Digitales Wissen weitergeben
In Indien gibt es zahlreiche landwirtschaftliche Apps, über die sich bäuerliche Familien zur Gesundheit ihrer Pflanzen informieren können. Doch gerade älteren Landwirt*innen fällt der Umgang damit schwer. In einem Projekt der Welthungerhilfe werden deshalb junge Menschen dazu ausgebildet, Älteren eine Agrar-App nahezubringen, die persönliche Beratung beinhaltet.
Zugang zu Informationen
Der 30-jährige Chethan erinnert sich noch gut an den Besuch bei einem Bauern in seinem Dorf Rangapura, der Chrysanthemen zum Verkauf züchtete. Alle Blätter der Pflanzen hatten sich gelb verfärbt. Dies bedeutete, dass der Bauer seine gesamten Einnahmen verloren hatte – weil er weder wusste, woran seine Pflanzen erkrankt waren, noch welche Maßnahmen er hätte dagegen ergreifen können. Auch andere Fälle erlebte Chethan, bei denen Familien vor dem Ruin standen, weil ihnen landwirtschaftliche Informationen fehlten, die sie ganz einfach digital hätten einholen können.
Chethan wuchs selbst in einer bäuerlichen Familie im indischen Karnataka auf. „Wir Jungen fühlen uns verantwortlich, weil wir zu dieser Gemeinschaft gehören. Wir wissen um deren Herausforderungen. Wenn wir ihre Probleme nicht angehen, wer dann?“, fragt Chethan. „Fehlende Technologie führt zu geringer Produktivität, und immer mehr Ältere geben ihre Landwirtschaft auf. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, könnten die angebauten Nahrungsmittel bald nicht mehr für alle reichen.“
Genau das motivierte Chethan, an einem Projekt der Welthungerhilfe in Karnataka teilzunehmen. Rund 100 junge Menschen, die selbst in der Landwirtschaft tätig sind, werden dort als Berater*innen für die App „Sativus“ ausgebildet. Diese bietet die Möglichkeit, Krankheiten von Nutzpflanzen zu erkennen und rechtzeitig geeignete Lösungen anzuwenden. Beispielsweise, wenn sie von Insekten oder Pilzen befallen sind.
Generationen zusammenbringen
Gerade älteren Landwirt*innen aber fällt es schwer, die oft komplexen Informationen zu verstehen. Hier kommen die Berater*innen ins Spiel, die jeweils bis zu 25 Landwirt*innen aus den umliegenden Dörfern betreuen, ihnen technisch mit der App helfen und die Inhalte erklären.
Entwickelt wurde die App vom Unternehmen Tene-Ag, dem Technologiepartner der Welthungerhilfe. Die lokalen Partner MOTHER und ORDER organisieren die Beratungsausbildung und vermitteln den Kontakt zu den App-Nutzer*innen. Gefördert wird das Projekt von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit.
Langfristige Perspektive über Abo-Modell
„Es ist ein gutes Gefühl, wenn die von der App vorgeschlagenen und von uns erläuterten Empfehlungen tatsächlich dazu beitragen, einen Hof und das hart verdiente Geld eines Landwirts zu retten“, erzählt Chethan. In der aktuellen Projektphase arbeiten die Berater*innen gegen einen kleinen Lohn einige Stunden in der Woche. Die nächste Phase sieht den Aufbau eines Geschäftsmodells mit langfristigen Perspektiven für die jungen Menschen vor. Ist die Beratung derzeit für Nutzer*innen umsonst, zahlen sie später eine Abonnement-Gebühr für die App.
Schon jetzt tragen das Projekt und die Berater*innen zu mehr Nachhaltigkeit in der Region bei. So berichtet Bauer Muniyappa: „Mit einer Probe meiner erkrankten Pflanzen ging ich in einen Laden und bekam einen ganzen Cocktail von Pestiziden, um die Schädlinge zu bekämpfen.“ Das war teuer und belastete durch die Überdosierung Pflanzen und Boden. Dann probierte der 53-Jährige die App Sativus aus. Nun ist er begeistert von der Kombination aus umfassender Information und praktischer Unterstützung: „Eine junge Frau kam auf meinen Hof und stellte fest, dass es sich um eine Pilzinfektion in meiner Kartoffelplantage handelte. Sie erklärte mir, welches Pestizid ich versprühen müsse, und half mir bei der Dosierung. Jetzt brauche ich nur noch ein Mittel und spare Geld.“
Zudem besuchte Muniyappa projektbegleitende Schulungen zur Herstellung von organischem Dünger. Das macht ihn weniger abhängig von Chemikalien und vermeidet unnötige Ausgaben. „Die Qualität meiner Ernte ist gestiegen, seit ich keine überflüssigen Pestizide mehr einsetze, sondern nur das, was die App empfiehlt“, sagt Muniyappa. An der App schätzt er vor allem, dass er bei der persönlichen Begegnung mit seiner Beraterin fragen kann, wenn er Informationen nicht versteht: „Das macht unser Leben so viel leichter.
Die Qualität meiner Ernte ist gestiegen, seit ich keine überflüssigen Pestizide mehr einsetze, sondern nur das, was die App empfiehlt.
Muniyappa Landwirt und Nutzer der App SativusDer Text stammt von Isha Banerjeem, Communication Officer der Welthungerhilfe in Indien. Der Artikel erschien erstmals im Welthungerhilfe-Magazin, Ausgabe: 04/2022.