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30.01.2019 | Gastbeitrag

Jemen: Bericht aus einem Land in Trümmern

Der Bürgerkrieg hat die Menschen im ohnehin schon armen Jemen hart getroffen. Die Vereinten Nationen erwarten, dass 80 Prozent der Bevölkerung in diesem Jahr auf humanitäre Hilfe angewiesen sein wird. Julian Zakrzewski, Landesdirektor der Partnerorganisation ACTED berichtet aus einem Land in Trümmern und erklärt wie seine Organisation zusammen mit der Welthungerhilfe den Menschen vor Ort hilft.

Ein junger Mann sitzt auf einem Trümmerhaufen und stützt den Kopf in die Hände. Sein Blick ist verzweifelt.
Ein Mitglied der Houthi-Gruppe sitzt auf dem Schutt von Häusern, die durch einen von Saudi-Arabien geführten Luftangriff über Nacht in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa zerstört wurden. © Reuters
Julian Zakrzewski ACTED

Interview mit Julian Zakrzewski, dem Landesdirektor der französischen NGO ACTED, Partnerorganisation des Bündnisses Alliance2015.

Wie sieht aktuell die Lebenssituation der Menschen im Jemen aus? Welche Unterstützung benötigen sie am dringendsten?

Im Jemen spielt sich eine der schlimmsten humanitären Katastrophen unserer Zeit ab. Der bewaffnete Konflikt hat ein ohnehin schon armes Land hart getroffen. Eine wirtschaftliche Talfahrt, die speziell die Währung enorm an Wert verlieren ließ, der Zusammenbruch staatlicher Institutionen, die Blockade der Häfen und Zugangswege sind nur einige Gründe, warum sich die humanitäre Lage trotz enormer Anstrengung von Hilfsorganisationen weiter verschärft. Neue Studien der Vereinten Nationen gehen davon aus, dass in diesem Jahr mehr als 24 Millionen Menschen humanitäre Hilfe benötigen. Das sind 80 Prozent der Bevölkerung und eine Steigerung um 10 Prozent im Vergleich zum letzten Jahr. Und mehr als 15 Millionen Menschen sind von einer Hungersnot bedroht.

Seit drei Jahren herrscht Bürgerkrieg, über 24 Millionen Menschen benötigen dringend Hilfe. Mehr Fakten zum Land und zur Arbeit der Welthungerhilfe.

Viele Menschen wissen nicht, wo sie das Essen für den nächsten Tag herbekommen sollen, nehmen deshalb nur eine Mahlzeit täglich zu sich oder essen nur alle paar Tage etwas. In vielen Orten im Jemen gibt es aber genügend Nahrungsmittel zu kaufen. Es ist vielmehr so, dass sich die Menschen aus vielerlei Gründen das Essen nicht mehr leisten können. Gehälter für Staatsbedienstete sind seit Jahren gar nicht, oder mit großen Abstrichen bezahlt worden.

Zum Hunger kommt vielerorts der Mangel an sauberem Trinkwasser. Der jahrelange Krieg hat lebenswichtige Infrastruktur zerstört. Das hat Ende 2017 zu dem größten je gemessenen Ausbruch an Cholera geführt. Obwohl sich die Zahlen der neuen Infektionen verringert, ist die Gefahr an Cholera zu erkranken immer noch hoch. Das gilt besonders in abgelegenen Gebieten, wo die Versorgung mit sauberem Trinkwasser wegen Bombenangriffen oder durch fehlende Wartung von Brunnen oder Leitungen nicht mehr gewährleistet werden kann.

Welche Möglichkeiten gibt es für die Menschen im Jemen aktuell, um an Essen und Trinkwasser zu gelangen?

Viele Menschen im Jemen könnten ohne humanitäre Hilfe nicht überleben. Das Welternährungsprogram (WFP) der Vereinten Nationen verteilt Essensrationen für fast zehn Millionen Menschen jeden Monat. Das schreckliche an der Situation ist, dass in anderen Krisen dieser Welt, Menschen neben den WFP Rationen oftmals noch ihre eigenen Reserven haben.

Julian Zakrzewski, ACTED Länderdirektor Jemen

Die Zivilbevölkerung braucht die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft zum Überleben. Wir dürfen sie nicht allein lassen.

Julian Zakrzewski ACTED-Landesdirektor im Jemen

Im Jemen gibt es Millionen von Menschen, die seit Jahren auf Nahrungsmittelverteilungen als einzige Energiequelle angewiesen sind. Dafür sind die Rationen aber nicht ausgelegt und Menschen, die nur von Verteilungen leben, haben spätestens ab dem zweiten Jahr ihre Fettreserven aufgebraucht und ihre körperliche Leistungsfähigkeit verschlimmert sich durch die nährstoffarme Ernährung. Deshalb versuchen wir durch Verteilungen von Bargeld den Menschen die Möglichkeit zu geben, auch andere wichtige Grundbedürfnisse zu befriedigen. 

ACTED und die Welthungerhilfe unterstützen die Menschen im Jemen u.a. finanziell. Warum erhalten die Menschen Bargeld anstatt Lebensmittel oder Artikel des täglichen Bedarfs?

