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24.03.2023 | Gastbeitrag

Bürgerkrieg im Jemen: Hintergründe des Konflikts

Im Jemen herrscht ein Bürgerkrieg mit internationaler Beteiligung. Neue Dynamiken auf regionaler Ebene machen Hoffnung auf positive Entwicklungen in diesem seit nunmehr acht Jahren andauernden Konflikt. Islamwissenschaftlerin und Vorstandsvorsitzende des „Center for Applied Research in Partnership with the Orient“ (CARPO) Marie-Christine Heinze analysiert den Konflikt und stellt die aktuelle Situation im Jemen dar.

Ein Mann trägt ein Mädchen durch Trümmer im Jemen.
Ein Mann trägt ein Mädchen durch Trümmer im Jemen. © Reuters
Dr. Marie-Christine Heinze Center for Applied Research in Partnership with the Orient (CARPO)

Seit 2014/15 leiden die Menschen im Jemen unter einem Bürgerkrieg, der, geführt mit internationaler Beteiligung, inzwischen laut Angaben der Vereinten Nationen zur größten humanitären Katastrophe unserer Zeit geführt hat. Nach einem mehrmonatigen Waffenstillstand zwischen April und Oktober 2022 und einer fortgesetzten relativen Waffenruhe auch ohne formales Abkommen, haben sich die Kriegshandlungen vor allem auf die wirtschaftliche Ebene verlagert. Darunter leiden vor allem die Menschen im Land und so ist die humanitäre Lage weiterhin katastrophal. 

Der Bürgerkrieg im Jemen: Vorgeschichte

Fördermaßnahmen der Welthungerhilfe und ihrer Partner vor Ort im Jemen.

Seit der Einnahme der Hauptstadt Sana’a durch die Huthi-Rebellen im September 2014, in manchen Regionen jedoch schon seit 2011 und davor, tobt im Jemen ein gewaltsamer Konflikt um politische Macht und den Zugang zu Ressourcen. Im Januar 2015 trat Präsident Abd Rabbuh Mansur Hadi unter zunehmendem Druck der Huthis, die im Herbst 2014 gemeinsam mit Anhänger*innen des 2011 gestürzten Präsidenten Ali Abdallah Salih die Hauptstadt eingenommen hatten, zurück und floh in der Folge aus der Hauptstadt. 

In Saudi-Arabien bat er um Unterstützung im Kampf gegen die Rebellen und im März 2015 griff das Königreich an der Spitze einer Koalition aus sunnitisch regierten arabischen Staaten, der „saudisch-geführten Koalition“, in den Konflikt ein. Wichtigster Partner in dieser Allianz sind die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), mit deren militärischer Unterstützung es lokalen südjemenitischen Kräften im Sommer 2015 gelang, Aden und große Teile des Südens von den Huthi/Salih-Milizen zu befreien. Im Dezember 2017 töteten die Huthis ihren Verbündeten Ali Abdallah Salih.

Aktuell steht den Huthis eine Allianz aus unterschiedlichen, zum Teil miteinander verfeindeten Kräften gegenüber. Deren wichtigste Repräsentanten sind seit dem Rücktritt von Präsident Hadi im April 2022 im Präsidialen Führungsrat (auch: Präsidialrat) unter dem Vorsitz von Rashad al-Alimi vertreten. Die Zusammenarbeit in diesem Rat gestaltet sich jedoch als schwierig, da die hier vertretenen Kräfte alle ihre eigene Agenda haben.  

Dies gilt ganz besonders für viele südjemenitischen Kräfte, allen voran der von den VAE unterstützte Südübergangsrat, der mittelfristig die Unabhängigkeit des Südjemens („Südarabien“) vom Nordjemen anstreben (bis zur Vereinigung 1990 waren diese beiden Landesteile eigenständige Republiken). 

