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16.12.2014 | Blog

"Indien ist auf einem guten Weg"

Die Herausforderung der Armutsbekämpfung in Indien und die Rolle von Nichtregierungsorganisationen.

ältere Frauen in bunten Kleidern sitzen auf dem Boden
Die Lambani, eine ethnische Minderheit, werden durch Mydara bei Wässerungsprojekten unterstützt. Auch die 115-jährige Saku, die hier mit ihren Kindern und Enkeln lebt, profitiert davon. © Silke Wernet

Anlässlich des 50. Jubiläums der Welthungerhilfe sprechen Al Fernandez, langjähriger Direktor von Myrada, einer großen indischen Partnerorganisation der Welthungerhilfe, und Bärbel Dieckmann, Präsidentin der Welthungerhilfe, über die Herausforderung der Armutsbekämpfung in Indien und die Rolle von Nichtregierungsorganisationen. Die Fragen stellte Alexander Schneider, Redakteur beim F.A.Z.-Institut.

Herr Fernandez, seit ihrer Gründung vor 50 Jahren hat die Welthungerhilfe insbesondere auch in Indien gewirkt. Wie sehr hat sich die Lage im ländlichen Indien in den vergangenen Jahrzehnten verändert?

Al Fernandez: Ein Beispiel: Myrada und die Welthungerhilfe haben Mitte der achtziger Jahre in bestimmten ländlichen Bezirken Südindiens gemeinsam daran gearbeitet, die Situation der Selbstversorgerbauern zu verbessern. Viele litten darunter, dass weder der Boden noch das Klima ihnen gute Erträge ermöglichten. Daher haben wir beschlossen, uns statt auf die Nahrungsmittelproduktion auf andere Themen zu konzentrieren, etwa das Wassermanagement. Im Ergebnis konnten viele dieser Bauern, deren Lebensmittel zuvor nur für drei Monate ausreichten, nun Nahrung anbauen, von der sie zehn oder zwölf Monate leben konnten. Heute hat sich diese Methode über das gesamte Land verbreitet. Damals war die Welthungerhilfe offen genug dafür, auch das Thema Wassermanagement zu unterstützen.

Frau Dieckmann, ist Indien für die Welthungerhilfe ein besonderes Land?

Bärbel Dieckmann: Indien war für uns immer ein wichtiges Land und wir haben einige unserer ersten Projekte dort gestartet. Denn der Gründer der Freedom From Hunger Campaign, aus deren deutscher Sektion die Welthungerhilfe hervorgegangen ist, stammte aus Indien. Seine Vision der Hilfe zur Selbsthilfe ist heute auch unsere Vision. Wir unterstützen die Menschen dabei, ihre eigenen Lösungen zu entwickeln. Aktuell überlegen wir, wie unsere Arbeit in Indien weitergehen soll. Denn Indien ist heute auch ein reiches Land, das sich schnell wirtschaftlich gut entwickelt. Andererseits leben 260 Millionen der armen und hungrigen Menschen der Welt in Indien. Ich denke, es ist wichtig, die Gesellschaft in Indien dabei zu unterstützen, dieses Problem selbst zu lösen.

Aber ist dafür auch noch die Welthungerhilfe die richtige Adresse?

Bärbel Dieckmann: Auch für die nächsten Schritte ist unsere Zusammenarbeit mit Nichtregierungs-organisationen in Indien noch wichtig. Auf längere Sicht ist Indien sicherlich eines der Länder, die auf dem Weg sind, sich selbst zu helfen.

Herr Fernandez, in Deutschland liest man viel von Computerspezialisten in Bangalore und dem wirtschaftlichen Fortschritt in Indien insgesamt. Dennoch gibt es immer noch so viel Hunger und Armut. Das ist für viele schwer verständlich.

