Die Hoffnung schwindet
Viele syrische Flüchtlingsfrauen leben allein mit ihren Kindern unter miserablen Umständen im Süden der Türkei. Eine Geschichte über Flucht, Leid und vergebliche Hoffnung.
Aysha Hali hat kaum noch Hoffnung. Müde und kraftlos sitzt die junge Frau in in einem Raum eines heruntergekommenen und mit syrischen Flüchtlingen überfüllten Appartementhauses am Rande der südtürkischen Millionenstadt Gaziantep. Ein paar alte Teppiche, ein zerschlischenes Sofa, ein einfacher Kohleofen, einige durchgelegene Matratzen – mehr hat das knapp 20 Quadratmeter große Zimmer nicht zu bieten, das sich die 30-jährige Frau mit ihren fünf Kindern und der sechsköpfigen Familie ihrer Schwester teilt.
Ich erwarte nichts mehr von meinem Leben. Ich habe keine Hoffnung mehr, was soll schon noch passieren?
Aysha HaliAysha muss kämpfen. Jeden Tag. Vor allem um das Überleben ihrer Kinder. Nur wie, weiß sie selbst nicht, nachdem eine Bombe der Familie die letzte Zuversicht genommen hat. Es ist jetzt vier Monate her, dass ihr Mann bei einem Angriff auf Aleppo starb. Der Elektriker war mit seinem Moped auf dem Weg zur Arbeit, als die Bombe nicht weit entfernt von ihm einschlug.
Vergebliche Hoffnung auf Frieden
Lange hatte die Familie gehofft, dass der Krieg irgendwann enden würde. „Wo sollten wir auch hin?“ fragt Aysha. Sie, als einfache Leute? Nur sechs Jahre sei sie zur Schule gegangen. Da gab es doch im Ausland kaum eine Chance. Aber dann, nach dem Bombenangriff, hat die Frau das wenige, was sie hatten, zusammengepackt und das Schicksal der Familie einem Schlepper überlassen, der sie über Umwege an die türkische Grenze brachte.
„Doch die Flucht war nicht einfach“, erzählt sie. „Erst der Weg zur Grenze. Dann mussten wir drei Tage bei Kälte in einem Wäldchen unter Bäumen schlafen. Bis es endlich eine Chance gab, an einer Stelle über die Grenze zu kommen.“
Eine Flucht unter Lebensgefahr. Selbst wenn die Grenzlinie vor einem liegt, kommen Syrer kaum mehr hinüber. Türkische Sicherheitskräfte bewachen alles mittlerweile strikt. Die Türkei will vor allem verhindern, dass IS-Terroristen oder kurdische Kämpfer ins Land gelangen. Immer wurden in den vergangenen Monaten aber auch Fälle bekannt, wo Flüchtlinge, die sich retten wollten, beschossen und verletzt wurden.
Allerdings ist die Zuflucht in Gaziantep für die junge, hagere Frau längst keine Rettung.
Ich muss jetzt irgendwie meine Kinder durchbringen. Nur, wie soll ich das schaffen, wo mein Mann tot ist?
Aysha HaliVor allem die zwei älteren Mädchen wünschen sich sehnsüchtig, dass sie endlich wieder eine Schule besuchen können. „Mein Papa hat mir doch versprochen, dass ich mal eine Ärztin werden kann“, sagt die 12-jährige Fatima und schaut nieder auf ihre Hände, mit denen sie ihre Finger knetet. Nur eine Schule kann Aysha ihren Kindern nicht bieten: „Wie soll ich das bezahlen? Allein die Busfahrt zu einer Schule kostet zu viel Geld. Das ist unmöglich.“ Und staatliche Hilfe gibt es nicht.
Das Geld reicht nicht zum Leben
Zwar hat Aysha manchmal einen Job als Tagelöhnerin in einer nahegelegenen Pistazienfabrik. Jedoch nur ein oder zwei Mal pro Woche. „Ich fange dann um acht Uhr an und arbeite bis sechs Uhr abends. Für 30 türkische Lira.“ Umgerechnet sind das rund neun Euro. Wenigstens etwas, um einen Teil der Miete von 400 Lira monatlich bezahlen und einige Lebensmittel kaufen zu können. Nur eben das Busgeld für Schulfahrten ist da nicht drin.
Ayshas größter Traum wäre, wenigstens eine kleine Wohnung zu erhalten, damit die Kinder ein normales Leben führen können. „Hier kann man nicht leben“, sagt sie und meint damit das ganze Gebäude, in dem zur Zeit über 1.000 syrische Flüchtlinge auf engstem Raum wohnen. „Nicht einmal Tiere könnten hier hausen. Es gibt kaum Strom und Heizung.“ Viele Fenster sind marode und löchrig.
Ob sie jemals nach Syrien zurück kann? Diese Frage überfordert Aysha wie viele ihrer Landsleute, von denen im Großraum von Gaziantep mehrere hunderttausend leben. „Das weiß ich nicht“, sagt sie. „Das weiß nur Gott.“ Aber das ist zur Zeit auch nicht so wichtig für die junge Mutter. Denn sie muss sich darum kümmern, dass ihre Kinder in den nächsten Tagen etwas zu essen bekommen.
Cash Cards der Welthungerhilfe
Eine kleine Sicherheit gibt ihr da seit einem Monat die „Cash Card“ der Deutschen Welthungerhilfe, mit der Aysha den Grundbedarf an Lebensmitteln kaufen kann. Pro Person erhält sie monatlich 50 türkische Lira. Über 100.000 Menschen wurden im Süden der Türkei mittlerweile mit solchen Geldkarten versorgt. Mitarbeiter der Welthungerhilfe überprüfen dabei genau, unter welchen Umständen die Bedürftigen leben. Doch neben dem Zugang zu Lebensmitteln geben die „Cash Cards“ syrischen Flüchtlingen wie Aysha auch etwas anderes: einen wichtigen Rückhalt, um wieder etwas Lebensmut zu finden. „Das ist sehr wichtig für mich“, strahlt Aysha am Ende doch ein wenig.