Die Arbeit der Welthungerhilfe in Äthiopien.
Mit Clueso durch Äthiopien
Clueso, Max Herre - alle Musiker sind sichtlich ergriffen vom Ausmaß der Dürre in Äthiopien. Doch sie sehen auch die Erfolge der Wasser-Projekte der Welthungerhilfe.
Ich begleite Clueso und seine Mitmusiker und Freunde bei ihrer ersten Reise nach Äthiopien. Dort angekommen besuchen sie einige WASH-Projekte der Welthungerhilfe (WASH steht für Water, Sanitation and Hygiene), die unser langjähriger und eindeutig hipperer Partner Viva con Agua schon seit Jahren unterstützt und mitfinanziert. Die Vivas haben viel vor: Die Begegnung Cluesos mit Äthiopien soll gefilmt werden, ein Song soll entstehen und Konzerte gespielt werden.
Stadt, Land, Klo
Wir landen frühmorgens in Addis Abeba und werden von Welthungerhilfe-Kollegen und dem Filmteam empfangen, ein gemieteter Bus bringt uns direkt vom Flughafen nach Sodo, ein Dorf in der Nähe der Hauptstadt, in dem die Welthungerhilfe Brunnen gebohrt und Toiletten gebaut hat.
Und schon die Fahrt nach Sodo wird symptomatisch für die gesamte Reise: Wir halten unterwegs an, um Pause zu machen, und werden sofort mit der Klo-Thematik konfrontiert. Das Straßencafé hat für die Notdurft ein freies Feld im Hinterhof anzubieten, „open defecation“ (Verrichten der Notdurft auf freiem Feld, ohne Schutz und Hygiene) zum Riechen und Selbsterleben.
Clueso und seine Freunde spielen am Straßenrand ein paar Songs, umringt von musikbegeisterten Kindern, die mitklatschen und die Instrumente anfassen.
Nach einigen im Staub und Stau verbrachten Stunden erreichen wir Sodo und werden von den Dorfbewohnern empfangen, die bei sengender Mittagshitze nach Alter und Geschlecht sortiert im Spalier aufgestellt auf uns warten: Das Krampfpotential ist hoch. Doch ohne zu zögern, drücken Clueso und die Musiker Tim Neuhaus und Norman Sinn hunderte von Händen und erwidern schließlich das Begrüßungslied, das eines der Mädchen unermüdlich darbietet. Das Lied des Mädchens ist geeignet, jemanden in Trance zu versetzen: Die Hitze, die Sonne und der durchdringende Rhythmus, der sich endlos hinzieht. Und noch eine Strophe, und noch eine, und noch mal.
Auf einen Kaffee mit Teshome
Wir werden anschließend in eine große Hütte geführt, das Communal House, Grußworte werden gesprochen und erwidert, Kaffee (und Popcorn!) gereicht und Brot geteilt. Hier ist es kühl, und so gestärkt gibt es noch mehr Musik. Ich sitze da und habe das Gefühl, dass das ein wichtiger Moment ist, den ich mir gut einprägen sollte. Neben Clueso sehe ich hier weitere Prominente: den Dorfältesten Teshome Mechasa und seine Frau, die den Kaffee zubereitet, und deren ausdrucksvolle Gesichter mir so sehr vertraut sind von vielen Spenderbriefen und Magazin-Covern der Welthungerhilfe. Sie zu treffen fühlt sich fast schon familiär an.
Wir schauen uns noch ein paar der von uns gebauten und von Viva con Agua finanzierten Brunnen an, hören, wie sehr sie das Leben in Sodo verbessert haben. Wir sehen auch Toilettenhäuschen, wo früher „open defecation“ üblich war oder auch das Phänomen der „Flying Toilets“, das meine Kollegin Francesca wie folgt beschreibt: „If you put your number two in a plastic bag and simply throw it away.“ Die Folge sind die stark verbreiteten Durchfallerkrankungen, an denen insbesondere kleine Kinder sterben. Ihre von Unterernährung geschwächten Körper haben keine Abwehrkräfte mehr, um eigentlich verkraftbare Krankheiten wegzustecken. Fliegen tragen die Bakterien in die Haushalte und sorgen dafür, dass selbst Wasser, das noch sauber aus den Brunnen fließt, stark verschmutzt genutzt wird. All das ist jetzt besser in Sodo, das hören, sehen und riechen wir. Wir schlafen hier alle zusammen in der Gemeinschaftshütte, umhüllt von absoluter Stille, abgerissen von sämtlichen Netzverbindungen.