Al Fernandez: Indien ist ein Land der Kontraste. Eines der besten Bilder davon vermittelt eine meiner Lieblingsfotografien: Sie zeigt, wie Computer der neusten Generation auf einem Karren durch die Straßen Bangalores gezogen werden. Indien ist nicht ein Land, sondern besteht aus mehreren Bundesstaaten, verschiedenen Volksgruppen. Ich glaube, dass die Bundesstaaten im Süden nicht mehr viel in Produktivität und Produktion investieren müssen, statt dessen jedoch in gut geführte Institutionen. Sie müssen finanziell dabei unterstützt werden, zivilgesellschaftliche Institutionen aufzubauen – Genossenschaften, die von den Menschen selbst geführt werden. In Nordostindien sieht es ganz anders aus. Von dort kommen Menschen, um von uns zu lernen, wie wir mit Myrada und der Welthungerhilfe Mitte der achtziger Jahre gegen Armut vorgegangen sind.

Frau Dieckmann, welche Rolle spielen Nichtregierungsorganisationen wie Myrada generell in der Arbeit der Welthungerhilfe?

Bärbel Dieckmann: Für uns ist es wichtig, in unseren Zielländern mit Nicht-regierungsorganisationen zusammenzuarbeiten. Was Indien angeht, so sind in vielen ländlichen Gebieten die gesellschaftlichen Strukturen gerade für Frauen schlecht entwickelt – sie erhalten kaum Bildung. Doch Bildung ist eines der wichtigsten Themen in der ländlichen Entwicklung. Die rechtliche Stellung der Frauen muss daher verbessert werden. Die Menschen im ländlichen Indien wollen die Veränderung, sie wollen ihr Leben in die eigenen Hände nehmen und für ihre Kinder eine bessere Zukunft schaffen.

 

Warum arbeitet die Welthungerhilfe gerne mit lokalen Nichtregierungsorganisationen zusammen?

Bärbel Dieckmann: Wirkliche Entwicklung kann nur im Land selbst entstehen. Wir können diese Entwicklung nur unterstützen, indem wir den Kontakt zu Nichtregierungsorganisationen suchen und ihnen unsere Partnerschaft anbieten. So gehen wir vor. Von den knapp 3000 Mitarbeitern, die in 37 Ländern weltweit für die Welthungerhilfe arbeiten, stammen 2600 Mitarbeiter aus den Ländern selbst. Es gibt nur 300 Mitarbeiter aus Deutschland. Denn die Menschen vor Ort kennen ihre Kultur und beherrschen die Sprache. Wir versuchen zum einen, mit Nichtregierungsorganisationen zusammenzuarbeiten und zum anderen, Mitarbeiter vor Ort zu gewinnen. Denn wir glauben nicht, dass wir die Lösung für jedes Land schon kennen.

Al Fernandez: Auch ich habe nicht die Lösung für Indien. Eine Lösung entsteht aus dem Handeln der Menschen in den Dörfern und dem Miteinander der Menschen aus der ganzen Welt, die zu uns kommen und neue Ideen mitbringen.

Frau Dieckmann, wird die Welthungerhilfe auch in zehn Jahren noch in Indien aktiv sein?

Bärbel Dieckmann: Ich hoffe, dass wir dann immer noch intensive Beziehungen nach Indien haben, aber dass es dann dort nicht mehr nötig sein wird, gegen Hunger und Armut zu kämpfen. Ich glaube, dass Indien sich auf einem guten Weg befindet.

Al Fernandez: Die Welthungerhilfe hat stets alle Risiken mit uns geteilt. Immer, wenn wir neue, innovative Ansätze ausprobiert haben, hat sie uns geholfen. Jetzt muss jeder für sich entscheiden, wie es weitergeht. Wir werden mit Myrada weiter gegen Unterernährung kämpfen und uns dabei unter anderem auf die Frage konzentrieren, wie die gesamte Bevölkerung am Wachstum teilhaben kann. Zudem geht es darum, passende Technologien zu entwickeln – kleine Maschinen, die Bauern bei der Verarbeitung ihrer Ernte unterstützen.

Lernt die Welthungerhilfe auch aus der Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen?

Bärbel Dieckmann: Oh ja. Wir haben beispielsweise gelernt, dass Menschen, die sich in einer viel schwierigeren Lage befinden als die Menschen in Deutschland, sehr stark sind und entschieden auf eine bessere Zukunft hinarbeiten. Und dass man auch in einer schlimmen Lage sein Leben organisieren kann. Genau das ist es, was wir unterstützen wollen.

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