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14.07.2021 | Projektupdate

Gesund und nachhaltig mit System

Während an der peruanischen Küste Agrarkonzerne Avocados für den Export produzieren, können sich immer weniger Familien ausreichend ernähren.

Feldarbeit mit Kühen und Pflug, Peru.
Zwei Ochsen ziehen einen Pflug übers Feld. © Welthungerhilfe
Susanna Daag Welthungerhilfe-Verbindungsbüro Peru/Bolivien

Prall und rund liegen die Avocados in der Verkaufskiste von Lucia Inga Tapia. Die grünen Steinfrüchte der peruanischen Kleinbäuerin wiegen fast das Dreifache der Exportware, die sich in den Regalen deutscher Supermärkte findet. Kein Wunder: Lucia Tapias Heimatdorf Pacapuchuro bietet an den Osthängen der Andenregion Huánuco ideale Bedingungen für das Heranreifen tropischer Früchte. Auf rund 1.800 Metern Höhe gedeihen Avocado-, Mango-, und Guavenbäume, dazu Bananen, Kaffee, Mais und Bohnen, und natürlich mehr als ein Dutzend Kartoffelsorten, das „Gold der Anden“. Alles für den lokalen Verbrauch.

Verschiedene Kartoffelsorten in Körben, Peru.
Das "Gold der Anden". In Peru wachsen dutzende Kartoffelsorten. © Welthungerhilfe

Ökologische Landwirtschaft für mehr Ertrag

Das Haus von Lucia Inga und ihrer Familie ist aus Lehm errichtet, darauf weht die peruanische Flagge. Ihre kleine Farm haben sie mit harter Arbeit aufgebaut. Dass einmal verschiedene Sorten Obst, Gemüse, Getreide und Hülsenfrüchte darauf wachsen würden, war für sie vor Jahren noch undenkbar. Die Zeit der Entbehrungen beruhte vor allem darauf, dass Lucia Inga Tapia und ihre Mutter Idelberta wie die meisten Familien in der Region nur wenig für sich selbst anbauten, dafür aber vor allem weiße Kartoffeln, die sie an Zwischenhändler verkauften. Der Gewinn war mager und reichte kaum zum Überleben. Das änderte sich, als die beiden Frauen an Schulungen der Welthungerhilfe und ihrer Partnerorganisation IDMA (Instituto de Desarrollo y Medio Ambiente) teilnahmen. Sie lernten, auf ökologische Landwirtschaft umzustellen, mehr Sorten anzubauen und anders zu wirtschaften. „Wir bauen ohne chemischen Dünger oder Pflanzenschutzmittel an. Das Projekt hat uns dabei unterstützt, unsere Produkte zertifizieren zu lassen und sie zu guten Preisen direkt an die Kunden zu verkaufen“, sagt Lucia Inga Tapia. Inzwischen berät die tatkräftige 30-Jährige selbst benachbarte Kleinbäuerinnen in ökologischer Landwirtschaft, denn die Veränderungen ziehen weitere Kreise.

Zwischen Hunger und Übergewicht

Indigene Gemeinschaften und arme Familien in Peru spüren wenig vom wirtschaftlichen Aufschwung der letzten Jahre. Sie leiden an Unterernährung, haben keinen sicheren Zugang zu Wasser, Strom oder sanitärer Grundversorgung.

Im Jahr 2019 waren in ganz Lateinamerika fast 48 Millionen Menschen von Hunger betroffen. Bis 2030 werden es laut Prognosen fast 67 Millionen sein – dabei sind die verheerenden Auswirkungen von COVID-19 noch nicht berücksichtigt. Ernährungsunsicherheit steigt weltweit in Lateinamerika und der Karibik am schnellsten. Die Verfügbarkeit von Nahrung und der Zugang zu Lebensmitteln sinken also sogar noch schneller als in Afrika. Der Welthungerindex zeigt, wie ernst die Lage ist, denn hier liegt Lateinamerika auf einer Höhe mit Myanmar oder Malawi. Das gilt auch für die landwirtschaftlich geprägte Region Huánuco: Trotz fruchtbarer Böden und enormer Artenvielfalt lebt hier jeder dritte Mensch in Armut. Jedes vierte Kind unter fünf Jahren leidet an chronischer Mangelernährung, fast 13 Prozent aller Kleinkinder an Anämie.

Das Paradoxe dabei ist: In Peru und ganz Lateinamerika nehmen Fettleibigkeit und damit verbundene Krankheiten wie Diabetes enorm zu. Schuld daran sind vor allem billig verarbeitete Lebensmittel, die reich an Fetten, Zucker und Kohlenhydraten sind. In Peru ist ein großer Teil der Bevölkerung übergewichtig. Ein weltweiter Trend setzt sich auch hier durch. Die Menschen ernähren sich nicht mehr von den vielfältigen, saisonalen Produkten, die vor Ort produziert werden, sondern greifen auf günstige und bereits verarbeitete Importware zurück. Statt schrumpeliger, aber nahrhafter Andenkartoffeln essen immer mehr Peruaner*innen industriell gefertigte Pommes frites, die zudem häufig aus wohlhabenden Ländern wie Belgien stammen. Statt Maisgebäck verzehren sie Weißbrot und Pizza, statt frischem Wasser und Säften trinken sie zuckerhaltige Limonaden.

