Der Welthunger-Index berechnet und bewertet die globale Hungersituation.
Bildung stärken, auf Frieden hoffen
Es ist mein dritter Besuch in Afghanistan nach 2008 und 2014. Natürlich war das Thema Sicherheit schon in den vergangenen Jahren präsent, aber dieses Mal scheint es bei meinen Gesprächen in Kabul das alles bestimmende Thema zu sein.
Nach dem verheerenden Anschlag auf die deutsche Botschaft am 31. Mai 2017 haben alle Organisationen ihre Sicherheitsvorkehrungen verschärft, auch die Welthungerhilfe. Bewegungen außerhalb der Büros werden auf ein Mindestmaß reduziert, die Kontrollen verschärft und internationales Personal abgebaut. In Kabul und den Provinzen gibt es fast täglich einen oder mehrere Anschläge mit vielen Toten und Verletzten. Die deutschen Medien berichten kaum noch darüber. Nur noch die besonders gravierenden Terroranschläge werden kurz erwähnt.
Wer in Afghanistan als Mitarbeiter*in der Welthungerhilfe lebt, ist in ein enges Informationsnetzwerk eingebunden, über das versucht wird, Risiken - soweit es geht - abzumildern. Das gilt sowohl für nationales wie auch für internationales Personal.
Welthunger-Index: "ernste Hungersituation" im Land
Am meisten leidet aber die Bevölkerung in den Gebieten, in denen militärische Auseinandersetzungen stattfinden. Dabei verlaufen die Auseinandersetzungen zwischen Taliban und der Nationalen Armee, zwischen den Taliban und dem IS oder der Armee und dem IS. Vor allem der IS wird als besonders unberechenbar eingeschätzt.
Insgesamt kommt die Wirtschaft kaum in Gang. Das Leben ist unsicher, intern Vertriebene, Rückkehrer und Flüchtlinge prägen das Bild in vielen Städten. Der von der Welthungerhilfe herausgegebene Welthunger-Index (WHI) stellt in der Ausgabe 2017 eine "ernste Hungersituation" für Afghanistan fest. Das Land firmiert auf Platz 107 von 119 Ländern, für die der Index berechnet wird. Dabei gibt es allerdings große Unterschiede, wie ein Blick auf die chronische Mangelernährung von Kindern zeigt. Es gibt Provinzen mit einem Anteil von bis zu 70% chronisch mangelernährten Kindern wohingegen in anderen Provinzen ein Anteil von 23% festgestellt wird.
Der Weg aus der Armut führt nur über Bildung
Die Welthungerhilfe versucht unter den herausfordernden Bedingungen in diesem Land die besonders hilfsbedürftige Bevölkerung sowohl in den ländlichen Provinzen wie auch in Kabul zu erreichen.
Der Weg aus der Armut führt nur über Bildung. Alphabetisierungskurse sind ein Anfang.
Mathias Mogge Welthungerhilfe-Vorstand ProgrammeIn Kabul besuche ich Alphabetisierungsklassen. Die Teilnehmer sind junge Frauen und Männer, die auf Grund von Kämpfen hierher vertrieben worden sind oder ehemalige Flüchtlinge aus Iran oder Pakistan, die nach Jahren im Ausland zurückkehren mussten.
Frauen aus einem Kurs berichten, dass sie bisher nicht genug Geld hatten, um eine Schule zu besuchen oder es keine Schule gab, da wo sie herkommen. Es werden viele Gründe aufgezählt. Mich beeindruckt die Zielstrebigkeit der jungen Frauen. Sie fragen gleich nach weiteren Möglichkeiten, sich fortzubilden. Sie haben erkannt, dass der Weg aus der Armut nur über Bildung führt und sie nun einen guten Anfang gemacht haben. Auch im Welthunger-Index 2017 werden wissenschaftliche Studien über Afghanistan zitiert, die einen klaren Zusammenhang zwischen der fehlenden Bildung von Frauen und chronischer Unterernährung von Kindern nachweisen.
Neben den Alphabetisierungskursen werden die Frauen dabei unterstützt Geflügelzucht zu betreiben, um so ihr Einkommen zu erhöhen. Dafür erhalten sie ein dreiwöchiges Training, materielle Unterstützung und eine Grundausstattung an Hühnern. Bisher sind die Erfahrungen mit diesem Ansatz sehr erfolgreich. Bildung verbessern und Einkommen schaffen ist die Devise.
Kabul wächst - und damit der Bedarf an Hilfsangeboten
Seit 1992 wurden mit rund 150 Millionen Euro mehr als 170 Projekte für und mit den Menschen in Afghanistan realisiert.
Wir hoffen, dass sich dieser Ansatz durchsetzt und auch in anderen Gebieten Kabuls Fuß fasst. Der Bedarf ist riesig, denn Kabul wächst unaufhörlich. Während der Talibanherrschaft hatte die Stadt rund 500.000 Einwohner*innen, mittlerweile werden 4 bis 5 Millionen Einwohner*innen geschätzt. Weil Kämpfe in den Provinzen das Leben fast unmöglich machen, suchen die Menschen in den Städten Schutz, allerdings ohne eigene Einkommensbasis.
Langfristig wird es in Afghanistan nur dann aufwärtsgehen, wenn die Kämpfe endlich beendet werden und ein Frieden ausgehandelt ist. Danach sieht es momentan allerdings nicht aus. Ganz im Gegenteil, die Kämpfe zwischen IS und Taliban und auch die Angriffe der beiden Gruppen auf die Regierungsarmee und zivile Ziele nehmen immer weiter zu.
Die Welthungerhilfe ist seit 25 Jahren ununterbrochen in Afghanistan tätig – während der derzeitigen Situation keine Selbstverständlichkeit. Umso größeren Respekt habe ich vor unseren Mitarbeiter*innen, die hier jeden Tag versuchen das Leben der Bevölkerung zu verbessern.
(Projektnummer: AFG1191-17)