Im Jemen werden Hilfsgüter verteilt.
Im Jemen werden Hilfsgüter verteilt. © Welthungerhilfe

Ein Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und dem Iran

Das Eingreifen der Saudis in den Konflikt ist vor allem mit der Unterstützung der Huthis durch den Iran zu begründen. Man wollte verhindern, dass an der Südflanke des Königreichs ein weiteres Land unter den Einfluss des regionalen Erzrivalen gerät. Das sunnitisch-wahhabitisch geprägte Saudi-Arabien, dessen Militär weitaus schwächer ist als das des Iran, fühlt sich zunehmend von pro-iranischen und schiitischen Gruppierungen umzingelt, so u.a. in Syrien, dem Irak, Bahrain und dem Libanon. Das Erstarken iranischen Einflusses, so befürchtete man im Königreich, schwäche die regionale Rolle Saudi-Arabiens und damit auch die Stabilität des Königshauses. Der Iran unterstützt die Huthis schon seit vielen Jahren, u.a. finanziell, logistisch und auch in zunehmendem Maße durch die Lieferung von Waffen. Die Huthis sind jedoch entgegen saudischer Wahrnehmung kein von Iran aus gesteuerter Akteur; sie nehmen zwar Ratschläge aus dem Iran an, haben aber auch immer wieder entgegen iranischen Empfehlungen gehandelt. 

Die saudisch-geführte Koalition wird auf internationaler Ebene insbesondere von den USA und auch Großbritannien militärisch unterstützt. In beiden Ländern wuchs jedoch in den letzten Jahren der Widerstand gegen diese Unterstützung, vor allem vor dem Hintergrund der humanitären Lage im Jemen. Deutschland hat sich im Einklang mit UN-Sicherheitsratsresolution 2216 vom April 2015 ebenfalls deutlich auf Seiten der international anerkannten Regierung positioniert und (mit Unterbrechungen) auch immer wieder Waffenlieferungen an Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate genehmigt. Amnesty International hat berichtet, dass sie unter anderem auch in den Händen von VAE-unterstützten Milizen landen, denen Menschrechtsverletzungen vorgeworfen werden.  

Deutschland unterstützt den UN-Sondergesandten Hans Grundberg in seinen Bemühungen um eine Erneuerung des Waffenstillstands und eine allgemeine Wiederbelebung des Friedensprozesses. Die Bundesrepublik ist außerdem einer der größten internationalen Geldgeber im Bereich der humanitären Hilfe für den Jemen. Darüber hinaus ist Deutschland eines der wenigen Länder, das seine Entwicklungszusammenarbeit mit dem Jemen durch den gesamten Krieg hindurch aufrecht erhalten hat.

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Jemen: Aktuelle humanitäre Situation vor Ort

Das Factsheet fasst die aktuelle Lage im Jemen sowie die Arbeit der Welthungerhilfe vor Ort zusammen und gibt einen Ausblick auf die Zukunft.

Seit Beginn des Krieges hat sich die humanitäre Lage im Jemen weiter dramatisch verschlechtert. Laut Angaben der Vereinten Nationen gibt es derzeit 4,5 Millionen Binnenflüchtlinge. Über 21 Millionen von insgesamt ca. 30,5 Millionen Menschen benötigen humanitäre Unterstützung. Circa 17 Millionen Menschen haben keinen sicheren Zugang zu Nahrung. 2,2 Millionen Kinder leiden an schwerer akuter Unterernährung.  

Jemen: „Armenhaus der arabischen Welt“

Die Gründe für die katastrophale humanitäre Lage im Jemen sind vielfältig und komplex. Allen voran sind die schlechte wirtschaftliche Lage und die Instabilität des Finanzsystems zu nennen. Mehr als 50 Prozent aller Jemenit*innen haben seit Beginn des Konfliktes ihre Arbeit verloren – und dies in einem Land, das schon vorher als „Armenhaus der arabischen Welt“ bezeichnet wurde. Darüber hinaus ist durch die umstrittene und unvorbereitete Umsiedlung der jemenitischen Zentralbank von Sana’a nach Aden durch Präsident Hadi im August 2016 eine regelmäßige Zahlung von Gehältern an Staatsbedienstete, darunter Lehrer*innen und Krankenhauspersonal, in großen Teilen des Landes ausgeblieben. Viele dieser Gehälter waren das einzige Einkommen ganzer Großfamilien und oftmals das einzige Sicherheitsnetz eines Dorfes. 

