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31.03.2017 | Blog

550 Kilo Reis und 60 Seiten Erkenntnis

Wie wirksam sind die Projekte der Welthungerhilfe? Jedes Jahr überprüfen unabhängige Gutachter 20 bis 30 Projekte, um gute Praktiken und Fehlerquellen zu erkennen, die im Arbeitsalltag übersehen werden könnten. Gutachter Kai-Uwe Seebörger nahm ein Projekt in Ruanda unter die Lupe – und braucht dafür viel Fingerspitzengefühl.

Zwei Frauen stehen gebückt auf einem Feld, eine schaut in die Kamera.
Die beiden Freundinnen Viviane Mukamazera und Melanie Nyinahabimana bewirtschaften abwechselnd Melanies und Vivianes Parzelle im Mwogo-Tal. © Christina Felschen
Christina Felschen

Eigentlich hat Domitille Mushimizinan gar keine Zeit im Kooperativenhaus zu sitzen. Draußen stauen sich dunkle Wolken zwischen den Hügeln und Sturmböen wirbeln den Staub der Landstraßen auf. Die Regenzeit steht kurz bevor. Sie muss sich beeilen, um den Reis und das Gemüse noch rechtzeitig von den Feldern zu holen.

Was hat das Projekt der Welthungerhilfe bewirkt?

Doch die Abschluss-Evaluation des Welthungerhilfe-Projekts will Mushimizinan nicht verpassen – genauso wenig wie die anderen Mitglieder der Coriki-Kooperative im Base-Kiryango-Tal im Süden Ruandas. Schließlich geht es um ihr Projekt, das sie nach zwölf Jahren Unterstützung in Eigenregie weiterführen wollen. Dicht gedrängt sitzen sie im Flachbau der Organisation – Bäuerinnen in ihren besten „Mushanana“-Kleid neben Bauern im Blaumann.

Ein Gutachter zeigt auf sein Flipchart.
Wenn der Gutachter Kai-Uwe Seebörger auf die Schnelle kein Büro finden, baut er sein Flipchart am Strassenrand auf - zur Belustigung aller. © Christina Felschen

Sie begutachten den Gutachter, der gekommen ist, um etwas über ihr Projekt zu erfahren. Wie er das Flipchart aufstellt. Wie er es mit einem Raster versieht und sich mit seinem Übersetzer bespricht. In den kommenden zwei Wochen wird der Agrarexperte kreuz und quer durch die Provinz fahren und mit Hunderten Projektteilnehmern sprechen.

Seine Mission: Herauszufinden, was die Welthungerhilfe in der Region bewirkt hat – und wo es noch hakt. „Ausländer wie ich sehen immer nur mit einem Auge", sagt er zu den Bauern. „Auch wenn wir Experten oder Berater genannt werden, müssen wir eine Menge lernen. Deshalb seht mir meine naiven Fragen nach.“ Und die Antworten kommen prompt: „Das Projekt hat unser Leben verändert“, sagt eine Frau in ihrer Sprache Kinyaruanda. „Früher hatten wir nicht genug zu essen, heute können wir mit dem Geld, das wir mit dem Reis verdienen, einkaufen.“ „Und unsere Häuser reparieren“, ergänzt ihre Nachbarin. „Und die Krankenkasse bezahlen“, sagt eine andere.

Mit Mais und Gemüse gegen den Hunger

Früher gehörten Domitille Mushimizinan und die anderen zu den Ärmsten der Region; ihre Felder waren winzig, die Ernten mager. Bis sie zusammen mit der Welthungerhilfe 600 Hektar Marschland für den Reisanbau anbaubar machten und auf weiteren 600 Hektar Terrassen anlegten, um Mais und Gemüse anzubauen. Heute erntet jede Familie zwei Mal im Jahr 550 Kilogramm Reis auf einer 30 x 30 Meter großen Parzelle.

Der Übersetzer schreibt die Kommentare in Seebörgers Raster, das Stärken, Schwächen, Chancen und Herausforderungen erfasst. Die Rubrik „Stärken“ füllt sich schnell, die „Schwächen“ bleiben leer. Kai-Uwe Seebörger weiß, dass die Bauern die lokalen Projektmitarbeiter nicht vor den Kopf stoßen wollen. So bittet er diese, einen Moment vor dem Raum zu warten. Jetzt erst gibt eine ältere Frau zu, wie schwer ihr die gebückte Arbeit auf dem Feld fällt. „Mir schmerzt schon mittags der Rücken. Unsere Kinder wünschen sich ein leichteres Leben – und das sollen sie auch haben."

Evaluator Kai Seeboerger und Welthungerhilfe-Mitarbeiter Jonathan Nturo
Evaluator Kai Seeboerger und Welthungerhilfe-Mitarbeiter Jonathan Nturo. © Christina Felschen

„Mister Jonathan, warum pflanzt Ihr am Flussufer keinen Bambus als Erosionsschutz?“ fragt er den Projektmitarbeiter Jonathan Nturu. „Weil Bambus zu viel Platz braucht, Mister Kai.“ Seebörger wirkt zufrieden. Er kennt die schwierigen Bedingungen an der Basis; gut sechs Jahre lang hat er selbst Projekte im Sahel verantwortet und weiß, wie aufwändig und nervenaufreibend es ist, evaluiert zu werden.

Mit Projektevaluationen Projekte verbessern

Wie wichtig es ist, ein Projekt auf den Prüfstand zu stellen, und wie sich die Ergebnisse auf die beteiligten Menschen auswirken, zeigte 2010 die erste Evaluation im Mwogo-Tal. Der damalige Gutachter kritisierte, dass das Projekt sich in den ersten Jahren so sehr auf die Baumaßnahmen konzentriert habe, dass der inhaltliche Austausch mit den Bauern vernachlässigt worden sei. „Wir haben die Kritik sehr ernst genommen und das Versäumte aufgeholt“, erinnert sich Audace Kubwimana, stellvertretender Landesdirektor der Welthungerhilfe in Ruanda. „Zum Beispiel haben wir die Bauern dabei unterstützt, sich in Kooperativen zu organisieren und die lokalen Behörden einzubinden. Das hat ihnen geholfen sich mehr mit dem Projekt zu identifizieren.“

Evaluator Kai-Uwe Seeboerger über Aufbruchstimmung im Mwogo-Tal und Analysen mit Analphabeten.

Zum Abschluss der Evaluation hat das Welthungerhilfe-Büro in Ruanda Politikbesitzer, Fabrikbesitzer und Bauernvertreter in ein Tagungshotel der Kleinstadt Nyanza eingeladen. Als Kai-Uwe Seebörger sein Resümee vorliest, atmet das Projektteam auf: „Die Projektaktivitäten waren sehr gut auf die Probleme, Bedürfnisse und Prioritäten der Zielgruppe abgestimmt.“ Mit der Agrarproduktion haben sich demnach auch die Ernährungssicherheit und die Zukunftsperspektiven der Dorfbewohner deutlich verbessert. „Jetzt sind wir am Ball!“ versichert der stellvertretende Bürgermeister von Nyanza, François Uhagaze. „Dass ihr uns Vorschläge für die weitere Arbeit macht, rechnen wir euch hoch an. Viele Hilfsorganisationen verschwinden nach drei Jahren einfach wieder.“

Als Kai-Uwe Seebörger und die Bauern das Tagungshotel verlassen, fallen dicke Tropfen. Sie nicken einander zu: Jetzt kann die Regenzeit kommen, sie haben ihre Ernte im Trockenen. Die Bauern ihre 550 Kilo Reis, Seebörger seine 60 Seiten Analysen.

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