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18.05.2022 | Gastbeitrag

Kinakoni – Ein Dorf gegen den Hunger

40 Millionen Menschen stehen kurz vor einer Hungersnot. Ein Dorf in Kenia sucht ganz neue Lösungen.

Ein Paar steht zusammen auf einem Feld, Kenia 2021.
Makali und Lina Kilii bewirtschaften in Kinakoni eine Shamba, ein traditionelles Feld. © Jonas Wresch/Welthungerhilfe
Marc Goergen Koordinator Auslandsprojekte Stiftung stern

Er schien schon fast besiegt – aber jetzt kehrt der Hunger mit Wucht in Teile der Welt zurück. Drei Jahre lang werden der stern und die Welthungerhilfe in einem einzigartigen Projekt ein Dorf in Kenia unterstützen, um gemeinsam mit den Menschen vor Ort Lösungen zu finden. Begleiten Sie uns dabei.

Die Hoffnung von Makali und Lina Kilii liegt ausgedörrt und vertrocknet neben ihren Hütten. Es ist Frühsommer in dem kleinen Dorf Kinakoni in Kenia, eigentlich die Zeit des frischen Grüns und des großen Wachsens. In normalen Zeiten sind jetzt Ende Juni, Anfang Juli, die "Long Rains", die großen Regenfälle Kenias, gerade vorbei. Drei Monate durchwässern kräftige Niederschläge die rote Erde, lassen Mais, Hirse oder Bohnen gedeihen, genug, um die anstehenden schwierigen Monate zu überbrücken – in normalen Zeiten. Doch normal ist hier in Kinakoni schon lange nichts mehr.

Menschen und Esel an einem Fluss in Kitui County, Kenia 2021.
Menschen in Kitui County sammeln Wasser an einem Fluss. Dafür nutzen sie Esel und Karren. © Jonas Wresch/Welthungerhilfe

Die Felder sind vertrocknet

Nur ein paarmal hat es in dieser Regenzeit überhaupt geregnet. Kilii führt über das Feld neben den Hütten. Fast jede Familie hier hat eine solche "Shamba", so heißt das kleine Feld auf Swahili. Meist ein Rechteck von vielleicht 50 auf 100 Metern. Und auf allen klingt es ähnlich: Es knistert unter den Füßen, die vertrockneten Blätter der Pflanzen rascheln im Wind.

Keine der Maispflanzen wird einen Kolben hervorbringen. Hirse? Fehlanzeige. Ein paar Bohnen haben es geschafft, sie rieseln aus dürren Schoten in die Hand. "Es wird von Jahr zu Jahr schwieriger", sagt Kilii, "davon kann man keine Familie ernähren."

Das vertrocknete Feld des Farmerpaares ist Ergebnis des Klimawandels, darin sind sich Experten einig. Die Regenfälle gerade in Ostafrika werden unberechenbar, die Ernten schwieriger – einer der Gründe für eine verhängnisvolle Entwicklung in Teilen der Welt: Der Hunger kehrt zurück.

Luftaufnahme von einem ausgetrockneten Flussbett mit rötlicher Erde. Rechts sind drei Wasserlöcher zu sehen, um die herum etwas Grün wächst.
Kinakoni leidet unter der anhaltenden Dürre. In einem ausgetrockneten Flussbett haben Menschen selbst Wasserlöcher gegraben, um einige Nahrungsmittel anbauen zu können. © Jonas Wresch/Welthungerhilfe

40 Millionen Menschen stehen knapp vor einer Hungersnot

Es ist ein so erstaunlicher wie beängstigender Trend. Lange Zeit war die Menschheit auf dem Weg, den Hunger zu einer Geißel von gestern zu machen. Die aufgeblähten Bäuche der Kinder aus der nigerianischen Region Biafra in den 60er Jahren, aus den Bürgerkriegsgebieten Äthiopiens in den Siebzigern und Achtzigern, das schienen Gespenster der Vergangenheit zu sein.