Am nächsten Tag lassen wir uns die neuen Gemüsefelder zeigen, die mit Hilfe von simplen, aber effektiven Bewässerungssystemen den Menschen in Sodo ermöglichen, neben dem herkömmlichen Teff-Getreide auch Kartoffeln, Zwiebeln und Chilis anzubauen. Damit können die Menschen hier nicht nur ihre Familien gesünder ernähren, sondern auch siebenfach höhere Erträge beim Verkauf auf dem Markt erzielen. Mein Kollege Teshome Gerbi greift mit bloßen Händen in die Erde, um die Setzlinge zu richten. Clueso macht sofort mit, Zwiebeln werden aus der Erde gezogen und gekostet und auch die Chilis probiert (super scharf!). Nachmittags verlassen wir Sodo und fahren nach Addis Abeba, zurück zu den Handynetzen, zu Straßenlärm und Abgasen, immer begleitet von Musik.
In Addis treffen die Musiker auf den äthiopischen Jazzpianisten Samuel Yirga, gemeinsam wird ein Song aufgenommen und Pläne für das gemeinsame Konzert in einer Woche geschmiedet. Am Montag fliegen wir weiter nach Bahir Dar, drittgrößte Stadt Äthiopiens und Provinzhauptstadt der Amhara-Region. Hier sehen wir noch weitere Projekte, diesmal im urbanen Kontext. Hier kann man die Folgen der Landflucht sehen und wiederum riechen: Die Stadtbevölkerung hat sich innerhalb von zehn Jahren verdoppelt, die Slums wachsen, in den Hütten gibt es keine Toiletten, es gibt keine funktionierende Kanalisation.
V.I.P.-Latrinen und singende Botschafter
Wir besuchen zuerst eine Schule, in der die Welthungerhilfe sogenannte V.I.P.-Klos gebaut hat. Das sind Plumpsklos mit besonderen Belüftungssystemen, die verhindern, dass Fliegen sich auf die Fäkalien stürzen und die Bakterien verbreiten. Eine ausgewählte Gruppe von Kindern, die sich als WASH-Botschafter bezeichnen, singt ein Lied über die Bedeutung des Händewaschens und der Körperhygiene und zeigt dabei, wie man das so macht. Clueso fragt nach: Alle haben sich freiwillig dazu gemeldet und tragen ihre weißen Ambassador-Schürzen mit Stolz.
Ein Kollege berichtet außerdem über die wichtige Rolle von abschließbaren Toiletten und Aufklärung für die Mädchen: Früher sind viele von ihnen während ihrer Periode zuhause geblieben, weil sie in der Schule keine Rückzugsmöglichkeiten hatten und ungeschützt im Freien ihre Binden (wenn sie überhaupt welche hatten) wechseln mussten. Das sind im Schnitt fünf Fehltage im Monat.
Welthungerhilfe = food for the brain
Welthungerhilfe – das sei nicht nur Essen verteilen, was er vorher damit assoziierte, das sei richtig „food for the brain“, sagt Norman Sinn. Und ich bin glücklich, dass das, was uns in Deutschland zu erklären oftmals zu komplex erscheint, hier so offenkundig wird.
So beschwingt durch die Projektfortschritte lauert die andere Realität aber unmittelbar hinter der nächsten Ecke: Auf dem Weg nach draußen sehen wir ein Mädchen ohnmächtig auf dem Boden liegen. Die Lehrerinnen stehen einigermaßen gleichgültig daneben, es ist nicht klar, woran das Kind leidet. Nach langen Diskussionen wird es in ein Krankenhaus gebracht. Die Lehrerinnen lassen sich von all dem nicht aus dem Konzept bringen, eine von ihnen hat einen Stock in der Hand. Der Stellenwert des Kindes und die Erziehungsmethoden scheinen daran evident zu werden – gleichzeitig befürchte ich, Momentaufnahmen falsch zu bewerten.
