"Plötzlich stürzte das Dach auf uns"
Der Zyklon Idai überraschte die Menschen mitten in der Nacht und zerstörte zahllose Existenzen. Unsere Kollegin Kerstin Bandsom reiste nach Mosambik und berichtet von den traumatischen Erlebnissen der Opfer im Katastrophengebiet.
Domingas Manuel (26), ihr Mann (35) und ihre gerade erst 11 Monate alte Tochter Estel lagen schlafend im Bett, als Zyklon Idai mit rund 185 Stundenkilometern über Mosambik hinwegfegte. Der Sturm traf die kleine Familie im Örtchen Desmobairro, das zum Verwaltungsbezirk Matenga im Distrikt Nhamatenda gehört. „Wir haben erst noch kurz vor dem Haus nachgeschaut, weil dieser Wind so heftig war, und dann haben wir uns wieder ins Bett gelegt,“ sagt die junge Frau. Idai kam mitten in der Nacht und überraschte die Menschen im Schlaf.
Ich treffe Domingas am Verwaltungsgebäude von Matenga. Sie sitzt dort auf einer Stufe vor dem Haus und hält ihre kleine, weinende Tochter in den Armen. Das Verwaltungsgebäude ist seit jener Nacht vom 15. auf 16. März 2019 ihr vorübergehendes Zuhause – zusammen mit zwei weiteren Familien, die vor Idai geflüchtet waren. Ich frage Domingas, ob sie mir von der Nacht erzählen möchte. Sie überlegt nur einen kurzen Moment und beginnt: „Ich habe so etwas noch nie erlebt. Auch die älteren Menschen hier im Ort sagen, dass es so einen Wind, solche Regenfälle noch niemals gab.“ Die junge Frau und ihre Familie hatten Glück im Unglück. Sie konnten aus dem zerstörten Haus hinausgehen und sich nur mit dem, was sie am Leib hatten, über den Fluss zum Verwaltungsgebäude retten – mitten in der Nacht, noch bevor der Regen kam. „Ich hatte solche Angst. Dieser Wind, es war so dunkel und überall die Bäume,“ bricht es aus der jungen Frau heraus. Das Verwaltungsgebäude ist solide gebaut, zwar drang auch hier Wasser in die Räume, aber es hielt der Wucht des Zyklons stand.
Es fehlt am Notwendigsten
Zyklon Idai in Mosambik
In Mosambik sind mindestens 598 Menschen sind nach dem Landfall von Zyklon Idai gestorben. Rund 1,85 Millionen Menschen sind von dem Zyklon und seinen Folgen betroffen, rund 198.000 haben ihr Zuhause verloren. Zahlreiche Krankenhäuser und Schulen wurden schwer beschädigt.
Während Domingas erzählt, will ihre kleine Tochter nicht aufhören zu weinen. „Sie hat Fieber,“ sagt die junge Mutter. Sie war schon bei der Gesundheitsstation, um nach Medikamenten zu fragen. Es gab keine. Auch nach zwei Tagen, als sie wieder dort war, gab es noch nichts. Die Gesundheitsstation wurde vom Sturm nicht zerstört, liegt aber 4 Kilometer weit entfernt. Ob sie denn nicht von jemandem hier im Verwaltungsgebäude zu einer anderen Gesundheitsstation gefahren werden könnte, frage ich, denn immerhin stehen zwei Motorräder vor dem Haus. „Nein,“ sagt sie. Es gebe kein Benzin.
Die kleine Estel weint und weint, ihr Körper fühlt sich sehr heiß an. „Sie trinkt auch nicht so gut“, sagt Domingas. Estel bekommt Wasser aus einem Eimer gereicht. Es ist Wasser aus dem Fluss, der sich rasend schnell ausbreitete, als nach dem Zyklon der Regen kam. Domingas weiß, dass das Wasser nicht gut für ihr kleines Mädchen ist, aber es gebe ja nichts Anderes.
Die Ernte wurde komplett zerstört
Eine Küche gibt es in dem Verwaltungsgebäude nicht, gekocht wird deshalb unter freiem Himmel. „Zuhause hatten wir alles, Tee, Milch, zu essen und zu trinken. Jetzt ist alles weg,“ klagt Domingas. Ihr Mann hat noch ein paar Haushaltsdinge retten können: Eimer, ein paar Becher und Schüsseln. Das ist alles. Alle Kleidung hat der Fluss getränkt. Das Mais-Feld, von dem die Familie lebte, ist komplett zerstört. Dabei wäre jetzt im April Erntezeit und danach sollte ausgesät werden. Domingas sagt leise: „Wir haben eine so gute Ernte erwartet, viel besser als im letzten Jahr.“ Damit hätte die Familie bis September oder sogar Oktober ein Einkommen und genügend Nahrung gehabt. Domingas Mann wollte jetzt im April die zweite Aussaat dieses Jahres beginnen: Sesam; nicht zum eigenen Verzehr sondern für den Verkauf. Von dem zusätzlichen Einkommen wollte die Familie Geld zurücklegen und noch ein Feld bewirtschaften. Jetzt stehen sie vor dem Nichts.
„Wir wollen unser Feld wieder bewirtschaften. Das ist doch unser Leben, unsere Existenz.“
Domingas ManuelIch frage Domingas nach ihrem Mann. Er ist gerade bei dem zerstörten Haus. Er will so schnell wie möglich das Zuhause seiner Familie wiederaufbauen. „Wir wollen unser Feld wieder bewirtschaften. Das ist doch unser Leben, unsere Existenz.“ Im Moment sind die drei von anderen Farmer*innen, denen noch etwas Mais geblieben ist, abhängig. Domingas und ihr Mann bieten sich als Arbeitskräfte an, damit sie Geld verdienen und Baumaterial und neues Saatgut kaufen können. „Es ist nicht leicht,“ sagt Domingas, „auf einmal nichts mehr zu besitzen und andere um Unterstützung bitten zu müssen.“ Die Eltern und Schwiegereltern leben schon länger nicht mehr, die kleine Familie ist ganz auf sich allein gestellt. Und jetzt liegt ein hartes Jahr vor ihnen. Die April-Ernte ist ausgefallen, und die nächste Aussaat kann noch nicht erfolgen, weil das Geld fehlt. Es wird noch eine Weile dauern, bis Domingas und ihr Mann wieder selbst für sich sorgen können. „Ich möchte nur so schnell wie möglich wieder ein Zuhause haben. Ich weiß doch nicht, wie lange wir hier in diesem Haus bleiben können,“ sorgt sie sich.
„Wir werden das schaffen!“
Aber noch größere Sorgen macht sie sich um die kleine Estel. Das Baby ist inzwischen eingeschlafen, es wirkt geschwächt. Wann Estel versorgt werden kann, weiß aber niemand. Domingas schaut auf und sagt fast trotzig: „Wir werden das schaffen!“
Ich frage sie noch, ob ich ein Foto von ihr machen darf. Dieses Mal überlegt Domingas lange. Schließlich sagt sie: „Kann ich mich vorher noch umziehen?“ Man spürt ihren Stolz und ihre Tapferkeit. Das Foto wird gemacht, und beim Anschauen, ob es auch hübsch geworden ist, lacht sie – hoffnungsvoll.