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20.04.2017 | Gastbeitrag

Überleben in der Dürre

Am Horn von Afrika herrscht die schlimmste Dürre seit über 60 Jahren. Die Wasserreserven in Somaliland sind größtenteils aufgebraucht – für die Welthungerhilfe eine der größten humanitären Herausforderungen der letzten Jahre.

Alexej Getmann Journalist und Autor

Die Hufen der Ziegen und Schafe wirbeln den staubtrockenen Sand auf. Auf der Suche nach Grünflächen wandert ein Hirte mit seinen Tieren durch ein ausgetrocknetes Flussbett. Um ihn herum, die Spuren der Katastrophe: Unzählige Tierkadaver säumen den Weg durch die Savanne – ein beißender Verwesungsgeruch liegt in der Luft.

Im Westen des Landes, nicht weit von der Stadt Boroma entfernt, sammelt eine Familie Äste, sie wollen ein Holzgerüst für ihre Hütte bauen. Darüber kommen Planen und Decken zum Schutz vor Staub und Wind. Auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen sind sie aus dem Osten von Somaliland geflohen. 100 Ziegen und Schafe haben sie auf der Flucht verloren – etwa die Hälfte ihrer Herde.

Jeden Tag kommen neue Menschen an, weil sie gehört haben, dass es hier mehr regnet. „Die Menschen aus dem Osten ziehen in andere Gebiete des Landes, weil die Situation hier ein bisschen besser war. Jetzt müssen sich viel mehr Menschen Wasser und Tiernahrung teilen, was auch hier zu einer verheerenden Lage geführt hat.“ erklärt Woldesenbet Gebre, der Programm-Koordinator der Welthungerhilfe in Somaliland.

Tausende Menschen in Somaliland sind auf Nothilfe angewiesen

Eine Herkulesaufgabe für die Hilfsorganisation: 4.000 Menschen, die aus den Dürregebieten im Osten des Landes geflohen sind, und rund 15.000 Ortsansässige müssen allein in Idhanka, nahe der Stadt Boroma, in der Awdal-Region, mit dem Nötigsten versorgt werden. Damit diese Menschen nicht verhungern, organisiert die Welthungerhilfe Wasser- und Lebensmittelverteilungen. Die Mitarbeiter kaufen alles auf lokalen Märkten, um die Wirtschaft im Land zu stärken – auch wenn alle Produkte dort längst importiert werden, weil es kaum noch Nahrung aus Somaliland gibt.

Für Yurub Abdilahi spielt es keine Rolle, woher das Essen kommt. Sie ist froh, dass es für sie und ihre fünf Kinder überhaupt etwas zu essen gibt. Auch sie ist aus dem Osten Somalilands geflohen. Fünf Monate war sie auf der Suche nach Wasser unterwegs – ohne Erfolg. „Ich habe auf der Flucht mein ganzes Vieh verloren – ohne die Essensverteilung der Welthungerhilfe könnte meine Familie nicht überleben.“ sagt die 40-Jährige, während sie darauf wartet aufgerufen zu werden, um ihre Ration abzuholen. Reis, Weizenmehl, Öl, Milchpulver, Datteln – einen Monat lang muss die Familie von Yurub Abdilahi nicht mehr hungern. Was danach kommt, kann niemand genau sagen.

Umdenken, langfristig planen

Wenige Kilometer weiter, sucht Ali Migene in der Landschaft nach großen, kantigen Steinen und wirft sie auf einen Haufen. Sein Kollege schichtet sie zu einem ordentlich aufgereihten Staudamm übereinander. Es wirkt zunächst paradox, wenn in der schlimmsten Dürre der jüngsten Zeit, Maßnahmen zum Aufhalten von Wasser betrieben werden. „Wenn es hier regnet, dann sehr kurz und sehr heftig – oft wird dabei das ganze Land mitgerissen, was unsere letzten Ressourcen bedroht. Damit das nicht passiert, bauen wir Staudämme.“ erklärt Ali Migene den Sinn seiner Arbeit. Er und seine Kollegen wurden von der Welthungerhilfe beauftragt. Im sogenannten „Cash for work“ Programm bekommen sie Geld für den Bau von Dämmen. „Ich helfe damit meiner Gemeinde und mit dem verdienten Geld können wir Lebensmittel auf dem Markt kaufen.“ sagt der 62-Jährige und wirft einen hoffnungsvollen Blick in den Himmel – aber auch heute bleibt der Regen wohl wieder aus.

Dort, wo es noch ein wenig Grundwasser gibt, setzt die Welthungerhilfe auf nachhaltige Landwirtschaftsprojekte. „Wir haben Brunnen gebaut und die Menschen mit Wasserpumpen ausgestattet. So können sie ihre Felder bewässern und Landwirtschaft betreiben.“ erklärt Woldesenbet Gebre von der Welthungerhilfe. Doch zunächst mussten die Menschen von den Vorteilen der Landwirtschaft und dem Leben an einem Ort überzeugt werden, denn die Bevölkerung besteht überwiegend aus Nomaden und Viehhaltern.

Aus Viehhaltern werden Bauern

Deeza Hussein ist froh, dass sie sich darauf eingelassen hat. Ihre Familie ist eine von 500 Familien, die sich durch das Landwirtschaftsprojekt der Welthungerhilfe autonom versorgen. Auf ihren Feldern wächst alles, was man für eine reichhaltige und abwechslungsreiche Ernährung braucht: Kohl, Rote Beete, Mais, aber auch Zwiebeln und Tomaten. „Die Welthungerhilfe hat uns Samen gegeben und uns gezeigt wie man die Felder bewirtschaftet. Wir haben auch gelernt, wie man eigenen Dünger herstellt und die Felder mit natürlichen Zäunen vor wilden Tieren schützt. Dieses Wissen geben wir nun an andere weiter.“ erzählt die 60-Jährige stolz und blickt über das Land, das wie eine grüne Oase aus der tristen Savanne heraussticht. Nur die Orangenplantage darf heute niemand betreten – Deeza Hussein hat geträumt, dass ihre Orangenbäume sterben, wenn sie den Besuch aus Deutschland hineinlässt. Leider kann das auch ohne den Besuch passieren, denn der nahegelegene Fluss bietet kaum noch Wasserreserven. „Wenn es weiterhin nicht regnet und die Dürre anhält, dann sind auch unsere Projekte in Gefahr.“ beklagt Woldesenbet Gebre.

Yurub Abdilahi ist mittlerweile zurück von der Essensverteilung und sitzt mit der Familie vor ihrer kleinen Hütte. An einem Lagerfeuer setzt sie Wasser auf, um ihren Kindern ein wenig Reis zu kochen. Bei der Verteilung kam es zu Tumulten: Menschen, die leer ausgegangen sind, haben versucht Lebensmittel zu stehlen – die Polizei musste eingreifen. „Wir helfen den Menschen hier so gut es geht, aber uns fehlen einfach die Mittel – die internationale Gemeinschaft muss deutlich mehr investieren.“ sagt Woldesenbet Gebre. Jede vorbeiziehende Wolke am Himmel bringt ein bisschen Hoffnung in die verzweifelte Situation. Die Hoffnung auf Regen ist das, was alle Menschen in Somaliland gemeinsam haben. Mit der Welthungerhilfe an ihrer Seite kommt auch ein wenig Sicherheit hinzu – die Menschen hier wissen, dass sie nicht alleine sind.

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