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16.10.2018 | Blog

Nur Frieden ist eine Lösung

Terroranschläge, Gewalt, Armut und Hunger gehören für viele Menschen in Afghanistan zum Alltag. Am 20. Oktober, ein vermeintlicher Hoffnungsschimmer - konnten die Afghan*innen ein neues Parlament wählen. Thomas ten Boer, Landesdirektor der Welthungerhilfe in Afghanistan, beschreibt im Interview Hoffnungen und Herausforderungen rund um die wichtige Wahl.

Eine geflüchtete Familie in einem Camp in Kabul
Eine geflüchtete Familie in einem Camp in Kabul. Die Fluchtursachen in Afghanistan sind vielfältig: Krieg, Konflikte, Armut, Hunger - die Menschen flüchten aus Angst und Leid, meist mehrere Male in ihrem Leben. © Welthungerhilfe/Sayed Abdul Tawab Sadaat

Die Parlamentswahlen in Afghanistan wurden wegen Sicherheitsgründen und logistischer Herausforderungen immer wieder verschoben. Was halten die Menschen von der Wahl? Welche Erwartungen gibt es?

Thomas ten Boer: Politische Parteien und die Zivilgesellschaft sorgen sich vor Wahlbetrug und werfen der Unabhängigen Wahlkommission (IEC) und der Regierung mangelnden Willen vor, eine faire und transparente Wahl im Land durchzuführen. Tatsächlich gibt es Fälle, in denen sich Wähler*innen mehrfach in das Wählerverzeichnis eingetragen haben. Deshalb hat die Regierung hat ein biometrisches System eingeführt, bei dem die Wähler*innen nach der Abstimmung und dem Verlassen des Wahllokals ihren Fingerabdruck geben müssen, um Unregelmäßigkeiten zu verhindern.

Parlamentswahl in Afghanistan

Das afghanische Parlament hat 249 Sitze, um die sich am 20. Oktober 2.500 Kandidat*innen bewarben. Die politische Landschaft ist ziemlich gespalten, die meisten Kandidat*innen sind nicht parteigebunden, fühlen sich häufig eher ihrem direkten Umfeld verpflichtet als dem Wohl des Landes. Es ist erfrischend zu sehen, dass die Zahl der Neueinsteiger*innen und jüngeren Kandidat*innen relativ hoch ist. Die Wahlergebnisse werden im Dezember erwartet.

Den Menschen fehlt es an Vertrauen, dass ein neues Parlament die Situation wirklich ändern kann, da viele Kandidat*innen eher aufgrund ethnischer oder Stammespräferenz gewählt werden, als auf Grund ihres Programms.

Afghanistan erhofft sich Frieden. Frieden, der dringend benötigt wird, um Entwicklung zu fördern, die tägliche Angst zu beenden, ein normales Leben zu ermöglichen und Beschäftigung und Bildung zu schaffen. Der Frieden kann Familien zusammenbringen, die heute geteilt sind, angesichts von Millionen Afghan*innen, die im Ausland als Flüchtlinge leben.

Parlamentswahl in Afghanistan: Den Menschen fehlt Vertrauen

Noch vor wenigen Monaten hat eine schwere Dürre 20 der 34 Provinzen in Afghanistan getroffen, 1,4 Millionen Menschen brauchten Nahrungsmittelhilfe. Wie ist die Hungersituation heute? Beeinflusst die Frage der Ernährungssicherheit die Wahlentscheidung?

Thomas ten Boer: Die sommerliche Hitze hat mittlerweile der aufziehenden Winterkälte Platz gemacht. Es regnet aber immer noch viel zu wenig. Die Regierung verteilt zusammen mit FAO, WFP und einer Vielzahl nationaler und internationaler NGOs Lebensmittel. Die Welthungerhilfe verteilt Saatgut für den Anbau von Winterweizen. Mehr als 1 Million Menschen sind auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Durch die Dürre haben 275.000 Menschen ihre Heimat verlassen und suchen innerhalb Afghanistans nach alternativen Lebensmöglichkeiten und einem Einkommen.

Landesdirektor Thomas ten Boer mit mehreren Männern auf einem Feld.
Thomas ten Boer (links), Welthungerhilfe Landesdirektor in Afghanistan, besucht ein Projekt. © Welthungerhilfe

Die Sicherheitslage wirkt sich auf die Nahrungsmittelproduktion aus. Grundnahrungsmittel sind auf dem Markt erhältlich, aber die Menschen haben kein Geld, um sie zu kaufen – sie haben keine Arbeit und damit kein Einkommen. Im ganzen Land können sich fast 13 Millionen Menschen keine ordentliche Mahlzeit leisten. 4 von 10 Kindern unter fünf Jahren sind unterernährt.

Die Ernährungssicherheit ist für die Afghan*innen wichtig, aber sie alle wissen, dass nur der Frieden eine Lösung ist. Die Menschen in Afghanistan, mit denen ich gesprochen habe, fragen nicht nach kostenlosem Essen, sondern nach Frieden. Die Menschen in Afghanistan sind fleißig und mit etwas Unterstützung können sie ihre Nahrung selbst produzieren.

Porträt von Landesdirektor Thomas ten Boer, Afghanistan.

Die Menschen in Afghanistan, mit denen ich gesprochen habe, fragen nicht nach kostenlosem Essen, sondern nach Frieden.

Thomas ten Boer Welthungerhilfe Landesdirektor Afghanistan

Im vergangenen Jahr unterstützte die Welthungerhilfe rund 270.000 Menschen in Afghanistan. Was sind die zentralen Herausforderungen für die Arbeit nach den Wahlen?

Die größte Herausforderung für die Welthungerhilfe ist es, Zugang zu den ländlichen Gebieten, zu den Gemeinden und zur Arbeit mit den Menschen zu erhalten. Der Zugang zu Menschen in Not wird durch Unsicherheit und Gewalt erschwert. Die Taliban/IS haben deutlich gemacht, dass sie die Wahlen stören wollen und die Ergebnisse nicht anerkennen.

Die Sicherheit unseres Personals hat höchste Priorität. Trotzdem engagiert sich die Welthungerhilfe weiter für die Menschen, um Ernährungssicherheit zu gewährleisten, Lebensmitteln und Saatgut zu verteilen und die kleinbäuerlichen Betriebe für die kommende Pflanzsaison vorzubereiten.

Eine große Herausforderung wird 2019 kommen, wenn die Niederschläge im Winter die zweijährige Dürre nicht ausgleichen können. Die Grundwasserstände sanken erheblich, und wenn 2019 so trocken wird wie 2018, werden die Menschen ihre Höfe verlassen, um in den Städten Arbeit zu finden.

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