Nach dem Erdbeben in Haiti
Stück für Stück geht es voran
Jetzt funktioniert das Internet wieder. Ich will die Gelegenheit nutzen, kurz etwas zu berichten. Ich habe gesehen, dass es Reaktionen auf meinen Blog-Eintrag gab. Das ist schön. Das tut gut. Vielen Dank für die Grüße und den Zuspruch! Diese Aufmunterung können wir hier wirklich gut gebrauchen.
Die Belastungen ringsherum wachsen. Die Erde kommt nicht zur Ruhe, die Menschen auch nicht. Man weiß ja, dass auf ein heftiges Beben immer auch weitere folgen. Wieder gab es zwei spürbare Nachbeben. Wieder sind wir alle raus gerannt. Vielleicht kommen ja noch mehr. Die Informationen über mögliche weitere Beben sind sehr unterschiedlich. Das macht einen schon auch nervös.
Die Menschen hier sind völlig traumatisiert. Sie leben in ständiger Panik. Auch hier im Büro, wo wir Bekannte untergebracht haben. Da stößt man zum Beispiel aus Versehen an einen Tisch, der wackelt, und die Leute fangen an zu schreien. Eine unvorstellbare psychische Belastung, die sie aushalten müssen, die wir alle aushalten müssen. Unser Team ist zwar sehr gefasst und konzentriert. Aber auch wir sind traurig und erschüttert.
Immer wieder bekommen wir Nachrichten über Bekannte, Freunde, die nicht mehr leben, über deren Verbleib man nichts weiß. Unsere Buchhalterin hat die gerade funktionierende Internet-Verbindung genutzt, um bei Facebook Nachrichten von Angehörigen, Bekannten oder Freunden nachzulesen. Und plötzlich fängt sie an zu weinen. Sie hat erfahren, dass eine gute Freundin ums Leben gekommen ist. Dann nehmen wir uns alle in den Arm, trösten uns, sprechen uns Mut zu. Und kurz danach fangen wir uns wieder und machen weiter unseren Job. Eine eigenartige Realität.
Seit gestern kommen Hilfslieferungen am Flughafen an. Er ist für kommerzielle Flüge gesperrt, damit Hilfsgüter und Bergungstrupps landen können. Das ist eine gute Nachricht. Eine andere ist, dass Bergungstrupps aus den Trümmern des Hotels Montana Überlebende bergen konnten. Jetzt gibt es Hoffnung auf noch mehr gute Nachrichten. Die brauchen die Leute hier auch.
Die Situation ist sehr angespannt. Viele Straßen sind für Autos gesperrt, damit die Menschen dort weiterhin übernachten können. So sind aber gleichzeitig auch Versorgungswege versperrt. Die Leute schlafen draußen, in den Parks, überall wo sie einen Platz im Freien finden. Sie wollen gar nicht mehr in noch stehende Häuser zurück, vor lauter Angst. Überall häuft sich allmählich der Müll und kann nicht entsorgt werden. Und über allem hängt der süßliche Geruch der Toten. Eine schreckliche Mischung.
Inzwischen kümmern wir uns um die Umsetzung unserer Hilfsmaßnahmen. Wir haben Kontakt zu unseren Kollegen von Partnerorganisationen aus ganz Europa. Diese Abstimmung müssen wir zurzeit noch ohne übergeordnete Unterstützung und ohne 100prozentig verlässliche Kommunikationsmittel auf die Beine stellen. Und wir müssen sehen, dass auch unsere eigene Versorgung gesichert ist, für genügend Trinkwasser und Nahrungsmittel sorgen. Gut zu wissen, dass die Kollegen aus Bonn unsere Partner in der Dominikanischen Republik bei der Beschaffung von Hilfsgütern unterstützen konnten. Es wird zunächst Reis, Bohnen, Öl und Salz sowie auch Hygieneartikel geben. Auch das ist doch eine gute Nachricht.
Es geht weiter. Und ich hoffe, es wird bald noch mehr gute Nachrichten geben.
Ich bitte Sie noch einmal ganz nachdrücklich: Wir brauchen Ihre Unterstützung, damit wir den Menschen hier helfen können.
Ihr Michael Kühn