Der Welthunger-Index berechnet und bewertet die globale Hungersituation.
Fluchtursachen in Afghanistan – ein Land in der andauernden Krise
Seit circa 40 Jahren ist das Leben in Afghanistan von Konflikten, Vertreibungen, chronischer Armut und Hunger geprägt. Die Menschen leben in ständiger Angst. Durch die Übernahme der Taliban 2021 und zunehmende extreme Wetterereignisse, sind wieder mehr Menschen auf der Flucht – auch im eigenen Land.
Inhaltsverzeichnis
- Flüchtlinge in Afghanistan
- Afghanistan: Die Zahl Binnenvertriebener nimmt zu
- Langandauernde Flüchtlingssituation in Afghanistan
- Flucht und systematische Vertreibung in Afghanistan - eine Chronologie des Landes
- Fluchtursachen in Afghanistan – warum verlassen die Menschen ihre Heimat?
- Besonderer Schutz von Kindern und Frauen
- Fluchtursachen in Afghanistan eindämmen, auf der Flucht unterstützen – Positionen der Welthungerhilfe
Krieg, Vertreibung und Flucht spielen in Afghanistan seit mittlerweile vier Jahrzehnten eine Rolle. Die Machtübernahme durch die Taliban ist für die Afghan*innen nichts Neues, die Furcht deshalb umso größer. Denn als die Taliban von 1996 bis 2001 das Land mit harter Hand regierten, waren die Menschen in allen Bereichen sehr eingeschränkt und grundlegende Menschenrechte ausgesetzt. Frauen hatten keinerlei Rechte. Sie mussten sich komplett verschleiern, durften nicht zur Schule und arbeiten gehen.
TV, Sport und Musik waren verboten. Frauen, die sich nicht daran hielten, wurden hart bestraft oder sogar getötet. Heute sind die Rechte von Frauen wieder stark eingeschränkt: Es gibt wieder eine Verschleierungspflicht, ein Schulbesuch nach der 6. Klasse ist nicht erlaubt, in der Öffentlichkeit können sich Frauen nur in Begleitung eines männlichen Begleiters bewegen und auch die Arbeitsmöglichkeiten sind stark eingeschränkt. Im Dezember 2022 beispielsweise wurde Frauen verboten, bei lokalen und internationalen Hilfsorganisationen zu arbeiten. Die Welthungerhilfe und weitere Organisationen setzten ihre Arbeit in Afghanistan daher aus Protest zunächst aus. Die Welthungerhilfe konnte ihre Arbeit nach intensiven Verhandlungen auf lokaler Ebene im Februar und März 2023 schrittweise wieder aufnehmen und so auch Frauen erreichen.
Darüber hinaus gehört Afghanistan zu den ärmsten Ländern der Welt. Laut Welthungerindex 2022 ist die Hungersituation ernst, fast 30 Prozent der Bevölkerung ist unterernährt. Grundbedürfnisse wie Nahrung, medizinische Versorgung und Bildung sind nicht gesichert. Darüber hinaus ist das Land mit multiplen Krisen konfrontiert.
Der langandauernde Krieg hat die Infrastruktur in vielen Teilen des Landes zerstört. Die Wirtschaft ist massiv beeinträchtigt, das Bankensystem kurz vor dem Kollaps, die Preise steigen, Arbeitsmöglichkeiten gibt es kaum. Und auch zunehmende Extremwetterereignisse und eisige Temperaturen im Winter machen den Menschen zu schaffen.
Flüchtlinge in Afghanistan
Aus Afghanistan sind circa 6,4 Millionen Menschen auf der Flucht außerhalb des Landes – vorranging in den Nachbarländern Iran und Pakistan. Damit ist Afghanistan zusammen mit Syrien das Land mit den meisten Flüchtlingen weltweit. Nach dem Abzug der NATO- und US-Truppen in Afghanistan und der Machtübernahme der Taliban im Herbst 2021, sind viele Menschen aufgrund von Angst aus Afghanistan und innerhalb des Landes geflohen.