Zwei Frauen verkaufen Avocados auf dem Markt
Auf dem Markt verkaufen Lucia und ihre Mutter Idelberta die frischen Avocados. © Welthungerhilfe

Export verschlechtert die Situation

Und während an der Küste große Agrarkonzerne die sogenannten Superfoods wie Avocados, grünen Spargel und Weintrauben für den Export nach Deutschland, China oder in die USA produzieren, können sich gleichzeitig immer weniger peruanische Familien ausreichend und gesund ernähren. Da die peruanische Pazifikküste eigentlich viel zu trocken für den Anbau der Exportgüter ist, also sich bei weitem nicht so gut eignet wie die Farm der Familie Tapia, werden natürliche Wasserressourcen aus den Anden über Stauseen und Kanäle an die Küste geleitet. Auch Flüsse und Grundwasser werden für die Bewässerung der riesigen Monokulturlandschaften abgeschöpft. Infolgedessen sinkt der Grundwasserspiegel, die Böden versalzen, die Andenregion vertrocknet und die kleinbäuerlichen Familien verarmen noch mehr. Mehrfach musste der Wassernotstand ausgerufen werden. Hinzu kommt der schädliche Einsatz großer Mengen von Agrarchemie. Komplexe Probleme, die vom Gemüseanbau an der spanischen Mittelmeerküste, den Erdbeerplantagen in Kalifornien oder der Massentierhaltung in Deutschland bestens bekannt sind.

Unser Ernährungssystem muss von Grund auf erneuert werden, denn steigende Hungerzahlen zeigen, dass es weder gerecht noch nachhaltig oder krisenfest ist.

Um diesem Ungleichgewicht im weltweiten Ernährungssystem entgegenzuwirken, setzt sich die Welthungerhilfe auf vielfache Weise ein: In Projekten wie in Peru stärken wir gemeinsam mit unseren Partnern die kleinbäuerliche, ökologische Landwirtschaft, legen die Basis für ein verändertes Zusammenwirken von Produktions- und Verbraucherseite und für neue Wege des lokalen Vertriebs. Wir fördern zivilgesellschaftliche Organisationen und deren Vernetzung, damit sie ihr Menschenrecht auf Nahrung einfordern können. Die regionalen und nationalen Regierungen nehmen wir in die Pflicht, diese Rechte tatsächlich umzusetzen. Und wir erzielen damit erste Erfolge: In Peru gelten inzwischen rechtliche Rahmenbedingungen, die die nachhaltige Produktion gesunder Lebensmittel fördern. Dazu gehören seit neuestem Zertifizierungsverfahren für offizielle Bio-Label.

Mobile Märkte in Zeiten von Corona

Auch im peruanischen Huánuco hat der Wandel bereits begonnen. Lucia Inga Tapia ist in ihrem Dorf Pacapuchuro eine von sechs organisierten Bio-Bäuerinnen, in der Region Huánuco beteiligen sich bereits 520 Familien. „Auf unserer Farm haben wir alles, was wir zum Leben brauchen“, sagt die junge Frau. Normalerweise vertreibt sie ihre gesunde Ware auf dem Markt der Stadt Huánuco. Die Menschen wissen die Qualität ihrer Produkte inzwischen zu schätzen und zahlen gerne etwas mehr. Durch COVID-19 fiel dieser Vertriebskanal weg, doch die umtriebigen Geschäftsfrauen um Lucia Inga Tapia und das Team von IDMA entwickelten schnell kreative Lösungen: Über mobile Märkte und Whatsapp-Dienste belieferten sie die Kundschaft in der Stadt direkt von Tür-zu-Tür.

Eine Frau mit Maske kniet vor einem Korb mit Lebensmitteln, Peru 2021.
Als die Märkte in Peru auf Grund von Corona schließen mussten, belieferte Lucia und das Team von IDMA die Kundschaft in der Stadt direkt von an der Tür. © Welthungerhilfe

Ein nächstes Ziel sind Lieferverträge für die regionalen Schulmahlzeiten. Das staatliche Programm nutzt zwar den blumigen Quechua-Namen „Quali Warma“ – „gesundes Kind“, aber die nährstoffarmen Mittagessen reichen bei weitem nicht aus, um die schweren Mangelerscheinungen der Schüler*innen in Huánuco auszugleichen. In beharrlichen Verhandlungen ist es den Öko-Produzentinnen und IDMA gelungen, die lokalen Vertreter*innen der Gesundheits- und Bildungsministerien dazu zu bewegen, sich zu nachhaltiger Ernährung zu verpflichten. Dazu gehören die Eröffnung von Kiosken mit Obst, Gemüse und Milchprodukten in Schulen sowie das Einführen lokaler, gesunder und nachhaltiger Produkte für Schulmahlzeiten. Bis der dreijährige Sohn von Lucia Inga Tapia in die Schule kommt, wird das Programm mit Sicherheit funktionieren.

Dieser Text entstammt aus unserem Magazin.

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