Erst Geld, dann Sachmittel. Dieser Trend setzt sich in der Nothilfe durch.

Wie bereits erwähnt ist im Jemen die Versorgungslage in vielen Gebieten nicht das größte Problem. Vielmehr haben die Menschen kein Geld, um sich das Nötigste zu leisten. Das ist ein Grund, warum ACTED und die Welthungerhilfe Geld verteilen. Die Gelder erlauben nicht nur den Menschen ihr Prioritäten selbst zu wählen, sondern stärken auch die lokale Wirtschaft, indem die Kaufkraft der Menschen erhöht wird. Neben den Vorteilen für die Jemeniten hat die Verteilung von Bargeld auch für uns Vorteile.

Es entfallen nämlich die hohen Transportkosten in abgelegene Gebiete und die Verteilung von Bargeld geht schneller als die Verteilung eines sperrigen Nothilfepaketes. Ganz konkret verteilen aber nicht wir als Hilfsorganisation die Geldscheine. Aus Sicherheitsgründen arbeiten wir mit den Banken vor Ort in den Dörfern zusammen.

Wie stellen Sie sicher, dass die Hilfe auch wirklich ankommt?

Im Jemen gibt es nur wenig Menschen, die keine Hilfe brauchen würden. Trotzdem konzentrieren wir uns auf die Ärmsten der Armen. Dafür gibt es klare Auswahlkriterien: z.B. Familien mit unterernährten Kindern oder schwangeren Frauen, Haushalte, die von Frauen oder Kindern geführt werden und Familien mit chronisch kranken Angehörigen. Diese Menschen sind besonders bedürftig.

ACTEDs Mitarbeiter*innen sind täglich in den Gemeinden unterwegs, um unsere Projekte zu erklären und die Auswahlkriterien zu erläutern. Alle unsere Projekte werden von unabhängigen Gutachter-Teams begleitet und überprüft, um sicherzugehen, dass die Hilfe wirklich bei denen ankommt, die sie am nötigsten brauchen.

Im Februar findet eine internationale Geberkonferenz für den Jemen statt. Welche Erwartungen haben Sie?

Analyse: Das steckt hinter dem Bürgerkrieg im Jemen.

Die anstehende Geberkonferenz erlaubt es, die Augen der Weltöffentlichkeit wieder auf den Jemen zu richten. Regierungen werden hoffentlich davon überzeugt, dass ihr Engagement im Jemen jetzt mehr gebraucht wird als jemals zuvor. Wie bereits erwähnt, wird die Anzahl der Menschen, die von einer Hungersnot bedroht sind, auf 15 Millionen Menschen anwachsen.

Der Jemen braucht internationale Aufmerksamkeit, um die Konfliktparteien weiter an die Verhandlungstische zu bekommen und die Zivilbevölkerung braucht die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft zum Überleben. Wir dürfen sie nicht allein lassen.

Wie stellt sich die Arbeit in einem Land dar, das momentan von Krieg und Hunger geprägt ist?

Der Jemen ist ein wunderschönes Land, mit wunderbaren stolzen Menschen. Es ist traurig zu sehen, wie der Krieg das Land verändert und Zwietracht zwischen Gruppen sät, die bis vor Kurzem noch friedlich nebeneinander gelebt haben. Das absurde an der Situation ist, dass die Supermärkte in z.B. Sanaa voll sind und keine Knappheit zu erkennen ist. Gleichzeitig sind die Straßen aber voll mit Menschen, die zum Überleben betteln müssen.

Menschen stehen bei einer Bargeldverteilung Schlange.
Menschen stehen bei einer Bargeldverteilung Schlange. © ACTED

Wenn man in den Norden des Landes fährt sind die Auswirkungen des Krieges besonders spürbar.  Auf dem Weg von Sanaa nach Sadaa ist jede einzelne Brücke zerstört, was zu langen Transportwegen führt. Während meines letzten Besuches in unserem Büro in Sadaa wurden wir nachts von mehreren Luftschlägen in unmittelbarer Umgebung aufgeweckt. Eine Situation die für die Menschen vor Ort leider schrecklicher Alltag ist.

Gibt es ein Erlebnis oder eine Begegnung, die besonders in Erinnerung bleiben wird?

Schon die Landung auf dem Flughafen in Sanaa, der nur durch Flugzeuge der Vereinten Nationen angeflogen werden darf, macht deutlich, dass der Jemen ein von Krieg gezeichnetes Land ist.  Das Rollfeld ist gesäumt von zerstörten Passagierflugzeugen, Kampfflugzeugen und Kampfhubschraubern.  Die Abflughalle ist gezeichnet von Luftschlägen und der Flughafen ist abgesehen von Mitarbeiter*innen von internationalen Hilfsorganisationen und der Vereinten Nationen verwaist. Die zerstörten Flugzeuge sind wie eine Warnung an Neuankömmlinge und eine Mahnung an die Ausreisenden den Jemen nicht zu vergessen.

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