Die Gesamtzahl der Geflüchteten inklusive Binnenvertriebener, die aufgrund von Konflikt und Gewalt ihre Heimat verlassen mussten, beträgt laut Schätzungen Stand Mai 2024 etwa 9,6 Millionen.
Infos über die aktuelle Lage in Afghanistan, die Arbeit der Welthungerhilfe vor Ort und ein Ausblick auf die Zukunft des Landes.
Afghanistan: Die Zahl Binnenvertriebener nimmt zu
Auch zunehmende Wetterextreme wie Dürreperioden und die sozioökonomischen und politischen Entwicklungen im Land haben in den letzten Jahren dazu geführt, dass über drei Millionen Afghan*innen als Binnenvertriebene in Afghanistan lebten. Fast 700.000 Menschen sind alleine 2021 innerhalb von Afghanistan geflüchtet, 80 Prozent von ihnen sind Frauen und Kinder. Vertriebene werden traditionell im Land von der lokalen Bevölkerung unterstützt, allerdings bröckelt auch diese Hilfe, da die Menschen selbst in zunehmender Armut leben.
Angesichts der anhaltenden humanitären Krise stößt die Widerstandskraft von Flüchtlingen, Binnenvertriebenen und Aufnahmegemeinschaften langsam an ihre Grenzen. Seit 2002 sind im Rahmen des UNHCR Flüchtlingsprogramms zur Wiedereingliederung circa fünf Millionen Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt. Allerdings ist die Situation bedrückend: viele leben in Elendsquartieren rund um Kabul, haben kein gesichertes Einkommen oder Arbeit. Viele sind vom Land in die Stadt gekommen, in der Hoffnung, dort bessere Einkommensmöglichkeiten zu finden.
Langandauernde Flüchtlingssituation in Afghanistan
Wenn 25.000 oder mehr Flüchtlinge derselben Nationalität über einen Zeitraum von fünf oder mehr Jahren in einem bestimmten Asylland im Exil leben, spricht man laut UNHCR von einer lang andauernden Flüchtlingssituation (protracted refugee situation). Es gibt keine dauerhaften Lösungen für die Geflüchteten wie eine Integration im Aufnahmeland oder eine sichere Rückkehr in ihr Heimatland.
Ihre Grundrechte und die wesentlichen sozialen, wirtschaftlichen und psychologischen Bedürfnisse bleiben nach Jahren im Exil unerfüllt. Das trifft auch auf Afghanistan zu. Ende 2017 befanden sich 2,3 Millionen afghanische Flüchtlinge bereits 38 Jahre oder länger in einer solchen Situation in den Ländern Iran und Pakistan.
Flucht und systematische Vertreibung in Afghanistan - eine Chronologie des Landes
1978-1989: Kommunistisch besetztes Afghanistan
1979 ziehen sowjetische Truppen in Afghanistan ein. Viele gläubige Afghan*innen mögen die kommunistischen Besatzer nicht. Es bilden sich Widerstandskämpfer unter den Gläubigen namens “Mudschahidin”. Sie rufen den heiligen Krieg gegen die Kommunisten aus. 1989 zieht sich die sowjetische Armee zurück. Viele Afghan*innen flüchten ins Ausland – insgesamt über sechs Millionen. Auch die Binnenvertreibung nimmt ab 1985 zu. 1989 kommen die ersten geflüchteten Menschen zurück nach Afghanistan.
1990-1995: Ausbruch des Bürgerkriegs
1992 wird die kommunistische Regierung besiegt. Es gibt Auseinandersetzungen unter den Mudschaheddin-Parteien im Hinblick auf die Machtteilung. Es bricht ein Bürgerkrieg aus. 1994 beteiligen sich die Taliban am Krieg. Sie rücken immer weiter vor und gewinnen zunehmend Kontrolle von Teilen Afghanistans. 1992/1993 kommen über zweieinhalb Millionen Flüchtlinge zurück in ihre Heimat. Da Bürgerkrieg herrscht, vor allem in großen Städten wie Kabul, steigt die Anzahl der Binnenflüchtlinge nach 1993/1994 wieder an.
