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22.03.2019 | Projektupdate

Tabus brechen, Ernährung verbessern

In Indien sorgt ein ganzheitlicher Ansatz dafür, dass die Ernährungs- und Gesundheitssituation von indigenen Familien verbessert wird.

Eine Frau und ein Man spielen in einem Theaterstück.
Eine Szene aus dem Theaterstück über gute Ernährungspraktiken für schwangere und stillende Frauen. © Thomas Rommel
Thomas Rommel Freier Journalist

Bildung in Indien zählt – heute mehr, als jemals zuvor. Deutlich wird dies in der Stadt Jamshedpur: „Jamshedpur blüht und das sieht man auch an der Bevölkerung. Eine blühende Wirtschaft zieht gut ausgebildete Menschen an, die Wert auf die Bildung ihrer Kinder und einen guten Lebensstandard legen,“ beschreibt Rajesh Kumar Jha der stellvertretende Direktor des Centre for World Solidarity (CWS), eine Partnerorganisation der Welthungerhilfe. „Doch nur wenige Kilometer außerhalb der Stadt sieht es ganz anders aus.“

Knapp 47 km südlich von der Industrie-Stadt Jamshedpur wohnt die 24-jährige Gulabi Sabar. Sie gehört einer besonders gefährdeten indigenen Stammesgruppe ("Particular Vulnerable Tribal Group" (PVTG)) an. Vor nicht allzu langer Zeit lebte sie von dem, was der benachbarte Wald ihr bot, ergänzt wurde dies durch den Anbau von Reis. Heute ist der Wald jedoch ein Refugium für Elefanten und als Schutzgebiet ausgewiesen. Das bedeutet für Gulabi und die anderen Dorfbewohner*innen einen limitierten Zugang zu jenen Ressourcen, die einst ihre Lebensgrundlage bildeten.

Ernährungskurse für junge Mütter verbessern die Gesundheit der Familien

„Früher konnten wir den ganzen Tag damit verbringen, Feuerholz zu sammeln, um es dann auf dem Markt zu verkaufen,“ erzählt Gulabi. „Heute dürfen wir lediglich auflesen, was zu Boden gefallen ist. Das reicht zwar zum Kochen und Heizen, aber verkaufen können wir davon nichts mehr.“ Wir sitzen vor ihrem Haus auf einer Plastikmatte. Neben uns scharren ein paar Hühner und zwei Küken planschen fröhlich in einem weiten, wassergefüllten Blechteller.

In Indien hilft die Nationalflagge Frauen dabei, ein gesundes Gericht zusammenzustellen.

Gulabi ist eine der Teilnehmerinnen des Ernährungscamps, das CWS in insgesamt 40 Dörfern anbietet. Es geht um die Vorbeugung von Mangelernährung bei Kleinkindern. Sie hatte von den Schulungen durch die Mitarbeiterinnen des örtlichen ICDS, des Integrated Child Development Service, gehört. Der ICDS ist ein Angebot des Staates, das in fast allen größeren Dörfern die Gesundheit und Entwicklung der Kinder unterstützt. Neben Impfungen und allgemeinen Untersuchungen kümmern sich die Mitarbeiterinnen des Centers auch um Vorschulunterricht und machen Hausbesuche bei Familien.

„Als ich hörte, dass CWS die Kinder untersuchen und die Mütter in besseren Ernährungspraktiken unterrichten will, habe ich gefragt, ob ich nicht irgendwie behilflich sein kann.“ So kam Gulabi dazu, in den Messtechniken für den Ernährungszustand von Kindern ausgebildet zu werden: Wie wird richtig gemessen, gewogen, wie wird der Oberarmumfang richtig ermittelt? „Ich finde es toll, etwas Neues lernen zu können. Hier passiert ja sonst nichts Besonderes. Wenn es einmal Angebote gibt, muss ich das einfach nutzen.“

In Gulabis Dorf wurden 21 Familien mit unterernährten Kindern identifiziert. Um diesen Familien zu helfen, führt CWS ein drei-wöchiges Ernährungscamp durch. Jeden Tag werden die Mütter vormittags in das ICDS eingeladen, lernen mehr über Hygiene und dass Nahrung nicht einfach nur Nahrung ist. Es werden unterschiedliche Nahrungsmittelgruppen identifiziert und es wird gelernt, wie gesunde Speisen zubereitet werden.

Frauen sitzen im Kreis und unterhalten sich. Manche haben Kinder auf dem Schoß.
In Ernährungskursen lernen Frauen in Indien mehr über die Themen Nahrung und Hygiene. © Thomas Rommel

Verknüpfung aus Landwirtschaft, Ressourcenschutz und Ernährung

Mit dem ernährungsbasierten Entwicklungskonzept LANN+ verbindet die Welthungerhilfe alle wichtigen Sektoren in einem inklusiven Trainingsprogramm.

