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19.02.2016 | Blog

Wespen als Wunderwaffe

Viele wollen Wespen vertreiben. Doch der Träger des Alternativen Nobelpreises nutzt das Insekt gegen Hunger. Ein Interview.

Schlupfwespe aus Paraguay bekämpft Schmierlaus in Afrika.
Schlupfwespe aus Paraguay bekämpft Schmierlaus in Afrika. © Hans R. Herren
Christina Felschen

Als junger Mann haben Sie 1,6 Millionen Wespen mit einem Flugzeug über 24 afrikanischen Ländern abgeworfen. Was war da los?

Dr. Hans R. Herren: In den 70er und 80er Jahren gab es ein Riesenproblem mit einer schädlichen Schmierlaus, die vom Senegal bis nach Madagaskar alle Maniokpflanzen zerstörte – das Grundnahrungsmittel für 200 Millionen Menschen. Die Regierung von Zaire (heute: Demokratische Republik Kongo) hatte bereits Insektizide gesprüht, doch die hatten den Pflanzen und den Menschen mehr zugesetzt als der Laus. Da rief mich ein nigerianisches Forschungsinstitut zu Hilfe. Und ich hatte eine Idee.

Wespen! Und das zu Hochzeiten der „Grünen Revolution“, die auf technische Lösungen wie Insektengifte und Hochleistungssorten setzte! Wie haben die Forscher reagiert?

Sicher, anfangs gab es viele Spötter und Skeptiker. Biologische Schädlingsbekämpfung war zwar nicht neu, aber in diesem Ausmaß hatte es noch niemand probiert.

Sie waren damals erst Anfang 30. Woher nahmen Sie den Mut eine fremde Spezies einzuführen?

Ich hatte schon für meine Dissertation in der Schweiz zu diesem Thema geforscht und meinen Postdoc an der Universität Berkeley beim Guru der biologischen Schädlingsbekämpfung Robert van den Bosch geschrieben. Daher wusste ich: Wenn man es richtig anpackt, ist es möglich. Dass diese Schmierlaus bis zu ihrem plötzlichen Auftauchen in Afrika völlig unbekannt war, machte mir Mut. Denn das bedeutete, dass es ein anderes Insekt, eine Krankheit, einen Virus oder ein Bakterium gab, das sie unter Kontrolle hielt. Jetzt mussten wir es nur noch finden und für uns arbeiten lassen. Nach langer Suche fanden wir die Schmierlaus und die Schlupfwespe in Paraguay. Von dort war die Laus nach Afrika eingeführt worden, wo sie sich ohne ihren natürlichen Feind prächtig vermehrte.

Hatten Sie keine Angst, dass die Wespen das Ökosystem zerstören wie die Nilbarsche, die im Viktoriasee ausgesetzt wurden und dort einheimische Arten fast ausrotteten?

Ich habe alles getan, um das Risiko zu verringern. Beim Viktoriasee waren Laien am Werk, die niemanden um Rat gefragt haben. Wir haben das Ökosystem in Paraguay genau untersucht und dann in britischer Quarantäne getestet, was passiert, wenn wir die Wespe auf einem Maniokfeld auf die Laus loslassen. Der Erfolg in Afrika war kein Zufall, sondern genau kalkuliert: Die Schlupfwespen attackierten gezielt nur diese Schmierläuse; bis heute halten sich beide Populationen auf niedrigem Niveau im Gleichgewicht – genau wie im Ursprungsland.

Momentan bedrohen Wanderheuschrecken die Nahrungssicherheit von vier Millionen Menschen in Madagaskar. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) und die madagassische Regierung sprühen jetzt Pestizide auf zwei Millionen Hektar Land. Ist das eine gute Idee?

Nein, das zeigt nur, wie diese Institutionen ticken. Wenn die FAO Frühwarnsysteme einrichten würde, könnte sie so eine Population früh genug entdecken und dann einen Duftstoff zusammen mit dem Metarhizium-Pilz sprühen – diese Mischung hindert die Wanderheuschrecken am Weiterziehen und tötet sie. So könnte man das Problem kleinräumig und ohne Chemie lösen. In der Sahelzone gab es in diesem Frühling auch eine Heuschreckenplage, die sich am Ende bis nach Israel verbreitet hat; dabei hätte man sie schon im Sudan stoppen können. Leider ist niemand bereit in Prävention zu investieren bis es zur Katastrophe kommt. Dabei kostet es ein Vielfaches, das Unglück abzuwarten und all die Chemikalien zu importieren – ganz zu schweigen vom Ökosystem, das auf Jahre hinweg zerstört wird. Außerdem sind die Ernten schon fast hinüber, bis das Gift erst mal im Land ist – Wanderheuschrecken fressen extrem schnell; es ist ein Erlebnis, ihnen dabei zuzuhören! 

