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12.10.2015 | Gastbeitrag

Hunger kann besiegt werden

Es ist eine der größten Errungenschaften der letzten 50 Jahre, und trotzdem ist sie beinahe unbemerkt geblieben: Die Überwindung der großen und katastrophalen Hungersnöte, die das Leben und Sterben in Afrika, Asien und Europa früher mitbestimmten.

Ein Kind schläft in einem provisorischem Bett
Schlafen statt essen - viele Menschen, die hungern müssen, sehen das als "Ausweg". © Imke Lass
Alex de Waal Gastautor

Noch vor zwei Generationen stellte das massenhafte Verhungern von Menschen in vielen Teilen der Welt eine bedrückende Routine dar – es geschah so häufig, dass oft nicht einmal darüber berichtet wurde. Von den 1870er bis zu den 1960er Jahren wurden in jedem Jahrzehnt Millionen Menschen von Hungersnöten hinweggerafft. Diese Zahlen haben sich massiv verringert: Seit den 1980er Jahren hat keine einzelne Hungersnot mehr eine Opferzahl von einer Million erreicht.

Was ist passiert?

Die Zahlen erzählen eine spannende, zum Teil geographische und zum Teil politische, Geschichte. Seit 1870 sind in großen Hungersnöten – darunter zählen Katastrophen mit mehr als 100.000 Todesopfern – rund 145 Millionen Menschen gestorben, mehr als 75 Prozent davon in Asien. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert war die imperiale Unterdrückung die Hauptursache für Hungerkatastrophen in Asien, da sie die Agrarwirtschaft extrem anfällig für Dürren, Plagen oder steigenden Nahrungsmittelpreisen gemacht hat. Während des Zweiten Weltkriegs waren mehrere Seiten für Hungersnöte verantwortlich.

Europa, und hier vor allem Russland, belegt in dieser grausigen historischen Statistik den zweiten Platz. Katastrophen wie die Hungersnot während des russischen Bürgerkriegs in den 1920er Jahren, der Holodomor in der Ukraine und der Hungerplan der Nationalsozialisten kosteten zwischen den 1920er und den 1940er Jahren schätzungsweise 22 Millionen Menschen das Leben.Die Hauptgründe waren, wie in Asien: Hunger als Methode der Kriegsführung und totalitärer Herrschaft.

Hungersnot in Äthiopien: Kombination aus Krieg und Dürre

Im späten 19. Jahrhundert verursachten imperialistische Eroberungskriege eine Reihe von akuten Hungerkrisen. Aber erst in den 1980er Jahren wurde Afrika zu dem am stärksten von Nahrungsmittelkrisen betroffene Kontinent, wobei die schlimmste Katastrophe zwischen 1983 und 1985 in Äthiopien stattfand und durch eine Kombination aus Krieg und Dürre verursacht wurde.

Hungersnöte sind von Menschen verursachte Katastrophen. Heutzutage würde keine Regierung Millionen von Menschen verhungern lassen, wie es imperialistische Herrscher, kommunistische Zentralplaner und Befehlshaber in Vernichtungskriegen getan haben. Das ist ein Fortschritt, aber es bleibt noch viel zu tun.

Die Hungersnöte unserer Zeit sind durch bewaffnete Konflikte verursacht

Die schlimmste Hungersnot des letzten Jahrzehnts war 2011 in Somalia und kostete etwa 250.000 Menschen das Leben. Die meisten von ihnen starben in Gebieten, die von der extremistischen Al-Shabaab-Gruppe kontrolliert wurden oder umkämpft waren. In vielen abgelegenen Gebieten in Syrien, wo die Zivilbevölkerung von den verschiedenen bewaffneten Gruppen, darunter dem Islamischen Staat, belagert wird, herrscht aktuell starker Hunger. Für die Hungersnöte in beiden Ländern spielt die US-Antiterrorstrategie eine Rolle, da sie es humanitären Organisationen erschwert, die betroffene Zivilbevölkerung mit Hilfsleistungen zu versorgen. Begründet wird dies damit, dass eine Hilfsorganisation, wenn sie Zivilpersonen hilft, auch Gruppen unterstützen könnte, und sei es in noch so geringem Ausmaß, die als terroristisch eingestuft werden, was die US-Gesetzgebung verbietet.

Hunger zu verhindern muss die übergeordnete Pflicht sein.

Alex de Waal

In einem Kriegsgebiet zu helfen, ist schon schwierig genug, wie aktuell im Südsudan zu sehen ist, wo sich humanitäre Organisationen zwischen schwierigen Frontlinien bewegen müssen und mit paranoiden militärischen Befehlshabern konfrontiert sind, die vor Diebstahl und Mord nicht zurückschrecken.

Noch schwieriger wird es, wenn die US-Gesetzgebung damit droht, eine Organisation zu blockieren oder ihre Hilfstätigkeiten zu unterbinden, sollte diese wissentlich oder unwissentlich mit einer Person oder einer Gruppe zu tun haben, die auf einer Terrorliste steht. Dieses Gesetz ist nicht nur unmoralisch, es ist auch kontraproduktiv: Die einzigen, die von einer vermeidbaren Hungersnot in Somalia, Syrien oder anderswo profitieren könnten, sind ebenjene Extremisten, denen das Leben ihrer eigenen Leute gleichgültig ist und die den westlichen Länder vorwerfen, scheinheilig und unmenschlich zu sein. Es braucht eine humanitäre Ausnahmeregelung für das Gesetz, das den Kontakt mit Terroristen verbietet.

Beistand für alle notleidenden Menschen

Bis 2030 scheint ein Ende Hunger möglich – bis dahin sollen die Nachhaltigen Entwicklungsziele umgesetzt werden. Dafür ist es aber notwendig, dass die großen Weltmächte sich dazu bekennen, Hungersnöte zu verhindern und eine übergeordnete Verpflichtung eingehen, die gewährleistet, dass alle Not leidenden Menschen ungeachtet der Umstände auch den nötigen Beistand erhalten können.

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