Doch diese Gespenster kehren zurück. Nahm die Zahl der unterernährten Menschen bis etwa 2014 beständig ab, hat sich diese Entwicklung zunächst stark verlangsamt und nun, auch infolge der Einkommensausfälle durch die Pandemie, umgekehrt. Etwa 270 Millionen Menschen droht dieses Jahr eine Nahrungsmittelknappheit – nahezu eine Verdopplung im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit. Mehr als 40 Millionen Menschen stehen knapp vor einer Hungersnot.

Ich habe es weltweit noch nie so schlimm gesehen.

Amer Daoudi über die Ernährungssituation in Ostafrika Senior Director of Operations beim World Food Programme (WFP) der Vereinten Nationen

Und wieder einmal ist Afrika der Kontinent, der davon am stärksten betroffen ist. In der umkämpften äthiopischen Provinz Tigray könnten schlimmstenfalls mehrere Hunderttausend Menschen verhungern, auch im Süden Madagaskars ist die Lage nach einer beispiellosen Dürre dramatisch. Doch auch stabile Länder wie Kenia kämpfen wieder mit dem Hunger. Auf dem Kontinent gelten zurzeit 20 Prozent der Menschen als unterernährt – bis 2030 prognostizieren die Vereinten Nationen einen Anstieg auf 25 Prozent.

Dabei haben viele Länder Afrikas, anders als das Klischee es will, seit der Jahrtausendwende eine verblüffende Entwicklung hingelegt. Städte wie Lagos, Kigali oder Nairobi sind Start-up-Zentren geworden, mit Co-Working-Büros, die nicht anders aussehen als die in Berlin, nur dass die Männer und Frauen mit dem To-go-Kaffee in der Hand und den Kopfhörern im Ohr schwarz sind. Selbst im Corona-Jahr 2020 flossen 1,3 Milliarden US-Dollar Risikokapital in den Kontinent. Wie passt das zusammen – der Aufbruch und der Hunger? Und könnte im einen die Lösung für das andere liegen?

Nicht die Deutschen bringen die Lösung

Dieser Frage gehen der stern und die Deutsche Welthungerhilfe in einem einzigartigen Projekt nach. Über drei Jahre hinweg wollen wir am Dorf Kinakoni genau untersuchen, welche Gründe der Hunger hat, und gemeinsam mit den Bewohner*innen Maßnahmen entwickeln, um langfristig dagegen vorzugehen.

Der wichtigste Punkt dabei: Nicht wir, die Deutschen aus dem fernen Europa, sagen, wie es zu laufen hat. Ziel ist es, mithilfe der Ideen von Gründer*innen der Start-ups aus Nairobi Lösungen für die Probleme Kinakonis zu finden, die dann auch in anderen Dörfern umgesetzt werden können. Mit an Bord ist der Frankfurter Risikokapitalgeber GreenTec Capital, der gute Kontakte in die Start-up-Szene der kenianischen Hauptstadt hat.

Eine Gruppe Menschen sitzt zusammen um eine Karte und berät sich, Kenia 2021.
Bewohner*innen Kinakonis zeichnen eine Karte ihres Dorfen und legen gemeinsam fest, welche Bedürfnisse und Ressourcen sie haben. © Jonas Wresch/Welthungerhilfe

Etwa 50 Einwohner*innen Kinakonis haben sich an diesem Tag im Schatten einiger Akazien gleich neben einem großen Felsen versammelt. Sie sind gekommen, um mit einem Team von stern und Welthungerhilfe über das anstehende Projekt zu diskutieren, über die Probleme und Chancen, die ihre Heimat hat. Kinakoni liegt 250 Kilometer südöstlich von Nairobi inmitten einer weiten Ebene. Zunächst geht es über mehrspurige Highways, zuletzt über staubige Pisten. Es ist eine trockene Savannenlandschaft, die viel von einem Bilderbuch-Afrika hat. Akazien, Baobabs und Büsche wachsen zwischen den Hütten und Feldern der Familien, ein teils ausgetrockneter Fluss schlängelt sich durch die Ebene. Etwa 5.000 Menschen leben hier. Geprägt wird Kinakoni durch mehrere hohe Felsen. Von dort oben geht der Blick Dutzende Kilometer weit, bis er sich im Dunst verliert.