Der jemenitische Rial hat durch die stark eingeschränkten Steuerungsmöglichkeiten durch die Zentralbank massiv an Wert verloren. Die Kaufkraft der Bevölkerung ist massiv gesunken, gleichzeitig stiegen Lebensmittelpreise aufgrund der hohen finanziellen und logistischen Hürden für Lebensmittelimporte. In den meisten Regionen des Landes sind daher zwar Lebensmittel auf den Märkten vorhanden, es kann sie sich jedoch kaum jemand leisten.

Friedensprozess: Neue Hoffnung, große Herausforderungen

Am 10. März 2023 verkündeten Saudi-Arabien und der Iran in China die baldige Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen ihren beiden Ländern. Angesichts der Rolle dieser beiden Staaten im Jemen-Konflikt versprechen sich viele Beobachter*innen von dieser Annährung der beiden regionalen Kontrahenten auch neue Dynamiken für dessen friedliche Lösung. Im Rahmen dieses Abkommens soll Iran zugesichert haben, die Huthis nicht mehr zu Angriffen auf saudisches Territorium zu ermutigen und keine Waffen mehr an die Huthis zu liefern. Auch die schon seit Längerem andauernden Gespräche zwischen Saudi-Arabien und den Huthis machen vielen Hoffnung auf einen neuen Impetus für den lange Zeit brachliegenden Friedensprozess.  

Die Gespräche zwischen den Huthis und Saudi-Arabien ebenso wie das Abkommen zwischen dem Königreich und Iran werden getragen von dem Interesse Saudi-Arabiens, sich vor dem Hintergrund seiner nationalen innenpolitischen Ambitionen ein möglichst stabiles sicherheitspolitisches Umfeld zu schaffen. Dazu gehört auch, sich baldmöglichst aus dem teuren und aussichtslosen Engagement im Jemen unter Wahrung der wichtigsten nationalen Interessen, d.h. die Sicherheit des eigenen Territoriums und der Seewege, herauszuziehen.  

Gespräche zwischen Saudi-Arabien und den Huthis können jedoch ebenso wenig den Jemen-Konflikt beenden wie Gespräche zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, denn im jemenitischen Bürgerkrieg sind zahlreiche weitere Akteure involviert, die aktuell an keinem Verhandlungstisch sitzen: allen voran die derzeit im Präsidialrat versammelten Repräsentanten der Anti-Huthi-Koalition mit ihren jeweils eigenen, oft antagonistischen Interessen. Wie neu aufflammende Kampfhandlungen in Marib am Tag vor Ramadanbeginn zeigen, werden weder die Huthis aufhören, ihre innerjemenitischen Widersacher zu bekämpfen, noch werden diese dies tun. Den Krieg im Jemen können nur die jemenitischen Konfliktakteure beenden, möglichst in einem vom UN-Sondergesandten koordinierten und möglichst inklusiven Prozess, der einen nachhaltigen Frieden für den Jemen garantiert. 

Stimmen aus der Zivilgesellschaft

Es gibt zahlreiche mutige und engagierte Männer und Frauen, die sich für den Frieden in ihrem Land einsetzen. In den von ihnen kontrollierten Gebieten schränken die Huthis jedoch schon seit Jahren die Handlungsmöglichkeiten der lokalen Zivilgesellschaft durch illegale Festnahmen und Entführungen, Folter, Bedrohungen und Einschüchterungen sowie die Vorgabe, alle zivilgesellschaftlichen Aktivitäten bei einer extra hierfür eingeführten Behörde zu registrieren, ein. Relativ neu ist die Vorgabe der Autoritäten in Sana’a, dass Frauen nur noch mit einem mahram reisen dürfen (also mit einer männlichen Begleitperson aus dem engeren Familienumfeld), was das humanitäre und zivilgesellschaftliche Engagement von Frauen signifikant einschränkt. Auch in den Gebieten außerhalb der Kontrolle der Huthis müssen zivilgesellschaftliche Aktivitäten immer öfter genehmigt werden. Darüber hinaus sehen sich hier solche Akteure durch Milizen und Sicherheitskräfte wie den „Sicherheitsgürtel“ ebenso bedroht wie durch die allgemein schlechte Sicherheitslage und fundamentalistische Akteure, die vor allem das Engagement von Frauen zu begrenzen versuchen. 