„Ökologische Landwirtschaft ist ein Luxus, den wir uns nicht leisten können, solange fast eine Milliarde Menschen hungern“, sagen Verfechter der „Grünen Revolution“. Was sagen Sie dazu?

Das ist Blödsinn! Wir produzieren heute schon genug Kalorien für 14 Milliarden Menschen und können auch mit nachhaltiger Landwirtschaft alle Menschen ernähren. Das Problem liegt im Zugang zur Nahrung. Mithilfe der so genannten „Zweiten Grünen Revolution“ werden zum Beispiel in Indien Überschüsse produziert und trotzdem hungern dort mehr Leute als anderswo, vor allem Kinder.

Die Politik wünscht sich ein Patentrezept, deshalb ist die „Grüne Revolution“ auch so erfolgreich. Aber Landwirtschaft ist sehr komplex, man kann nicht einfach mehr Dünger oder mehr Samen auf die Äcker werfen. Die „Grüne Revolution“ setzt auf intensive Bewässerung, Düngung und Pestizide. Damit verbraucht die industrielle Landwirtschaft im Durchschnitt zehn Kalorien, um eine Kalorie zu produzieren, und dieser Input stammt mehrheitlich aus Erdöl. Das ist doch keine Art Nahrungsmittel zu produzieren! Wir brauchen einen Kurswechsel hin zu einer kleinbäuerlichen Landwirtschaft mit angepasster Technik, die auf Arbeitskraft statt auf Naturressourcen setzt. Das haben wir 2008 im Weltagrarbericht klar gezeigt.

Der Bericht war das größte agrarwissenschaftliche Szenario, das je entwickelt wurde, geplant als Multi-Stakeholder-Approach. Doch dann sind viele Stakeholder abgesprungen und plötzlich scherte sich die Welt nicht mehr um Ihre Empfehlungen. Was ist da passiert?

Als sich in der Schlussphase herauskristallisierte, dass die Autoren des Berichts industrielle Landwirtschaft, Gentechnik und Handelsliberalisierung als nicht nachhaltig bewerten, sind viele Geldgeber abgesprungen: Nicht nur die Agrarkonzerne wie Monsanto, Syngenta und BASF, die um ihre Einnahmen bei Dünger und Saatgutpatenten fürchtete, sondern auch viele Regierungen: die USA, Kanada, Australien, England..

...und Deutschland?

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat nichts bezahlt, aber der deutsche Journalist und Co-Autor des Berichts Benedikt Haerlin hat erreicht, dass sich das Bundesumweltministerium finanziell beteiligt.

Ist der Agrarbericht damit Geschichte? Geben Sie sich geschlagen?

Ach wo, natürlich nicht! Beim Erdgipfel Rio+20 haben wir uns erfolgreich dafür eingesetzt, dass das Komitee für Ernährungssicherheit der FAO („Committee on World Food Security“ – CFS) Richtlinien für nationale Agrarberichte entwickelt. Die Erde hat so viele unterschiedliche Ökosysteme, dass es nur sinnvoll ist, wenn jedes Land sein eigenes Szenario entwickelt und sich fragt: Welche Politik brauchen wir, um unsere Landwirtschaft nachhaltig zu machen? Mit unserem Projekt „Kurswechsel Landwirtschaft” unterstützen wir gerade Behörden im Senegal, Kenia und Äthiopien, nationalen Agrarberichte zu entwickeln, die als Vorbild für andere Länder dienen können. In dieses Projekt fließt auch das Preisgeld des Alternativen Nobelpreises (knapp 60.000 Euro).

Kann städtische Landwirtschaft auch einen Beitrag zur Welternährung leisten oder ist das nur ein nettes Hobby?

Vor allem Gemüse lässt sich gut auf kleinem Raum in Städten anbauen, so lassen sich Brachflächen nutzen und Transportwege minimieren. Allerdings haben die meisten Stadtbewohner erst einmal wenig Ahnung von Landwirtschaft und verwenden deshalb viel Chemie – Training und Geduld sind also wichtig.

Haben Sie Ihren Lebensstil verändert, seit Sie über nachhaltige Ernährungssicherung nachdenken?

Ja, wir essen zu Hause kaum Fleisch und in der Schweiz fahre ich nur Zug und Tram. Das Problem ist, dass ich so viel in aller Welt herumfliege. Aber ich hoffe mich eines Tag pensionieren zu lassen und mehr Zeit auf meinem Rebberg in Kalifornien verbringen zu können. Jetzt sollen die jungen Leute mal übernehmen!

Das Interview führte Christina Felschen, Mitarbeiterin der Welthungerhilfe in Bonn für die Zeitung Welternährung.

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