Von Afrika lernen
Ein kleiner Spaziergang hinter dem Hotel in Addis führt uns durch Wellblechhütten, über rote Straßen. Am Straßenrand spielen Kinder, die Kleider schmutzig vom vielen Staub. Ein paar Meter weiter hoch den Berg verändert sich die Gegend.
Eine weiß getünchte Villa mit großen Säulen und goldenen Elementen strahlt im Dunst von Addis. Den Eingang bewachen zwei steinerne Löwen. Wie ein fettes, geblechtes Grinsen steht sie da, die Villa, und guckt von oben herab auf die Armut der anderen. „God is great“, prangt selbstgefällig ein Schild an der gusseisernen Pforte. Das Bild dieser zwei benachbarten Welten bleibt in meinem Kopf während unserer fünftägigen Reise durch Äthiopien.
Für eine Woche hat uns die Welthungerhilfe zu einem Think Tank nach Addis Abeba gebeten. Wir Searchers, das sind Wissenschaftler, Künstler, Studenten, Unternehmer, Journalisten. Viele von uns sind keine Entwicklungshilfe-Experten. Aber wir haben auch nicht über dem Masterplan für Afrika gebrütet, sondern nach neuen, unverstellten, wagemutigen Perspektiven gesucht. Wir wollten herausfinden, was uns beschäftigt und antreibt und wie wir zusammen in Zukunft auf diesem Planeten leben können.
Flüchtlinge als gesellschaftliche Chance
Also haben wir uns für den ersten Tag ein Thema ausgesucht, das uns alle etwas angeht und uns in beiden Welthälften betrifft: Migration.
Auch zu Hause in München haben wir in den letzten Wochen viel über Flüchtlinge gesprochen. Der Oberbürgermeister ließ zwischenzeitlich die Erstaufnahmeeinrichtung wegen Überfüllung schließen. Mit 15.000 Menschen ging ich für eine Stadt auf die Straße, die Flüchtlinge willkommen heißt.
Ich finde, dass Deutschland die Flüchtlinge als gesellschaftliche Chance begreifen muss. Doch in Äthiopien kam ein anderer Aspekt dazu: Die afrikanischen Jugendlichen, die bei uns ankommen, fehlen in ihren Heimatländern. Darf man von Flüchtlingen profitieren?
Wir waren uns einig, dass wir keine qualitativen Unterschiede zwischen Flüchtlingen machen dürfen. Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen aus ihrer Heimat fliehen sind genauso schützenswert wie solche, die vor politischer Verfolgung fliehen. Eine schlechte Wirtschaft hat immer auch politische Ursachen. Wer es geschafft hat und nicht im Strudel der Korruption mitschwimmen will, geht weg. Wer es im eigenen Land nicht schaffen kann, weil Eliten ihr eigenes Volk klein zu halten versuchen, sucht sein Glück woanders.
Während wir alle über Vor- und Nachteile von Migration diskutierten, kam einer nicht so richtig zur Sprache: Bahati. Derjenige von uns, der das alles selbst erlebt hatte. Derjenige, der nicht nur Searcher, sondern auch Survivor ist.
Es war rein zufällig, dass ich beim Abendessen nach diesem ersten Denkfabrik-Tag neben Bahati am Tisch saß. Seine Geschichte hat mein Denken verändert. Mit 13 Jahren ist er ganz allein aus den Wirren im Kongo nach Uganda geflohen. Das Flüchtlingscamp, in das er kam, ist keines wie wir es kennen, sondern eine richtige Stadt mit 40.000 Bewohnern. „Wir sind alle arm“, sagt Bahati, „aber es gibt die Ärmsten unter den Armen“. Und genau denen wollte er helfen, Jugendlichen, die wie er ganz ohne ihre Familie dastanden. Also beschloss er mit zwei Freunden eine eigene Schule aufzubauen, mitten im Camp, mit dem bisschen Geld, das sie hatten. Sie schafften es, gegen jede Bürokratie und jeden Pessimismus. Mehrere hundert Schüler gehen heute auf zwei Schulen, die ersten haben sogar den Sprung an die Universität gemeistert. Dass hier keine NGO am Werk war, sondern drei mutige, willensstarke kongolesische Köpfe, hat mich beeindruckt. Braucht es wirklich immer Hilfe von außen? Oder ist Hilfe von innen heraus vielleicht die nachhaltigere?
Ja, wir waren durchaus kritisch auf unserer Reise in Äthiopien, es gab hitzige Debatten („Wie verträgt sich Naming & Shaming mit dem Gedanken von Entwicklungsarbeit auf Augenhöhe?“) und verrückte Ideen („Sollten europäische Staaten den afrikanischen Ländern ein Pro-Kopf-Geld für jeden aufgenommenen Flüchtling zahlen?“). Doch genau das ist der Grund, warum wir zu dieser Denkfabrik zusammengekommen sind. Ab und an tut es gut, sich und die bestehenden Strukturen zu hinterfragen.
Eine Reise voller Emotionen
Mich hat diese Reise wütend, hoffnungsvoll, traurig und glücklich gemacht. Wütend auf die Besitzer der überdimensional großen Rosenplantagen, an denen wir auf unserem Ausflug vorbeifahren, weil sie ihre Abwässer in die Seen Äthiopiens leiten. Hoffnungsvoll mit Blick auf die Wasserleitung, die Leben rettet und den Frauen in den Dörfern die Chance gibt, ihren Tag anders zu gestalten als allein mit acht Stunden Wasserholen. Traurig, weil einer wie Mugabe gerade eine Geburtstagsparty für eine Million Dollar gibt, während sich äthiopische Kinder über einen einzigen Buntstift freuen, den ich mitgebracht habe. Glücklich, denn so viel Kinderlachen wie in diesen fünf Tagen in Äthiopien habe ich in Deutschland noch nie gesehen.
Vor allem aber bin ich als kritischerer Mensch aus Äthiopien zurückgekommen. Ich glaube, dass NGOs mehr mit Menschen wie Bahati arbeiten müssen. Wir können eine Menge von ihnen lernen. Lasst uns endlich nicht mehr über-, sondern miteinander sprechen.
Diese kleine Denkfabrik mit ihren zwei aufeinanderprallenden Welten war ein guter Anfang. Es war eine großartige Chance, die Stimmen Afrikas zu hören. Da waren die Frauen aus der Dorfgemeinschaft, die uns erzählt haben, wie sie ihren Kindern Hygiene-Regeln beibringen. Da war Guy, ein kamerunischer Künstler, der so oft kritisch den Finger in die Wunde gelegt hat. Und da war Francis, ein Professor aus Südafrika, dessen Zitat wir uns auf die Fahnen schreiben sollten: „Completeness is an extravagant illusion!“
Wir sollten anerkennen, dass die Welt, in der wir selbst leben, nicht perfekt ist. Dass auch unser Leben, unsere Werte und unser Denken unvollkommen sind. Dass wir als „Weiße“ eben nicht den Schlüssel zur Weisheit besitzen.