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12.10.2018 | Blog

Biodiversität: Warum 4.000 Kartoffel­sorten nicht zu viel sind

Über 4.000 verschiedene Sorten Kartoffeln und 1.500 verschiedene Bananenarten gibt es weltweit. 5 Gründe, die biologische Vielfalt des Saatguts zu erhalten:

Breite Auswahl an Saatgutsorten eines Kleinbauern in Kerendiguda, Odisha, Indien
Breite Auswahl an Saatgutsorten eines Kleinbauern in Kerendiguda, Odisha, Indien. © Welthungerhilfe/Enrico Fabian
Lena Bassermann Team Policy & External Relations (bis 2019)

Für unsere Ernährung nutzen wir nur ein Prozent der verfügbaren Nutzpflanzen. Das hat verheerende Folgen: Weltweit sind 95 Prozent der Sorten bereits verloren. Dabei gibt es eine Vielzahl von Gründen, die dafür sprechen, Saatgutvielfalt dringend zu erhalten: 

1. Freies Saatgut ist unverzichtbar für die weltweite Ernährungssicherung 

Neben Wasser und Land ist Saatgut der wichtigste Bestandteil zur Produktion von Nahrung. Heißt: Wer Zugang dazu hat, kann unterschiedliche Sorten Gemüse, Getreide und Früchte anbauen. Sind die Ressourcen frei verfügbar, können kleinbäuerliche Landwirt*innen in Entwicklungsländern ihre Produkte anbauen. So genanntes samenfestes Saatgut ist besonders wichtig. Das bedeutet, Landwirt*innen können daraus selbst wieder neues, fruchtbares Saatgut produzieren und bleiben so unabhängig von Preisentwicklungen und Marktschwankungen. Das Aufbewahren von Tomatenkernen im eigenen Garten für die Aussaat in der nächsten Saison ist ein Beispiel wie man selbst Saatgut vermehren kann. Kommerziell angebotenes Saatgut ist häufig nicht „samenfest“ und verdrängt zunehmend die bäuerliche Saatgutzucht und mit ihr die Vielfalt. 

Kreisdiagramm: 75% aller Nutzpflanzensorten weltweit sind im 20. Jahrhundert verloren gegangen
Die biologische Vielfalt im Anbau schrumpft: 75% aller Nutzpflanzensorten weltweit sind im 20. Jahrhundert verloren gegangen. © Welthungerhilfe

2. Genug Kalorien machen satt, aber nicht gesund

Ein Drittel der Weltbevölkerung ernährt sich heute täglich zu 80 Prozent von Reis, Mais und Weizen. Dadurch füllen sich zwar die Mägen, genug Vitamine und Nährstoffe fehlen jedoch. Menschen leiden trotzdem an Hunger, dem so genannten „verborgenen Hunger“.  Das heißt, sie erhalten zu wenig Vitamine und Mineralstoffe, z.B. aus Obst, Gemüse, Eiern, Milch oder Fleisch.

Porträt: Lena Bassermann

Genug Kalorien machen satt, aber nicht gesund. Wir brauchen Vielfalt unter der Erde, auf dem Feld und auf dem Teller.

Lena Bassermann Referentin im Team Politik und Außenbeziehungen

Eine diversifizierte – also vielfältige und abwechslungsreiche – Ernährung ist notwendig und die nimmt ihren Ursprung auf dem Acker: Wir brauchen also Vielfalt unter der Erde, auf dem Feld und auf dem Teller. Doch diese Vielfalt ist bedroht. Drei Viertel unseres Essens besteht nur noch aus 12 Pflanzensorten.

3. Saatgutvielfalt schützt vor den Folgen des Klimawandels 

Kleinbäuerliche Betriebe schützen und erhalten diese Vielfalt durch ihr Saatgut. Diese Vielfalt wirkt sich positiv auf die Umwelt aus und schützt vor den Folgen des Klimawandels. Kleinbäuer*innen haben vielfältige Nutzungssysteme wie etwa verschiedene Landbausysteme und Fruchtfolgen, Terrassierung, Bewirtschaftung abgelegener Felder mit trockenen, wenig fruchtbaren Böden sowie von Feuchtgebieten und Wäldern geprägt. Sie vermehren, tauschen und züchten ihr Saatgut in der Regel selbst, z.B. über Bauernorganisationen und Saatgutbanken. Dieses Saatgut ist deshalb meist gut an die lokalen Bedingungen wie sehr trockene Böden und wenig verfügbares Wasser angepasst. Ein großer Genpool, über den bäuerliche Saatgutsysteme verfügen, ermöglicht, Sorten so weiterzuentwickeln, dass sie sich an Umweltveränderungen anpassen. Der Anbau ist dann auch bei den Auswirkungen des Klimawandels, wie extreme Dürre oder Überschwemmungen, weiter möglich. 