Die Dorfbewohner*innen zeichnen ihre Heimat nun in die Erde. Mit Farben, Blättern, Früchten markieren sie die Schulen ihres Ortes, den Markt, die Straßen – mit dem Ziel, die Probleme zu priorisieren. Es ist eine lebhafte Diskussion. Die von der Dorfgemeinschaft delegierten Männer und Frauen stehen mal in Gruppen zusammen, mal im Halbkreis um die Dorfkarte, der Moderator des Workshops verdichtet die Gedanken an einem Präsentations-Board.

Das Leben war nie einfach – aber das Klima berechenbarer

Auch Makali Kilii, der Bauer mit dem vertrockneten Feld, ist gekommen. Kilii ist ein stiller Mann, er hält sich im Hintergrund, dabei hat er das gleiche Problem wie fast alle hier: Er weiß kaum mehr, wie er seine Familie ernähren soll. Makali Kilii, 46, und seine Frau Lina, 40, haben sieben Kinder. Der Jüngste ist fünf, die Älteste 21 – sie hat schon selbst ein Baby. Sie alle leben in mehreren aus Lehmziegeln gebauten Hütten in der Mitte von Kinakoni. Dazwischen laufen ein paar dürre Hühner und streunende Hunde herum, in den Büschen haben sich Fetzen von Plastiktüten verfangen. Unter einem Baum liegt ein Haufen Steine, daneben ein Mopedpedal: Mit diesem improvisierten Hammer zerkleinert Lina Kilii die größeren Brocken zu Kies – und verschafft der Familie so zumindest ein kleines Einkommen.

Ein Paar steht zusammen auf einem Feld, Kenia 2021.
Makali und Lina Kilii kommen kaum über die Runden und sind gezwungen, einige Mahlzeiten auslassen. © Jonas Wresch/Welthungerhilfe

Das Leben in Kinakoni war nie einfach. Die Landschaft ist karg, es gibt kaum Jobs, die meisten Menschen leben von der Hand in den Mund. Auch früher gab es schon Hungerjahre. Doch das Klima war berechenbarer. In guten Jahren verdienten die Kiliis durch den Verkauf von Gemüse vom Feld etwas dazu. In normalen Jahren reichten die Erträge, um alle Familienmitglieder zu ernähren. Und in schlechten Jahren, wie sie jetzt immer häufiger auftreten? "Wir essen nur noch einmal am Tag, am Abend. Am Morgen gibt es nur Tee. Mittags nichts", erzählt Kilii. Er beschreibt damit, was Hunger-Fachleute Bewältigungsstrategien nennen. Mahlzeiten auszulassen gehört immer dazu. Wenn zusätzlich die Nahrung sehr einseitig ist – im Falle der Menschen von Kinakoni ist das häufig Ugali, ein Maisbrei –, nimmt die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit rapide ab.

Und Hunger ist ein zäher Gast. Hat er sich einmal des Körpers bemächtigt, wütet er dort lange, auch dann noch, wenn es wieder genug zu essen gibt. "Hunger betrifft praktisch alle Organe. Man sollte eher fragen: Gibt es einen Teil des Körpers, der nicht durch Hunger angegriffen wird?", sagt Michael Krawinkel. Der Kinderarzt und ehemalige Professor für Ernährung des Menschen an der Universität Gießen ist eine Kapazität in Sachen Mangelernährung und berät auch die Welthungerhilfe. Eiweißmangel bewirkt zum Beispiel, dass Fette im Herzmuskel nicht mehr mobilisiert und zur Energiegewinnung genutzt werden können. Stattdessen lagert sich zu viel Fett in den Herzmuskelzellen ab. Unter anderem deshalb entwickeln unterernährte Kinder oft eine Herzschwäche.

