörung und Verschmutzung ihrer Gebiete.
Rechte der indigenen Adivasi werden missachtet
Was können sie tun? Viele der Kleinbauern haben keine verbrieften Landtitel. Darüber hinaus erleichtern unklare Besitzverhältnisse den Landraub. Gegen Korruption und die Macht der großen Unternehmen ist schwer anzukommen. Laut indischer Verfassung gehört den Adivasi nach dem „Forest Rights Act 2006“ der Wald, indem sie leben, aber ihre Rechte werden immer weniger beachtet.
Einige junge Adivasi sehen keine Alternativen mehr und schließen sich deshalb den Naxaliten an. Bei den Naxaliten handelt es ich um eine militante maoistische Bewegung, die mittlerweile in 40% des indischen Territoriums aktiv ist. Ursprüngliches Ziel dieser Guerillabewegung war es, die Adivasi vor Vertreibung und Ausbeutung zu schützen. Inzwischen gehören jedoch Schutzgelderpressung und Entführungen zu ihrem Alltagsgeschäft – ebenso wie blutige Anschläge.
In Indien ist eine Spirale von Gewalt und Gegengewalt entstanden, bei der bereits tausende Menschen starben. Viele Menschen sind stark verunsichert. Indien ist zwar zum zehntreichsten Land der Erde geworden – es ist aber auch das Land mit der höchsten Zahl an Unterernährten. Ein Viertel aller Hungernden dieser Welt lebt in Indien und die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer.
Das Land ist gespalten in Anhänger eines konservativen Neoliberalismus, die weiterhin auf schnellen wirtschaftlichen Wachstum setzen – und Kritiker des westlichen Wachstumsmodells, die eine nachhaltige und inklusive Entwicklung verlangen.
Der armen Landbevölkerung eine Stimme geben
Einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt es aber. Mitten in der trostlosen Industrielandschaft von Chhattisgarh liegt der kleine Campus von Ekta Parishad, einer zivilgesellschaftlichen Bewegung, deren Ziel es ist, dass die arme Landbevölkerung wieder die Kontrolle über ihre natürlichen Ressourcen bekommt. Der Ashram, wie sie den Campus nennen, liegt in einem kleinen Stück Wald versteckt. Der einzige Wald weit und breit. Da fiel mir sofort die Einleitung von Asterix und Obelix ein: „Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.“ Im Gegensatz zu den Galliern und den Naxaliten sind die Aktivisten von Ekta Parishad allerdings gewaltfrei.
Flucht und Migration
In dem Ashram und anderen Trainingszentren sollen in Zukunft tausende junge Menschen aus den Dörfern geschult werden. Sie lernen die von Gandhi entwickelten gewaltfreien Methoden kennen, um Menschen für gesellschaftliche Veränderungen zu mobilisieren. In Gruppen diskutieren sie Fragen, wie zum Beispiel „wie entsteht Armut?“ oder „was heißt strukturelle Gewalt?“. Die Ergebnisse werden in Form von Sketchen, Liedern oder Vorträgen dem Plenum vorgestellt. Die Camps helfen ihnen, ihr Selbstbewusstsein zu stärken und ihr mangelndes Selbstbewusstsein gegenüber höheren Kasten und reichen Menschen zu überwinden. Sie erfahren, wie man sich mit anderen zusammenschließt, sich in Dörfern basisdemokratisch organisiert, Probleme analysiert und gemeinsam Lösungen erarbeitet. Ekta Parishad geht es dabei auch um die Förderung von „constructive work“. Junge Menschen sollen sich in der Gemeindearbeit engagieren, indem sie beispielsweise gemeinsam einen Bewässerungskanal renovieren, ein Gemeindezentrum bauen oder ökologische Landwirtschaft fördern.
Das Netzwerk von Ekta Parishad wird von Jahr zu Jahr größer.
Die Bewegung zeigt ein alternatives Entwicklungsmodell auf: Dezentral organisierte, lokale Ökonomien mit sich selbstverwaltenden Gemeinden, die auf Selbstversorgung, nachhaltige Lebensweise, fairen Handel und Nahrungssouveränität setzen.
Zivilgesellschaftliches Engagement und Proteste bringen Erfolg
Auch politisch konnte Ekta Parishad bisher einige Erfolge erzielen. So wurde im letzten Jahr das Reformvorhaben der Regierung zur Erleichterung der Enteignung von Kleinbauern zugunsten von Konzernen aufgrund der Proteste der Volksbewegung nicht durchgesetzt. Auch kürzlich demonstrierten wieder tausende Adivasi, Kleinbauern und Landlose aus verschiedenen Teilen Indiens im Regierungsviertel in Delhi, um die Umsetzung der Landrechtsreform voranzutreiben. Eine wichtige Forderung besteht darin, armen landlosen Familien das Recht auf ein kleines Stück Land zuzugestehen, damit sie darauf eine Unterkunft bauen können.
Schwierig ist, dass die Handlungsspielräume für zivilgesellschaftliche Akteure, die öffentlich Kritik äußern, Bürgerrechte einfordern, gegen soziale Missstände, Landraub und Umweltzerstörung protestieren, oft eingeschränkt sind. Umso wichtiger ist es daher, dass die Welthungerhilfe zivilgesellschaftliches Engagement fördert und mit Organisationen wie Ekta Parishad zusammenarbeitet. Zurzeit wird ein Programm zum Aufbau institutioneller Kapazitäten gemeinsam mit ihnen entwickelt, damit in den nächsten Jahren Finanzmanagement, Leitungsstrukturen, Kommunikationsstrategien, Vernetzung, Kampagnenarbeit und kommunale Arbeit effektiver gestaltet werden können.
Der Weg zu grundlegenden sozialen Veränderungen ist noch lang – aber Ekta Parishad gibt die Hoffnung nicht auf und ist immer wieder voller Optimismus. Im Jahr 2020 wollen sie einen Friedensmarsch von Delhi nach Genf organisieren, und zwar über Pakistan, Afghanistan, Iran und der Türkei.
Welthungerhilfe unterstützt zivilgesellschaftliche Bewegungen
Anfang 2016 startete die Welthungerhilfe in Indien ein Projekt, das zivilgesellschaftliches Engagement fördert und effektiver und transparenter machen will („building grassroots civil society cadres for effectiveness and transparency”). Unterstützt werden zwei der wohl größten zivilgesellschaftlichen Bewegungen Indiens:
- Jan Jal Jodo (People-Water Alliance) setzt sich für den Schutz der Ressource Wasser ein. An der Spitze der Bewegung steht Rajendra Singh, der wohl bekannteste Umwelt- und Bürgerrechtsaktivist Indiens. Seit mehreren Jahren führt die Welthungerhilfe mit Mitgliedsorganisationen der Wasserbewegung in Indien Modellprojekte durch, die ökologisch und demokratisch verantwortungsvollen Umgang mit Wasser demonstrieren.
- Ekta Parishad, 1991 vom Aktivisten PV. Rajagopal gegründet. Ziel: dass die arme Landbevölkerung wieder die Kontrolle über ihre natürlichen Ressourcen zurückerlangt. Ekta Pahishad orientiert sich an Mahatma Gandhis gewaltlosem Widerstand und möchte durch Verhandlungen und friedliche Aktionen Veränderungen erzielen. Rund 150.000 Aktivisten (Bauern, Künstler, Sänger, Juristen, Lehrer, etc.) aus über 5.000 indischen Dörfern sind involviert. Neben gezielter Gemeindearbeit organisiert Ekta Pahishad regelmäßig riesige Volksmärsche.