Ein Kleinbauer erntet Tomaten in Somaliland
Gemüseanbau in Somaliland während der Trockenzeit. © Thomas Rommel/Welthungerhilfe

4. Die Dominanz weniger Konzerne gefährdet die Vielfalt  

Immer weniger Großkonzerne haben immer mehr Einfluss darauf, was unter welchen Bedingungen angebaut wird. Derzeit beherrschen zehn internationale Saatgutkonzerne 75 Prozent des Marktes; durch die Fusionen einiger Großkonzerne werden bald nur drei Konzerne rund 60 Prozent des weltweiten Saatguts vermarkten. Der Trend geht weg von einer bäuerlichen Vermehrung von Saatgut hin zu industriell produziertem Saatgut. Mit der Industrialisierung der Landwirtschaft wurden lokale Sorten durch eine kleine Anzahl genetisch einheitlicher Sorten ersetzt. Solches Saatgut ist zwar gut darin, die Erträge zu steigern und damit Profite zu steigern. Allerdings kann es nicht vermehrt werden bzw. bringt bei der zweiten Aussaat nur sehr niedrige Erträge. 

Die Folge: Landwirt*innen müssen jede Aussaatsaison neues Saatgut kaufen. Die Unternehmen bieten Saatgut im Paket mit passendem Dünger und Pflanzenschutz. kleinbäuerliche Haushalte können sich diese teuren Betriebsmittel oft nicht leisten. Zudem bergen sich Gefahren für Umwelt und die menschliche Gesundheit, die verschiedene Studien mittlerweile offenlegen. In Deutschland wird derzeit zum Beispiel vermehrt über das Bienensterben aufgrund des Einsatzes von Pestiziden diskutiert. Die Vereinten Nationen gehen von 200.000 Todesfällen jedes Jahr in Folge von starker Pestizid-Anwendung aus.

Durch die zunehmende Kommerzialisierung von Saatgutmärkten nimmt die Vielfalt an Sorten ab. Dabei leisten Wildpflanzen, Heilkräuter und seltene Sorten einen wichtigen Beitrag zur Ernährungssicherung.

5. Traditionelles Wissen, kulturelle und biologische Vielfalt sind schützenswert an sich

Saatgutvielfalt erhalten bedeutet biologische und kulturelle Vielfalt erhalten. In nur einem Jahrhundert gingen drei Viertel (oder 75%) der Pflanzenvielfalt verloren – (jede Minute kommen drei Pflanzen-oder Tierarten hinzu). Dabei handelt es sich um Pflanzen, die teilweise seit 10.000 Jahren gezüchtet und weitergegeben werden. Kleinbäuerliche Familien verfügen über das von Generation zu Generation weitergegebene Wissen, wie man wildes Gemüse oder Früchte zubereitet und haltbar macht. Gerade in Zeiten außerhalb der Erntesaison, in denen das Einkommen oft gering ist, ermöglichen diese Sorten, dass sie sich ausreichend und ausgewogen ernähren. 

In Burundi sorgt hochwertiges Saatgut dafür, dass die Menschen nicht mehr hungern müssen.

Was muss geschehen?

Das Recht der Landwirt*innen, selbst Saatgut zu erzeugen, zu vermehren und anzubauen sowie der freie Zugang seitens der Forschung auch in Bezug auf sortenrechtlich geschütztes Saatgut muss erhalten und gefördert werden.

Der Saatgutvertrag der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) schützt zwar diese Grundlage für die Wahrung bäuerlicher Rechte. Doch gleichzeitig schränken viele internationale Abkommen zu geistigen Eigentumsrechten, Handelsverträge und Umweltabkommen diese Freiheiten massiv ein, indem sie Patente vergeben und internationale Zertifizierungen zur Pflicht machen. Standards, die für kleinbäuerliche Betriebe unerreichbar sind. In Kolumbien und Tansania wurden beispielsweise die Aktivitäten von Kleinbäuer*innen als illegal erklärt. Dies stärkt oft vor allem große Unternehmen.

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