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Hunger schädigt den Menschen noch Jahre später

Ohnehin leiden die Jüngsten am schlimmsten: Ihr Körper muss wachsen und benötigt pro Kilo Eigengewicht mehr Nährstoffe. Und ist etwa die Leber erst einmal vom Hunger geschädigt, wachsen auch die Knochen nicht mehr richtig.

Forscher*innen sprechen dann von "Stunting", einer ernährungsbedingten Wachstumsverzögerung. Die betroffenen Kinder liegen oft Jahre hinter ihren Altersgenossen zurück. Auch in Kinakoni fällt auf, wie klein viele Kinder sind – ein Eindruck, den Statistiken belegen: In manchen Gegenden des County Kitui ist fast die Hälfte der Kinder von Stunting betroffen. Wird durch den Hunger der Wachstumsschub in der Pubertät ausgebremst, bleiben sie auch als Erwachsene klein. "Früher dachte man etwas verharmlosend, Stunting sei ein Anpassungsprozess des Körpers an schlechte Zeiten", sagt Kinderarzt Krawinkel. "Heute wissen wir, dass bei Kindern mit Stunting auch die Sterblichkeit höher ist."

Auch Makali und Lina Kilii haben schon ein Kind verloren. Der 1997 geborene Jonas starb nach nur vier Monaten; der genaue Grund ist unklar, er sei schwach gewesen, erzählen die Eltern. Die anderen Kinder der Familie wirken klein, zu klein für ihr Alter – auch hier wohl: Stunting.

Die Regenzeiten sind aus dem Rhythmus gekommen

Mit den Erträgen des Feldes die Familie zu ernähren, das war in Kinakoni nie einfach, "doch früher war auf die Regenfälle mehr Verlass", sagt Kilii. Er sitzt im Schatten vor einer seiner Hütten, die älteren Kinder zu seinen Füßen. Sie hören, wie ihr Vater von seiner Kindheit erzählt. Es könnte für sie wie aus dem Märchenbuch klingen.

Hungrig, durstig, stark geschwächt – so geht es Millionen Menschen in Ländern Ostafrikas.

"Wenn im März die ersten Regenfälle kamen, dann haben wir ausgesät. Die Pflanzen wuchsen, man musste nicht viel tun." Der aus dem Rhythmus gekommene Wechsel von Regen- und Trockenzeiten ist einer der Gründe für die Rückkehr des Hungers in Ostafrika. Normalerweise sind hier zwei Ernten möglich. Eine in Juli und August, eine weitere Januar und Februar, jeweils nach den Regenzeiten.

Die aktuelle Ernte allerdings ist nahezu komplett verloren, die Prognose für die kommende sieht kaum besser aus. Meteorolog*innen sehen eine länger anhaltende Dürre voraus – schon Anfang September hat Kenias Präsident Uhuru Kenyatta deshalb den Katastrophenfall ausgerufen. In den am stärksten betroffenen Gebieten im Norden des Landes oder im County Tana River verenden bereits die Herden der Nomaden. Dürren gab es in Ostafrika immer – doch sie folgen heute viel dichter aufeinander als noch vor ein paar Jahrzehnten.

Und es ist nicht nur der ausbleibende Regen, der die Menschen trifft. Seit zwei Jahren verheeren riesige Heuschreckenschwärme die Region. Dahinter steht eine Kettenreaktion, die begann, als es 2018 auf der Arabischen Halbinsel ungewöhnlich stark regnete, wo sich dann die Schwärme der gefräßigen Insekten entwickelten, die mit den Winden nach Afrika getrieben wurden. Und hinter diesem Regen in der Wüste steckte, so urteilen Experten, auch wieder der Klimawandel.

