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07.05.2018 | Blog

Neuanfang mit Fußball und Saatgut

Jahrzehnte voller Krieg und Gewalt prägten das Leben der Menschen in der Zentralafrikanischen Republik – und bestimmen es noch heute. „Kann man in so einem Land wirksame Entwicklungshilfe leisten?“, fragte sich Till Wahnbaeck, ehemaliger CEO der Welthungerhilfe, bevor er in den krisengeschüttelten Staat aufbrach.

Dr. Till Wahnbaeck Vorstandsvorsitzender (bis 08/2018)

Die zentralafrikanische Republik ist eines der schlimmsten Pflaster der Welt. Von den 188 Ländern im Human Development Index belegt es Platz 188. 40% der Kinder sind mangelernährt, in einigen Regionen sind 70% der Frauen und Mädchen vergewaltigt worden. Strom gibt es nicht: sobald Strommasten aufgebaut werden, sind am nächsten Morgen die Kabel geklaut, denn Kupfer ist wertvoll. Kann man in so einem Land wirksame Entwicklungshilfe leisten? Oder verlieren unsere Kolleg*innen vor Ort den Mut? Mit diesen Fragen bin ich nach Bangui gereist. Bereits einmal war die Reise wegen Sicherheitsbedenken abgesagt worden, noch immer gibt es Schießereien in der Hauptstadt. Erst zwei Tage vor Abflug entscheidet der Landesdirektor Alassane Cissé, ein krisengestählter Kollege aus Mali, dass ich kommen kann.

100 Hektar Land für ein neues Leben

Beim Anflug fällt mir zunächst auf, was ich nicht sehe. Noch vor einem Jahr lebten Binnenflüchtlinge buchstäblich auf der Landebahn des Flughafens von Bangui. Sie bauten neben den Pisten Gemüse an und brachten sich beim Anflug einer Maschine, zwei Maschinen pro Woche aus Paris, sonst überwiegend UN-Flüge, in Sicherheit. Mittlerweile sind Tausende umgesiedelt: Auf 100 Hektar Land, die die Regierung nach Verhandlungen mit der Welthungerhilfe zur Verfügung gestellt hat. Wir haben auf dem Gelände einen Marktplatz und eine Schule gebaut. In einem Trakt werden die Kinder unterrichtet, in einem anderen lernen deren Mütter lesen und rechnen. Aus den 100 Hektar Brachland sind reiche Gemüsebeete geworden, Projektmitarbeiter*innen lehren Gemüseanbau, und die Frauen bauen nun neben Amarant auch Zwiebeln, Karotten, Gurken an. Erste Erfolge zeichnen sich ab: 95% der Menschen im Projektgebiet haben mittlerweile eine ausgewogene Ernährung; im nationalen Durchschnitt sind es 55%.

Innovative Ernährungssicherung im Rahmen des LANN+-Programms

Andere Erfolge kann man nur spüren und schlechter messen: Unser Projektleiter zeigt auf all die Hütten und Häuser, die rund um den Marktplatz gebaut worden sind. Was früher eine Slumsiedlung am Flughafen war, hat sich fast schon zu einem kleinen Dorf entwickelt. Unsere Arbeit dort ist noch nicht nachhaltig, würden wir uns jetzt zurückziehen, würden die ersten zarten Strukturen wieder zerstört. Klar ist mir aber, dass unser integrierter Ansatz hier funktionieren kann: verbesserte Anbaumethoden, Marktzugang, Bildung. In meinen Gesprächen mit dem Landwirtschaftsminister weise ich darauf hin, dass die Regierung sich jetzt um die Überlebensfähigkeit dieses Projektes kümmern muss. Zum Beispiel, indem sie für vernünftige Verkehrsanbindungen sorgt. Ich habe den Eindruck, die Botschaft kommt an und wird aufgenommen.

Frauen bei Feldarbeit
Eine Frau bei der Feldarbeit in Ngoulekpa und Boussamoa. © Kai Loeffelbein

Die meisten Ausländer wohnen in Bangui im Hotel Ledger, hochbewacht, umzäunt, die Nacht für $200. Ich will nicht so abgeschottet sein, nach Rücksprache mit unserem Sicherheitsmanager komme ich in einem kleinen Kloster direkt in der Stadt unter. Was für ein Kontrast: abends noch höre ich Schüsse aus dem angrenzenden Stadtviertel „PK5“, morgens läuten die Kirchenglocken und ich gehe um 6 Uhr zur Morgenmesse in der Kathedrale der Stadt: fast 80% der Zentralafrikaner sind Christen, mit der muslimischen Minderheit gibt es seit der Krise 2013 immer wieder Streit. 