Der Welthungerhilfe und ihren Partnerorganisationen CWS, AVF und PRAVAH geht es nicht nur darum, Frauen über vielseitige Ernährung zu informieren. Sasmita Jena, Welthungerhilfe-Mitarbeiterin und Leiterin des Projektes fasst den Ansatz zusammen: „Wir schaffen eine Verknüpfung aus Landwirtschaft, Ressourcenschutz und verbesserter Ernährung. Das ist das sogenannte LANN Konzept (Linking Agriculture and Natural Ressources towards Nutrition Security).“ Sie geht weiter ins Detail: „Wenn sich Familien gesünder ernähren sollen, reicht es nicht, ausschließlich Kurse anzubieten. Wir müssen auch sicherstellen, dass die Familien Zugang zu verschiedenen Lebensmitteln haben. Darum bekommen die Teilnehmerinnen des Ernährungscamps Saatgut, um sich einen Gemüsegarten anzulegen. Damit dieser gut gedeiht, haben wir Landwirtschaftsexperten im Team, die den Familien helfen, nach ökologischen Ansätzen anzubauen. Eine vielseitige Nahrung kann nur dann eine Wirkung entfalten, wenn der Körper gesund ist und die Nahrung umwandeln kann. Deshalb ist es uns wichtig, dass die Familien sauberes Trinkwasser haben und sie grundlegende Hygieneregeln kennen.“

Dass dies alles, so ambitioniert es auch klingt, sehr realistische Erfolgsaussichten hat, wird an verschiedenen Stellen deutlich. So beschreiben die Mitarbeiterinnen des ICDS im Dorf Huludbani, dass die Familien nur sehr selten in die Routine der Vergangenheit zurück verfallen. Asmita Devi unterstreicht dies. Sie hat selbst von 2006 bis 2018 in einem ICDS-Zentrum gearbeitet und hat in ihrem Dorf Kalchitti intensiv bei den Schulungen mitgeholfen. Wenn die heute 45-jährige an ihre Kindheit zurückdenkt, erinnert sie sich an eine ewige Monotonie aus Kartoffelbrei und Reis. Als sie 2006 beim ICDS anfing und begann, junge Mütter in der Gemeinde zu besuchen, um nach den Kleinkindern zu sehen, war sie nicht besonders überrascht, als sie sah, dass in den meisten Familien immer noch derselbe Speiseplan vorherrscht.

Eine Frau im Sari füttert einen kleinen Jungen.
Eine Kursteilnehmerin füttert ihre Kinder. © Thomas Rommel

Asmita Devi weist aber darauf hin, dass nicht nur die Monotonie im Essen eine Rolle spielt. „Die Mangelernährung der Kinder beginnt hier doch bereits vor der Geburt. Es gibt so viele Tabus und Vorschriften, die einfach überholt werden müssen. Zum Beispiel denken viele Leute, dass eine schwangere Frau kein Fleisch essen darf. Manchen werden auch Eier verboten.“ Die Hintergründe dieser Vorschriften erklärt sie folgendermaßen: „Man sorgt sich, dass das Kind im Bauch zu groß wird, wenn die werdende Mutter all diese Sachen isst. Daraus wird die Befürchtung um Komplikationen bei der Geburt abgeleitet.“

Tabus mit Theaterstücken brechen

Während das Ernährungscamp vor allem auf die alltägliche Ernährung der Familien und vor allem der unter fünf-jährigen Kinder zielt, werden Tabus im Rahmen von öffentlichen Theatervorstellungen zum Thema gemacht.

In Gulabi Devis Dorf fand erst vor kurzem eine solche Aufführung statt. Ein Stück, das die jungen Leute im Auftrag von CWS selbst geschrieben haben: Ein junges Mädchen ist schwanger geworden und ihr Mann versucht, sie zu umsorgen. Aber, so wie es eine der Besucherinnen später im Interview sagt, „er meint es eigentlich nur gut, macht am Ende aber einfach alles falsch.“ Das zeigt sich wunderbar während der Aufführung. Immer wieder redet er gut auf seine junge Frau ein, mal umgarnt er sie mit einer Blume, mal bringt er ihr eine Flasche Milch. Stets weist das Mädchen ihn zurück, oder es springt die Schwiegermutter dazwischen, die entweder ihm den Kopf wäscht oder mit dominantem und belehrendem Ton auf die werdende Mutter einredet. „Er weiß gar nicht mehr, was eigentlich richtig ist, alle schubsen ihn herum“, sagt Gulabi, die mit ihrem Sohn auf dem Arm in der hintersten Reihe steht.

Eine Szene aus dem Theaterstück über gute Ernährungspraktiken für schwangere und stillende Frauen. © Thomas Rommel
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Das Theaterstück wurde von den Frauen und Männern selbst geschrieben. © Thomas Rommel
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Gulabi Kalindi mit ihrem Sohn und zwei weiteren Mädchen aus dem Dorf bei der Präsentation des Theaterstücks über Ernährungspraktiken für schwangere und stillende Mütter. © Thomas Rommel
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Frauen bei der Präsentation des Theaterstücks über Ernährungspraktiken für schwangere und stillende Mütter. © Thomas Rommel
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„Ja, ich finde so einige Dinge in dem Stück wieder, die ich auch real erlebt habe, zum Beispiel hat man mir auch verboten, Fleisch zu essen,“ erzählt sie. Tabus werden an die Öffentlichkeit gebracht und durch den spielerischen, überspitzten Umgang werden die Besucher eingeladen, sich intensiver mit ihnen zu beschäftigen. CWS als auch AVF, die beiden Partnerorganisationen der Welthungerhilfe, nutzen alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel, um die Menschen zu erreichen. „Die Menschen in den Dörfern sind sich oft gar nicht bewusst, dass etwas nicht stimmt, dass sie Dinge anders machen müssen,“ sagt Rajesh Jha, „durch unsere Angebote bieten wir praktische Hilfe, vor allem aber Lernmöglichkeiten und die Mittel, das Gelernte anzuwenden.“

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