Hinzu kommt, dass die Lockdowns der Corona-Pandemie die Einkommen vieler Familien einbrechen ließen. Die Impfquote in Kenia ist wegen fehlender Vakzine dramatisch niedrig; nicht einmal drei Prozent der Bevölkerung sind geimpft. Die Folgen zeigen sich in den Armenvierteln der Städte – aber auch auf dem Land wie in Kinakoni. Denn viele Familien hier haben einen Vater, einen Onkel, einen Bruder, der in Nairobi oder Mombasa arbeitet: als Maurer oder Fahrer, als Tagelöhner oder in den Küchen von Restaurants oder Hotels. Und der nun kein Geld mehr schickt, sondern selbst versorgt werden muss.

Josephine Mbuvi, die als "Village administrator" Kinakoni vorsteht, erzählt, dass sie seit Monaten nun schon ihrem Mann, der auf dem Bau in der Küstenstadt Malindi arbeitet, Geld schicken muss – eigentlich war es umgekehrt geplant.

Josephine Mbuvi steht auf einem Felsen in der Landschaft und schaut selbstbewusst Richtung Kamera.
Josephine Mbuvi ist die Bürgermeisterin des Dorfes. Trotz ihres hart erarbeiteten Postens kann sie kaum das Essen für ihre Kinder bezahlen. © Jonas Wresch/Welthungerhilfe

Mbuvi, 40, gehört zu den Männern und Frauen aus Kinakoni, die wir durch die drei Jahre begleiten wollen. Sie ist eine beeindruckende Selfmade-Frau, die es geschafft hat, sich auf den Posten der Bürgermeisterin vorzuarbeiten – und die trotzdem kaum das Essen für ihre Kinder bezahlen kann.

Kavata Katithi ist die Nachbarin von Malaki und Lina Kilii. Die 36-Jährige muss ihre drei Kinder allein großziehen – kein ungewöhnliches Schicksal. Immer wieder verlassen Männer die Frauen, sobald diese schwanger werden – Familienplanung mit Verhütungsmitteln gibt es so gut wie nicht. Katithi arbeitet sechs Tage in der Woche auf dem Markt von Kinakoni in einer kleinen Metzgerei. Damit verdient sie pro Tag etwa zwei Euro. Das reicht kaum, um die Familie durchzubringen. Erschwerend kommt hinzu, dass Duncan, 14, ihr Ältester, entwicklungsgestört ist – für eine geeignete Schule aber fehlt ihr das Geld.

Peter Mulwa ist Imker – so wie schon sein Vater und sein Großvater. Etwa 20 Männer in Kinakoni verdienen ihren Lebensunterhalt mit den Bienen. Dreimal im Jahr hängt Mulwa ausgehöhlte Baumstammstücke in die Akazien. Dort nisten sich die Insekten ein. Nach mehreren Wochen "erntet" er den Honig in einer abenteuerlichen nächtlichen Aktion ohne Schutzanzug. Der Honig schmeckt dank der Akazien intensiv und würzig – doch viel Geld verdient er damit nicht. Das meiste streichen die Zwischenhändler*innen ein.

Ein Schüler steht vor der Tafel, Kenia 2021.
Jeremiah Mbai ist 19 Jahre alt und geht auf die Secondary School in Kinakoni. Er hat einen sehr guten Notendurchschnitt, musste aber dennoch eine Klasse wiederholen, da seine Mutter Pauline nicht genug Geld hatte um Jeremiah und seinen älteren Bruder gleichzeitig zur Schule zu schicken. Pauline ist Putzfrau an der Schule und kann weder lesen noch schreiben. Jeremiah will Chemie und Mathematik-Lehrer werden. © Jonas Wresch/Welthungerhilfe

Jeremiah Mbai kämpft mit anderen Sorgen. Er ist 19 und geht in die Abschlussklasse der weiterführenden Schule von Kinakoni – wenn er denn geht. Denn immer wieder darf Jeremiah nicht zur Schule, weil seiner Mutter das Geld für die Gebühren fehlt. Die achte Klasse, die letzte der Grundschule, hat er wiederholen müssen. Nicht wegen schlechter Leistungen, sondern aus Geldmangel. Seine beiden älteren Brüder waren damals schon auf der teureren Secondary School, und die Mutter konnte nicht das Schulgeld für alle drei auftreiben. Das Tragische daran: Jeremiah ist mit Abstand der Beste seines Jahrgangs.