Dr. Till Wahnbaeck, Vorstandsvorsitzender der Welthungerhilfe bis 08/2018

Wie so oft auf der Welt, ist es eigentlich kein religiöser Konflikt, sondern ein Kampf um Ressourcen.

Dr. Till Wahnbaeck ehemaliger CEO der Welthungerhilfe

Auch hier, wie so oft auf der Welt, ist es eigentlich kein religiöser Konflikt, sondern ein Kampf um Ressourcen, vor allem Gold und Diamanten, die weiter im Norden abgebaut werden. 

Der Ansatz der Welthungerhilfe: Lokales Wissen nutzen, bestehende Strukturen wiederaufbauen

Weiter geht es ins Landesinnere zu einem weiteren Projekt der Welthungerhilfe: Wir haben dort eine landwirtschaftliche Forschungseinrichtung wiederaufgebaut, die im Krieg völlig zerstört war. Zusammen mit Forschern aus der Region züchten wir verbessertes Saatgut. Auf den Feldern sehe ich den Unterschied: Maniok, Bananen, Mais – die Erträge auf den Versuchsfeldern liegen um ein Vielfaches über denen vom normalen, oft importierten Saatgut schlechterer Qualität. Auch hier ist die zarte Pflanze der Entwicklung noch zu schwach, aber auch hier ist der Ansatz vielversprechend: Lokales Wissen nutzen, bestehende Strukturen wiederaufbauen und stärken, Landwirt*innen in Kooperativen zusammenfassen und ihnen dabei helfen, das Saatgut zu vermehren und damit selbst ein Einkommen zu erzeugen. Gerade in Ländern mit hoher Korruption ist es am besten, direkt auf die Dorf- und Bauernebene zu gehen. Das Geld, das in solche Projekte fließt, kommt an. Trotzdem ist auch hier der Kontakt mit der Regierung wichtig, denn nur gemeinsam können aus einzelnen Projekten mit Pilotcharakter Entwicklungen werden, die in die Breite gehen. 

Mit Fußball sozialen Zusammenhalt fördern

Zurück in der Hauptstadt besuche ich zuletzt ein eher untypisches Projekt der Welthungerhilfe: eine „Fußballschule für den Frieden“. 600 Jungen werden hier nach FIFA-Regeln ausgewählt und ausgebildet. 

Inhaltlich geht es um Fußball, aber eigentlich geht es um sozialen Zusammenhalt: Die Kinder, von denen viele einmal Kindersoldaten waren, lernen hier, sich friedlich zu streiten und zu messen. Auch hier ist wieder einmal die Rolle der Frauen zentral: das Projekt bringt Frauen verschiedener Religionen zusammen – bei meinem Besuch rede ich mit einer Christin, einer Muslimin und einer Anhängerin des Baha’i Glaubens – und nutzt Theater und Pantomime, um Konflikte deutlich zu machen und dann im Gespräch zu überwinden. 

Factsheet zum Projekt "Fußballschule für den Frieden" in der zentralafrikanischen Republik.

Auf den ersten Blick hat das nicht viel mit dem Kernmandat der Welthungerhilfe, der Hungerbekämpfung, zu tun. Auf den zweiten Blick sehr wohl: Wenn Krieg und Gewalt herrscht, gehen die Menschen nicht auf ihre Felder. Mehr als 50% der Ackerflächen lagen im letzten Jahr in der zentralafrikanischen Republik brach. 

Meine Reise nach Zentralafrika endet mit einer Diskussion mit meinen knapp vierzig Kolleg*innen im Landesbüro, viele aus dem Land, einige aus Europa, West- und Ostafrika. Auf meine Frage, ob unser Ziel „Null Hunger bis 2030, wo immer wir arbeiten“, in ihrer Situation nicht naiv und weltfremd wäre, haben sie geantwortet: „Wir schaffen es nicht im ganzen Land, aber mit etwas Stabilität dort wo wir arbeiten: ja, das Ziel können und werden wir erreichen“. Wenn meine Kolleg*innen in einem Ort wie Bangui, wo nachts die Kugeln fliegen, daran glauben, dann können wir es auch. 

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