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27.02.2019 | Projektupdate

"Der Bauch bleibt leer"

Nach dem schlechtesten Ertragsjahr der letzten zehn Jahre sieht sich die Regierung gezwungen, die täglichen Rationen zu kürzen. Was das für die Menschen in Nordkorea bedeutet, berichtet Landesdirektor Lars Düerkop.

Eine Frau fährt mit ihrem Fahrrad vorbei an Feldern.
Nordkorea: Eine Frau fährt mit ihrem Fahrrad vorbei an Feldern. © Aurore Belkin/Welthungerhilfe

Das Interview wurde mit Lars Düerkop, Landesdirektor der Welthungerhilfe in Nordkorea, geführt. 

Lars Düerkop Landesbüro Nordkorea

Wie die Regierung in Nordkorea bekannt gab, werden die Tagesrationen auf 300 Gramm reduziert. Das ist fast eine Halbierung. Wie sah bisher der Speiseplan einer nordkoreanischen Familie aus und wie stark ändert sich das jetzt?

10,9 Millionen Menschen sind bedürftig und unterernährt. Fast jedes fünfte Kind hat ein nicht altersentsprechendes Wachstum. Das öffentliche Verteilungssystem in Nordkorea (Public Distribution System, kurz PDS) soll allen Teilen der Bevölkerung die Nahrungsmittelsicherheit garantieren. Eine optimale Tagesration liegt bei 576 Gramm (Getreide, Mais und Kartoffeln). Diese wurde jedoch in der Vergangenheit nie voll erreicht. Die PDS-Raten lagen bei 360 bis 430 Gramm, also etwa 60 bis 70 Prozent des Erforderlichen.

Seit 1996 arbeitet die Welthungerhilfe in dem kommunistischen Land. Sie ist die einzige deutsche NGO mit einem Büro in der Hauptstadt Pjöngjang.

Anfang des Jahres wurde die Ration von 300 Gramm zunächst für Offizielle und Arbeiter ausgerufen. Dies entspricht einer Minderung von 20 bis 30 Prozent in Bezug auf die tatsächlichen Rationen in der Vergangenheit. Kinder, Frauen, Ältere erhalten bis auf weiteres höhere Tagesrationen. Absolute Priorität liegt bei den Kindern. Im Ergebnis fällt der Teller kleiner aus und der Bauch bleibt leer.

In dieser Situation werden Mechanismen gesucht, um entweder privat Lebensmittel hinzuzukaufen oder im Rahmen von Familien- oder Nachbarschaftshilfe Lebensmittel auszutauschen. Die Regierung will Nahrungsmittel importieren und hat die internationalen Organisationen, die im Land tätig sind, aufgefordert hier einen Beitrag zu leisten.

Grund für Kürzungen sind laut Pjöngjang vor allem Ernteverluste, die durch u.a. Dürreperioden und Überflutungen entstanden. Wann stehen die nächsten Ernten an und ist bereits absehbar wie schnell mit einer Verbesserung der Lage zu rechnen ist?

In 2018 haben mehrere Katastrophen die Ernteergebnisse stark negativ beeinflusst. Starkregenereignisse und eine noch nie dagewesene Hitzewelle mit Temperaturen bis zu 45 Grad Celsius just zum Zeitpunkt der Maiskornfüllung haben signifikante Ertragsausfälle zur Folge gehabt. Der Jahresernteertrag ist auf ein Zehnjahrestief unter die fünf Mio. Tonnen Grenze auf 4,95 Mio. gefallen. Erschwerend kam eine trockene Winterperiode hinzu, die Ernte des Wintergetreides stark beeinträchtigen wird. Erste Erträge werden mit der Kartoffelernte und des Wintergetreides in Juni erwartet.

Es stimmt, dass Pjöngjang zum einen die Klimaveränderungen verantwortlich macht, aber auch die Sanktionen der internationalen Gemeinschaft. Notwendige Landmaschinen, Betriebsstoffe, Dünger, Bewässerungssysteme konnten nicht eingeführt, genutzt oder in Betrieb genommen werden, um die Produktion abzusichern.

Es ist eine „gefährliche Situation“ entstanden, die eine Hungersnot zur Folge haben kann.

Zerstörungen in der Gemeinde Kumchon in Norkorea
Starkregen mit mehreren hundert Millimeter in nur wenigen Stunden verursachten im September 2018 Erdrutsche in der Kumchon Gemeinde, Nord Hwanghae Provinz. © Welthungerhilfe

Welchen Beitrag zur Verbesserung der Ernährungssituation leistet die Welthungerhilfe lokal in Nordkorea?

Die Welthungerhilfe leistet speziell einen Beitrag in der Ernährungssicherung und Nahrungsmittelsicherheit, sowie im Bereich Notfallvorsorge und Wasser, Sanitär und Hygiene. In der Ernährungssicherung führen wir derzeit Projekte zu qualitativ verbesserter Saatgutproduktion von Gemüse, Mais, und Kartoffeln in den Kooperativen sowie verbesserte nachhaltige landwirtschaftliche Anbautechniken durch. Dazu gehören beispielsweise Klima resiliente Mischkulturen, Kompostierung, System der Reisintensivierung, verbesserte Tierhaltung und Düngungsmethoden. Da Nordkorea zu 80 Prozent bergig ist, bieten wir für die besonderen Gruppen von Menschen, die in den Hanglagen leben und wirtschaften müssen, angepasste Anbaumethoden, Bewässerungssysteme, Nahrungsmittelverarbeitungssysteme sowie Alternativen zu Feuerholz zur Energieversorgung an. Im Rahmen einer insgesamt ausgewogenen Ernährung wird viel Wert auf die Vielfältigkeit der Ernährung sowie Aufklärungskampagnen gelegt.

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