Der stern und die Welthungerhilfe bilden sich nicht ein, mithilfe der Start-ups aus Nairobi all diese Probleme lösen zu können, mit denen sich schon seit Jahrzehnten Regierungen, Entwicklungsagenturen und Hilfsorganisation herumschlagen. Aber wir werden einiges anders machen als üblich in der Entwicklungszusammenarbeit, und wir wollen Sie regelmäßig an unserer Arbeit teilhaben lassen. Denn auch das ist unser Ziel: Die Themen Hunger und Entwicklungszusammenarbeit müssen wieder auf die Agenda. Gemeinsam wollen stern und Welthungerhilfe über Methoden, Ansätze, Innovationen aufklären. Auch darüber, dass das Afrika des Jahres 2021 nicht das Afrika von 1980 ist, dass den Problemen auch Chancen gegenüberstehen.

Mit Kenias Start-ups gegen den Hunger

Im kenianischen Dorf Kinakoni werden gemeinsam mit Start-ups neue innovative Ansätze für die Hungerbekämpfung entwickelt.

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Vielleicht steht keine Stadt so für dieses andere Afrika wie Kenias Hauptstadt Nairobi – die Heimat der Jungunternehmerin Anne Nderitu. Wir treffen Nderitu im Büro ihrer Firma im Zentrum Nairobis. Draußen drängen sich Menschen, Autos, Taxis auf den Straßen, das übliche Chaos der Millionenstadt. Auch hier drinnen wuselige Geschäftigkeit: Kabel und Werkzeuge liegen zwischen den Laptops, der Konferenztisch dient als Werkbank. Darauf liegt ein gut zwei Meter langes Flugzeug aus Holz, Plastik und Elektronik – eine Drohne, von Nderitus Team selbst entwickelt.

Das andere Afrika

Nderitu, 26, wache Augen, gewinnendes Lächeln, ist eine der drei Gründer*innen von Swift Lab, einem kenianischen Start-up, das solche Flugobjekte einsetzt, um damit Felder zu vermessen oder Medikamente zu transportieren.

Katastrophen, Kriege und Krisen – das ist der Dreiklang, den noch immer viele mit dem Kontinent verbinden. Daran ist nicht alles falsch, wie das Beispiel Kinakoni zeigt. Aber es gibt eben auch das andere Afrika. Städte wie Nairobi sind geprägt von einer jungen urbanen Elite, die sich, kaum anders als ihre Altersgenossen in Europa, Asien und Amerika, per App das Uber-Taxi oder das Essen bestellen, die mit dem Pitch beim Geldgeber kämpfen statt mit der Ernte auf dem Maisfeld.

"Ich ärgere mich wahnsinnig über die Klischees, die über Afrika in Umlauf sind. Als ob hier alle Frauen ständig nur Wassereimer auf dem Kopf balancieren würden!"

Anne Nderitu Jungunternehmerin in Nairobi

In Kenia begann der digitale Aufbruch vor etwa 15 Jahren. Die von einheimischen Programmierer*innen entwickelte Plattform Ushahidi half nach der Wahl 2007, Übergriffe gegen Oppositionelle zu dokumentieren. Fast gleichzeitig kam M-Pesa auf den Markt: ein System, um mit dem Handy zu bezahlen. Heute kann man damit an jedem Kiosk selbst in den Slums seine Cola kaufen. Nderitu beschäftigt in ihrer Firma derzeit neun Männer und Frauen, weitere sollen bald folgen. Drohnen gelten in Afrika als Zukunftsbranche. Gerade in Gegenden, in denen es kaum Straßen gibt, lassen sich mit ihnen günstig kleinere Lasten transportieren.