In allen Regionen sind zivilgesellschaftliche Akteure des Weiteren mit der Herausforderung konfrontiert, finanzielle Unterstützung für friedensfördernde Aktivitäten angesichts des internationalen Fokus‘ auf humanitäre Unterstützung zu generieren. Internationale humanitäre Akteure sollten sich daher in der Pflicht sehen, ihre Leistungen mit langfristig wirkenden Entwicklungs- und Stabilisierungsmaßnahmen zu verknüpfen. Essen an Schulen würde sich beispielsweise nicht nur positiv auf die derzeit dramatische Lage im Bildungssystem auswirken, sondern auch das Rekrutieren von Kindersoldat*innen verhindern, von denen sich viele den Milizen auf beiden Seiten anschließen, um Zugang zu regelmäßigen Mahlzeiten zu erlangen. 

Jemen: Menschen stehen bei einer Bargeldverteilung Schlange.
Menschen stehen bei einer Bargeldverteilung Schlange. © ACTED

Jemen: Wie geht es weiter?

Von der weiteren Dynamik im Jemen-Konflikt hängt viel von der konkreten Ausgestaltung eines möglichen Abkommens zwischen den Huthis und Saudi-Arabien ab. Werden die Huthis von Saudi-Arabien all das zugesagt bekommen, was in ihrem Interesse liegt, d.h. die vollständige Öffnung des Hafens in al-Hudayda und des Flughafens in Sana’a sowie die Zahlung aller Gehälter des öffentlichen Sektors, inkl. des Sicherheitssektors? Und sollte dies der Fall sein, werden sie dann überhaupt noch ein Interesse an innerjemenitischen Verhandlungen haben? Wird sich Saudi-Arabien mit einem solchen möglichen Abkommen eventuell komplett aus dem Konflikt herausziehen und damit die militärische und politische Position der vom Königreich bislang unterstützten Akteure signifikant schwächen? Und was bedeutet all dies für das Engagement der Vereinigten Arabischen Emirate in dem Konflikt und für die von ihnen unterstützten Akteure im Süden und Osten des Landes, allen voran der Südübergangsrat und die mit ihm affiliierten Akteure, die de facto die Kontrolle über Aden haben? 

Für alle Akteure, inklusive der Huthis und Saudi-Arabien, muss klar sein, dass deren Gespräche nur dazu dienen können, eine konkrete Dimension des Konfliktes im Jemen zu lösen und als Sprungbrett für daran anschließende innerjemenitische Gespräche zu dienen. Der Bürgerkrieg im Jemen war nie ein reiner Stellvertreterkrieg zwischen Iran und Saudi-Arabien, der sich durch regionales Rapprochement lösen ließe. Eine Beendigung der regionalen Dimensionen des Konfliktes birgt jedoch neues Potential auch für eine Lösung des innerjemenitischen Konflikts – jedoch nur, wenn Saudi-Arabien seine Verantwortung hierfür ernst nimmt.

Die Welthungerhilfe unterstützt Ernährungsprogramme für akut unterernährte Kinder unter fünf Jahren und schwangere sowie stillende Frauen im Jemen.

So hilft die Welthungerhilfe den Menschen im Jemen

Die Welthungerhilfe ist Teil der Alliance2015, einem strategischen Netzwerk von sieben europäischen Nichtregierungsorganisationen, die sich für humanitäre Hilfe und Entwicklungsprojekte einsetzen. Diese Zusammenarbeit erhöht die Effektivität, sowohl bei der Arbeit in den Zielländern als auch bei politischen Kampagnen. Im Jemen arbeiten wir mit PIN zusammen. Zudem kooperieren wir mit den Organisationen Islamic Relief und Saferworld. Für die Zukunft ist auch eine Zusammenarbeit mit der jemenitischen Zivilgesellschaft geplant. 

Unter anderem unterstützen wir derzeit Ernährungsprogramme für akut unterernährte Kinder unter fünf Jahren und schwangere sowie stillende Frauen. Betroffenen erlernen wichtige Hygienepraktiken und werden bei Krankheiten stationär behandelt. Über 40.000 Kinder und mehr als 20.000 Frauen wurden bereits identifiziert und in die Ernährungsprogramme aufgenommen.

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