Meine Bilanz nach einem Jahr Welthungerhilfe
Ein Jahr Vorstandsvorsitzender der Welthungerhilfe: Wie war das? Dr. Till Wahnbaeck zieht Bilanz.
Fast hat man den Eindruck, eine Krise folge der anderen ohne Atempause: Das Erdbeben in Nepal vor einem Jahr, die Flüchtlingskrise, die „vergessene Krise“ mit Hungertoten in Äthiopien, zuletzt die entsetzliche Dürre in Indien. Es stimmt, und doch: die Krisen spiegeln nur einen Teil der Wahrheit.
Bilanz: Weniger Kindersterblichkeit, weniger Hunger
Denn auf der anderen Seite funktioniert so vieles im Bereich der Entwicklung: So haben Kinder in den sogenannten Entwicklungsländern heute deutlich bessere Überlebenschancen. Starben dort 1960 noch über 20 Prozent aller Kinder vor ihrem fünften Geburtstag, ist dieser Anteil auf unter 5 Prozent gesunken; und wo weniger Kinder sterben, geht das Bevölkerungswachstum zurück. Gute Entwicklungsarbeit ermöglicht immer mehr Menschen, ohne Hunger zu leben – und das nicht nur, wie oft vermutet, in China und zulasten der Umwelt, sondern in vielen weiteren Entwicklungsländern.
Wir müssen uns darauf einstellen, dass beides stimmt: Die Welt wird schlechter, und sie wird besser.
Dr. Till WahnbaeckCharles Dickens hat von „best of times, worst of times“ gesprochen, und er hatte Recht. Umso wichtiger ist es für die Welthungerhilfe, beide Welten miteinander zu verbinden: Die Welt, in der es humanitäre Nothilfe braucht, denn die Krisen und Katastrophen werden nicht weniger. Und die Welt, in der Entwicklung funktioniert und wir mit unseren Partnern erfolgreich an Strukturen arbeiten können.
Viele Bausteine machen die Organisation stark
Als ich vor einem Jahr mein Amt antrat, hatte ich von außen ein sehr positives Bild von der Welthungerhilfe. Jetzt, nach einem Jahr, sehe ich die Organisation von innen, und weiß: Der Eindruck stimmt. Ich bin immer wieder aufs Neue beeindruckt von dem Respekt, der uns entgegengebracht wird und der Qualität unserer Arbeit.
Meine Reisen in Projektländer haben mich darin ebenso bestärkt wie die vielen Gespräche mit meinen Kollegen. Von jeder Reise habe ich einen weiteren Baustein mitgebracht, der für mich die Stärke der Organisation ausmacht:
- Aus Nepal die Kraft unserer Nothilfe.
- Aus Syrien unsere Bedeutung als Krisenpartner der Bundesregierung.
- Aus Äthiopien die Stärke unserer Politikarbeit, die Gesetzgebung im Sinne der Ärmsten beeinflusst.
- Aus Kenia die Innovationskraft einer Organisation, die ein „Ebay für Kühe“ erfindet.
- Aus Indien unseren Ansatz einer integrierten Landwirtschaft, der Menschen die Wahl gibt, welches Leben sie führen wollen.
- Aus Haiti und der Dominikanischen Republik das „Vorher-Nachher“ einer gelungenen Entwicklung.
- Aus Afghanistan die Qualität unseres Sicherheitsmanagements, das unsere Mitarbeiter weitestgehend schützt.
- Und aus Deutschland die Expertise und Zuverlässigkeit, mit der wir über Jahrzehnte eine beeindruckende Reputation aufgebaut haben.
Und überall wo ich war: die Qualität unserer Kollegen. Selten zuvor habe ich so unterschiedliche Menschen kennengelernt, die ein Ziel eint: die Welt ein stückweit besser zu machen und den Hunger zu überwinden.
Ansporn, noch besser zu werden
Dafür stellen wir uns Fragen nach Effizienz und Wirksamkeit, dafür konzentrieren wir uns noch stärker auf unser Kernmandat der Hungerbekämpfung, dafür wollen wir noch innovativer werden. Die Welthungerhilfe kann stolz auf das Erreichte sein. Für uns ist es ein Ansporn, in Zukunft noch besser zu werden.
Wir kommen in der Not und wir bleiben, um den Aufbau zu begleiten. Und wenn es wieder kracht, sind wir da – mit gewachsenen Strukturen, Vertrauen und Erfahrung. Entwicklung ist kein linearer Prozess, aber der Wechsel von Erfolgen und Rückschlägen sollte die Hungernden der Welt jedes Mal ein stückweit stärker zurücklassen. Dafür kämpfen wir.