Team von Swift Lab: Sieben junge Leute lächeln in die Kamera und halten ein Flugobjekt mit Drohne.
Anne Nderitu, rechts, ist Co-Founder von Swift Lab Limited in Nairobi. Sie stellt mit ihrer Firma VTOL Fix-Wing Drohnen her. Damit können z.B. Felder vermessen oder Medikamente transportiert werden. © Jonas Wresch/Welthungerhilfe

Das meiste Geld verdient das Team derzeit noch mit Agrar- und Kartierungsaufträgen. Behörden buchen die Swift-Lab-Leute zum Beispiel, um von Cholera besonders gefährdete Gebiete zu lokalisieren – aus der Luft lässt sich erkennen, wo sich verschmutztes Wasser sammelt, wo sich also die Cholera-Bakterien entwickeln können. Oder die Miniflugzeuge verteilen Pestizide, das ist günstiger und sicherer, als wenn Menschen mit den Giftstoffen hantieren.

Die Fluglizenz für die kleineren Helikopterdrohnen erwarb Anne Nderitu auf einer Akademie in Malawi. Zurück in Kenia, bekam sie auch jene für die großen Drohnen mit Flügeln – als erste Frau in Kenia. Und nun sollen die Drohnen von Nderitus Firma auch in Kinakoni zum Einsatz kommen, genauso wie die Ideen anderer Gründer*innen. Die Fluggeräte sollen unter anderem dabei helfen, die besten Flächen für Gemüse oder Früchte zu finden.

Das Wasser-Problem wird angepackt

Aber erst einmal wird es um etwas anderes gehen: um Wasser. Denn genau das haben Makali Kilii, Kavatha Katithi und die anderen Menschen aus Kinakoni im Workshop als ihr drängendstes Problem analysiert. Nach drei Tagen des Diskutierens, des Sammelns und Verwerfens stand "Water" ganz oben auf der Liste des Workshops. Vor Gesundheit, Bildung, Jobs.

Ein Brunnen in Kinakoni, Kenia 2021.
Ein von Viva con Agua finanzierter Bohrbrunnen. Für die Menschen in Kinakoni hat Wasserversorgung höchste Priorität. © Jonas Wresch/Welthungerhilfe

Eine bessere Versorgung mit Wasser wird also das erste Ziel unseres Projektes sein. Eine wichtige Rolle werden dabei die Reservoire in den Felsen von Kinakoni bilden, in denen das Wasser der Regenzeit gesammelt wird. Um dieses Wasser auch für die Trockenzeiten besser speichern zu können, entstehen gerade unten in der Ebene Tanks – unter tatkräftiger Hilfe der Menschen aus Kinakoni.

Die Tanks sind die Grundlage für alles Weitere, sie beruhen auf Erfahrungen, die das Team der Welthungerhilfe anderswo in der Wasserversorgung sammeln konnte. Denn genau darum geht es in dem Projekt Kinakoni: Erfahrungen auszutauschen, Neues zu wagen – gemeinsam mit den Menschen, die es betrifft.

Nicht alles wird funktionieren, doch vieles schon, davon sind wir überzeugt. Es ist eine Reise, deren exakte Route noch niemand kennen kann, aber die Sache ist es wert. Kommen Sie mit, begleiten Sie uns und die Menschen aus Kinakoni.

Das Projekt wird gemeinsam vom stern und der Welthungerhilfe druchgeführt. Der stern hat Anfang November 2021 die öffentliche Berichterstattung darüber begonnen. 
Mitarbeit: Nicole Heißmann. Factchecking: Michael Lehmann

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