Politisch handeln
Langfristig sind Projekte nur erfolgreich, wenn globale Zusammenhänge mitgedacht werden
Dr. Wolfgang Jamann ist seit August 2009 Generalsekretär der Welthungerhilfe und hat über 20 Jahre Erfahrung in der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe. Anlässlich des 50. Jubiläums erläutert er, welche Herausforderung auf die Welthungerhilfe in den kommenden Jahren warten.
Das fünfzigste Jubiläumsjahr der Welthungerhilfe fällt in eine Zeit, in der die großen globalen Herausforderungen für die Zukunft der Menschheit sichtbarer und bedrückender werden.
Während Klimawandel, Bevölkerungswachstum und die Verknappung von lebenswichtigen Ressourcen wie Wasser und Land zu - sich gegenseitig verschärfenden - Trends werden, fehlt es an überzeugenden politischen Antworten der internationalen Gemeinschaft. Der Rio-Nachhaltigkeitsgipfel im Juni des Jahres erbrachte ebenso wenig verbindliche Einigung auf gemeinsames Vorgehen, wie die seit Jahren im Schneckentempo fortschreitenden Klima- und Hungergipfel.
Kürzlich stellten Claus Leggewie, Dirk Messner und Hans Joachim Schellnhuber in der ‚ZEIT‘ ein Versagen des internationalen Politiksystems fest, und machten dagegen auf die vielversprechenden Initiativen aufmerksam, welche die Zivilgesellschaft, verantwortungsvolle Unternehmen, Wissenschaftler und Kommunen jenseits der Politik derzeit anstoßen, um nachhaltiges Handeln zu intensivieren.
Auch im Kampf gegen Hunger und Armut sind die Organisationen und Akteure gefragt, die sich nicht von Wählergunst, politischen Scheuklappen oder Profitinteressen blockieren lassen. Fast 900 Millionen Menschen, die auf der Erde an Hunger leiden, oft in dynamischen und reichen Gesellschaften wie Indien, oder in von Korruption zerfressenen Staaten Schwarzafrikas oder Mittelamerikas, verdienen nicht nur aus karitativen Gründen größere Ernsthaftigkeit bei der Schaffung von Lebensperspektiven.
Ihr Leid ist allzu häufig Konsequenz des Lebenswandels der sogenannten ‚entwickelten‘ Gesellschaften, oder Teil einer auseinander klaffenden Schere zwischen Arm und Reich in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern. Die Aufstände in Nordafrika resultieren aus dieser Kluft, und es kann keinen Zweifel daran geben, dass die Menschen Unrecht und Ungleichheit als solche wahrnehmen, und zornig sind. Die Welthungerhilfe hat schon seit Jahren politische Ursachen bekämpft, um Erfolge in Entwicklungsprojekten nachhaltig zu sichern. Wie wichtig das ist, zeigen Beispiele aus unserer Projektarbeit.
Denn wenn wir heute zum Beispiel in Sierra Leone ländliche Entwicklung für Kleinbauern betreiben, dann droht dort jederzeit die Gefahr, dass denselben Bauern ihr Land genommen wird durch ein Großunternehmen, das mit Hilfe korrupter Behörden in die Biokraftstoff-Produktion einsteigt. Oder wenn wir in Fischzucht auf den Sunderbans in Bengalen investieren, dann ist der Projekterfolg immer gefährdet durch Überschwemmungen und den Anstieg des Meeresspiegels, den der Klimawandel bewirkt. Und wenn wir landwirtschaftliche Genossenschaften in Kenia unterstützen, die ihre Produkte an Zwischenhändlern vorbei auf die regionalen Märkte bringen wollen, dann verderben dort häufig die zu Dumpingpreisen angebotenen Abfallprodukte aus Europa und den USA die Marktchancen lokaler Erzeugnisse. All diese Schwierigkeiten ließen sich durch entschlossenes politisches Handeln eindämmen oder ganz verhindern.
Eine Konferenz mit Partnerorganisationen aus 35 Ländern hat im Frühjahr unseres Jubiläumsjahres ein klare Botschaft ergeben: Helft uns bei unserem Kampf gegen politisches Unrecht in unseren Heimatländern! Aber sorgt auch dafür, dass mehr Bewusstsein entsteht darüber, wie die Lebensweisen in den sogenannten entwickelten Ländern Hunger und Armut anderswo verschärft! Die Welthungerhilfe hat diese Botschaft oft vernommen in diesem Jubiläumsjahr: Im Dialog mit der Jugend in Deutschland, die mehr Verantwortung zeigt und einfordert, aber auch in Debatten über die Mobilisierungsfähigkeit in Deutschland – für viele unserer Unterstützer ist die Verletzung von Menschenrechten wie dem Recht auf Nahrung das schlimmste Elend, das es abzustellen gilt.
Mit Blick auf das Jahr 2015, in dem die Millenniumsziele, also unter anderem die Halbierung von Armut und Hunger, erreicht werden sollten, stellen wir nicht nur fest, dass der Weg noch weit ist. Wir merken auch, dass sich dieses Ziel nur erreichen lässt, wenn Verantwortung von allen wahrgenommen wird, und wenn auch unser Lebensstil, unser Energiehunger, der Fleischkonsum, das Wegwerfen und Verbrennen von Nahrung und vieles mehr in Frage gestellt werden. ‚Sustainable Development Goals‘, also nachhaltige Entwicklungsziele sollen es werden, in der Zeit nach 2015. Man kann nur hoffen und darauf hinarbeiten, dass diese Ziele uns alle stärker in die Pflicht nehmen und der Kampf gegen den Hunger nicht alleine den Helfern überlassen wird.
Die Welthungerhilfe will sich abschaffen, das haben wir im letzten Jahr in unser Leitbild geschrieben. Einen Hundertsten Geburtstag soll es nicht geben. Zumindest hoffen wir darauf unseren Auftrag weit vorher zu erfüllen: eine Welt zu schaffen, in der jeder Mensch sein Recht auf ein Leben in Würde und Selbstbestimmung wahrnehmen kann, frei von Hunger und Armut.
Dazu brauchen wir mehr als gute Entwicklungsprojekte. Wir brauchen scharfe politische Analysen, den Mut Missstände anzuprangern, wir brauchen zielgerichtete Unterstützung unserer vielen tapferen und klugen Partnerorganisationen, und wir brauchen Solidarität mit denjenigen, denen Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben systematisch vorenthalten werden. Und wir brauchen Sie, liebe Freunde der Welthungerhilfe, um Gerechtigkeit zu schaffen. Denn vieles ist möglich, wenn wir dazu einen gemeinsamen Beitrag leisten.