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26.02.2015 | Blog

Eine Doktorarbeit über Bohnen?

Noch ganz unter dem Eindruck von Pepe und Vildas Künsten der Konservierung und den Kopf voll mit Fachausdrücken führt uns die nächste Reise in den Westen Kubas. In San Andrés, einem kleinen Bauerndorf in den Bergen um Pinar del Río, besuchen wir die Bauernfamilie Pimentel Válido

Eine Frau füttert Hühner
Spannende Gespräche auf Kuba: Zu Besuch bei María. © Welthungerhilfe/Eberle
Katharina Philipps Team Communications (bis 2016)

Die Finca von María und Agustín liegt idyllisch in der Nähe des Touristen-Hotspots Vinales – eine Gegend, die berühmt ist für ihre üppig grüne Tropenlandschaft, die bizarren kegelförmigen Hügel  und die verwunschenen Höhlen und Wasserfälle. In San Andrés ist der Tourismus noch nicht angekommen. Werbeschilder für Zimmer in „casas particulares“ – dem kubanischem Pendant zum Bed & Breakfast – fehlen hier völlig, Ausländern begegnen wir gar nicht.

Von der normalen Bauerfamilie zu den Wissenvermittlern

María hat vor einigen Jahren eine Schulung bei Vilda und Pepe besucht und konserviert nun selber alles, was auf ihren Feldern wächst. Aber nicht nur María sondern auch ihr Mann Agustín und der 25-jährige Sohn Roiber sind seit vielen Jahren sehr aktiv im Welthungerhilfe-Projekt. Begonnen hat alles, weil die Familie ihre Ernte erhöhen wollte. Deshalb haben sie eine Ausstellung des nationalen Landwirtschaftsinstituts INCA besucht, bei der sich Landwirt*innen über diverse Sorten austauschen, und dort Samen bekommen. „Wir haben unsere Parzellen verkleinert und die neuen Sorten ausgesät. Alle haben uns für verrückt erklärt,“ erzählt Maria. Doch es hat funktioniert, die Ernte war gut und die Nachbar*innen wollten wissen, wie María und Agustín das hingekriegt haben. So sind sie quasi von selbst in die Rolle der Wissensvermittler geschlüpft.

Mittlerweile gibt es sogar einen Agronomen in der Familie. Roiber hat am Landwirtschaftsinstitut in Pinar del Rio studiert und seine Abschlussarbeit über Bohnen geschrieben. Ein ganz praktisches Problem gab den Ausschlag für die Themenwahl: Die Bohnensorten, die lokal ausgesät wurden, waren nicht sehr ertragreich. Roiber wollte neue Sorten testen und hat deshalb im Versuchsfeld der Hochschule 62 verschiedene Sorten ausgesät, 16 hat er für seine Doktorarbeit untersucht. Die Ergebnisse sind nicht etwa in den Regalen der Universiätsbibliothek verstaubt. Er hat sie auf Landwirtschaftsmessen präsentiert und dafür gesorgt, dass die besonders ertragreichen Sorten in der Region verbreitet werden. Auf den eigenen Feldern bauen sie sieben verschiedene Sorten an.

„Vom Ansetzen der Samen… bis zum Drehen der Zigarre ist alles reinste Handarbeit.“

Die Bohnen sind jedenfalls sehr lecker, wie ich mich beim Mittagessen überzeugen kann. Überhaupt schmeckt alles herrlich, was bei María und Agustín wächst. Wir werden mit frischem Salat und Tomaten, Reis und Yucca verwöhnt. Und testen Malanga, ein Wurzelgemüse, das ich noch nie in Deutschland gesehen habe. Zum Nachtisch bekommen wir eine Kostprobe von Marias Konservierungskünsten: Dulce de Naranja – ein Gelee aus eingemachten gesüßten Orangenschalen nach eigenem Hausrezept. Ich bin sofort süchtig.

In der Produktion liegt der Schwerpunkt wie bei allen Landiwrt*innen der Kooperative auf Tabak. Ein sehr aufwändiger Prozess, denn die Blätter werden einzeln gepflückt und in einem großen Holzschuppen neben dem Wohnhaus zum Trocknen aufgehängt. „Wir haben jedes Blatt 30 Mal in der Hand gehabt, bevor es in den Verkauf an die Tabakfabriken geht“, erklärt uns Agustín. Kein Schritt der Produktion der weltberühmten Cohiba und Montecristo  – mit Rum und Zucker der größte Exportschlager Kubas ist maschinell: Vom Ansetzen der Samen, über das Ernten und Trocknen der Blätter bis hin zum Drehen der Zigarren ist alles reinste Handarbeit.  Absoluter Wahnsinn, was da für eine Arbeit drin steckt.

Der Besuch bei María, Agustín und Roiber ist für mich ein Crashkurs in kleinbäuerlicher Landwirtschaft. Dabei profitiere ich von der unglaublichen Geduld der drei, die mir jede noch so dumme Frage bis ins Detail beantworten. Man merkt deutlich, dass wir nicht die Ersten sind, denen sie beibringen, woher das Essen auf unserem Teller kommt. Jeden Samstag kommen Schüler*innen aller Altersklassen, um in einem Versuchsgarten zu üben, wie man Gemüse anbaut. Ziel ist es, den Kindern Grundwissen über die Landwirtschaft beizubringen und die Landflucht, die auch in Kuba eingesetzt hat, einzudämmen. Bei Roiber, der Koordinator der Jugendarbeit in Provinz ist, lernen sie auch viel über die traditionelle bäuerliche Kultur und singen, musizieren und tanzen gemeinsam. Doch nicht nur kubanische Kinder und die Nachbar*innen wollen von den Landwirrt*innen lernen wegen der engen Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Instituten kommen auch viele kubanische Studierende zu Besuch.

Das kubanische Wörterbuch

Für die Zukunft haben die drei auch schon neue Ideen: Angeregt durch das große Interesse an ihrer Arbeit wollen sie ein kleines Agrotourismus-Projekt starten. Die Idee finde ich einfach und überzeugend: Die Besucher*innen sollen lernen können, wie sie ihr Gemüse selbst anbauen. Nachfrage gibt es dafür bestimmt genug, wenn ich an all die Foren denke, in denen sich Europäer*innen und Amerikaner*innen über Anbau-Tricks und Urban Gardening austauschen. Ich hoffe, dass ich in ein paar Jahren wiederkommen kann und bei den dreien endlich lerne, wie ich meine eigenen Balkontomaten ziehen kann.

Im Projekt PIAL unterstützt die Welthungerhilfe die kubanische Landbevölkerung dabei, innovative Produktions- und Verarbeitungstechnologien zu entwickeln und zu verbreiten. Dazu zählen zum Beispiel Methoden der Saatgutlagerung, der Einsatz von lokal selektiertem und vermehrtem Saatgut, die Herstellung von organischem Dünger und die Nutzung einfacher Technologien zur Produktverarbeitung. Bauerngruppen tauschen ihre Kenntnisse untereinander aus – campesino a campesino nennt sich das Prinzip. All diese Neuerungen bieten ein hohes Potential für die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität. Dazu arbeitet die Welthungerhilfe mit dem nationalen landwirtschaftlichen Forschungsinstitut INCA und Universitäten im ganzen Land zusammen. Ziel ist es, die Lebensqualität der kubanischen Landbevölkerung langfristig zu verbessern.

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