Nach der Schule schauen wir uns Gemeinschaftstoiletten in den Slums von Bahir Dar an. Vier abschließbare Plumpsklos für jeweils fünf Familien, die für deren Betrieb und Instandsetzung selbst sorgen, mit Wasserhähnen davor und hübschen Bildern mit Anleitung zum richtigen Händewaschen. Vor den Toiletten kauert im Schatten eine Gruppe von älteren Frauen. Wir werden sofort zum Essen eingeladen, Clueso wäscht sich ganz vorbildlich die Hände, Michael Fritz von Viva con Agua ist auch in dieser Situation ein richtiger Icebreaker. Er stellt die richtigen Fragen zur sanitären Versorgung und fragt anschließend nach dem neuesten Klatsch aus der Nachbarschaft.
Von den Gemeinschaftsklos ist es nicht mehr weit zum städtischen Krankenhaus von Bahir Dar, wo die Welthungerhilfe nicht nur Toiletten gebaut, sondern auch eine daran angeschlossene Biogas-Anlage installiert hat. Das Gas wird zum Kochen in der Krankenhausküche genutzt. Wir schauen uns alles an, streifen durch das Krankenhausgelände und sehen die engen, vollgepferchten Räume, laufen durch Krankheit, vorbei an schmerzverzerrten Gesichtern, Ohnmacht und Apathie. Ohne die Biogas-Anlage könnten die Patienten nicht richtig ernährt werden, denn Strom gibt es hier nur etwa drei Stunden am Tag. Also absolut sinnvoll – doch zu sehen, dass es noch so viel weiteren Handlungsbedarf gibt, erschlägt mich.
Dürrekatastrophe und die Folgen
Und das war lange noch nicht alles. Denn schließlich sind wir hier nur 50 Kilometer entfernt von den Dürregebieten, in denen Menschen schon seit Monaten keinen Regen gesehen haben, deren Ernten verdorrt und deren Ziegen und Kühe verdurstet sind, die keine Lebensgrundlage mehr haben und akut von Hunger bedroht sind. Die Dimensionen sind furchterregend und skandalös: 20 Millionen Äthiopier sind betroffen, 400.000 Kinder akut von Mangelernährung bedroht, die Vorräte sind aufgebraucht, und die Hilfslieferungen reichen nur noch für wenige Wochen. Meine Kollegin Francesca, die die Dürregebiete besucht hat, berichtet eindringlich über das Erlebte, über Menschen, denen sie begegnet ist und von denen sie nicht weiß, ob sie es schaffen werden. Das Rennen gegen die Zeit, die Krise als Dauerzustand, verursacht von vielen Faktoren, von denen der Klimawandel ein entscheidender ist.
Die Musiker sind sichtbar und spürbar ergriffen, das Ausmaß der Katastrophe war ihnen vorher nicht so klar. Kein Wunder, dringen doch die Bilder und Berichte aus Äthiopien kaum bis zur europäischen Öffentlichkeit durch. Sie wollen etwas tun und helfen, sie posten Spendenaufrufe, um den Menschen dauerhaft aus eigener Kraft ein Leben frei von Hunger und Armut möglich zu machen, und wissen hoffentlich, dass schon allein ihr Interesse, ihre Präsenz so wertvoll für alle hier sind.
„So leicht muss Liebe sein!“
Zurück in Addis Abeba treffen wir Max Herre und Samon Kawamura, die ebenfalls gekommen sind, um das Vorhaben von Viva con Agua zu unterstützen, um in Addis gemeinsam mit Clueso einen Song aufzunehmen und zwei Konzerte zu spielen. Sie treffen äthiopische Musiker, eindrucksvolle Talente wie Ebony J und nationale Megastars wie Sileshi Demissie (Gash Abera Molla). Sie treten gemeinsam auf, und ich fühle mich so bereichert, dabei zu sein und all die Liebe und Schönheit, Solidarität und Freude zu erleben, die Musik vermitteln kann.
Danke, Clueso und Max Herre, Tim Neuhaus und Norman Sinn, Samon Kawamura und Philipp Heerwagen, Can Azizoglu und Tino. Dank an die äthiopische und die internationale Film-Crew, an Christoph Köstlin und Simon Wahlers, Micha Fritz und Agnes Leder sowie ganz besonders an das Team Welthungerhilfe Äthiopien für diese einzigartige Erfahrung!