1996: Machtübernahme Taliban & Dürre
Die Taliban übernehmen die Macht in Kabul mit einem sehr strengen Regime. Alle Afghan*innen müssen nach sehr strengen religiösen Regeln leben. Frauen haben fast keine Rechte und werden diskriminiert. Sie müssen sich komplett verschleiern, dürfen nicht arbeiten. Mädchen dürfen nicht zur Schule gehen. Viele Menschen flüchten erneut innerhalb Afghanistans und ins Ausland. Viele Afghan*innen verlassen ihre Heimat 1996 zum ersten Mal. 2000 steigt die Zahl der Binnenvertriebenen weiter, da Afghanistan eine der schlimmsten Dürre seit 30 Jahren erlebt.
2001-2002: Militäreinsatz durch die USA
Nach den Terroranschlägen vom 11. September starten die USA einen militärischen Einsatz in Afghanistan, um die Taliban zu bekämpfen. Diese sollen Osama bin Laden und Al-Kaida bei den Anschlägen unterstützt haben. Das US-Militär erobert mit Hilfe der sogenannten Nordallianz, einem Zusammenschluss von Taliban-Gegnern, große Teile des Landes zurück. Innerhalb weniger Wochen flüchten circa 1,5 Millionen Afghan*innen aufgrund der Militäreinsatzes.
2002-2006: Neue Regierung
Nach dem Ende der Taliban-Regierung bekommt Afghanistan eine neue Regierung mit Hamid Karsai als Präsident. Das wird bei einer Konferenz in Bonn beschlossen, an der Vertreter*innen der Vereinten Nationen und afghanischer Volksgruppen teilnehmen. Im Zuge des “Petersberger Abkommens” hat die neue Regierung die Aufgabe, das zerstörte Land wieder aufzubauen, damit es den Menschen endlich besser geht. Zu dieser Zeit findet auch die größte, durch die UN-unterstützte, Flüchtlingsrückkehr seit Beginn der Aufzeichnungen statt. Zwischen 2002 und 2005 kommen circa fünf Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurück. Auch die Mehrzahl der 1,2 Millionen Binnenvertriebenen kehrt in ihre Heimat zurück. 2005 wählen die Afghan*innen zudem erstmals seit 1973 ein Parlament.
2007-2014: Machtwechsel & viele Binnenvertriebene
Die Taliban lassen das Land nicht zur Ruhe kommen. Selbstmordanschläge nehmen zu, die Mehrzahl der Opfer sind Zivilist*innen. Die Sicherheitslage verschlechtert sich, Gewalt nimmt zu. Auch die Regierung verliert zunehmend an Legitimität. Zwischen 2006 und 2008 kehren circa eine weitere Million Flüchtlinge zurück. Zwischen 2009 und 2013 sind es noch rund 400.000 Rückkehrer*innen. Allerdings nimmt die Binnenvertreibung wieder zu, da die Reintegration nicht funktioniert. Bis 2014 liegt die Zahl der Binnenvertriebenen bei fast 700.000. Die Hälfte davon ist seit mindestens 2011 vertrieben. 2014 wird Ashraf Ghani Ahmadzai neuer Präsident von Afghanistan. Er gewinnt die Wahl gegen Abdullah Abdullah, der mittlerweile Chef der Regierung ist.
2015-2021: Neue politische Wahlen
Neue politische Wahlen und der Übergang führen zu einer Verschlimmerung der Sicherheitslage sowie der wirtschaftlichen Situation. Die Nachbarländer Pakistan und Iran beschleunigen die Abschiebung afghanischer Flüchtlinge. Rund vier Millionen Afghan*innen kehren nach Afghanistan zurück oder werden abgeschoben, meist aus dem Iran oder Pakistan, aber auch aus Europa. Die Flucht ins Ausland nimmt zwischen 2015 und 2017 mit knapp einer Millionen Afghan*innen wieder zu. Die Anzahl der Binnenvertriebenen liegt im Durchschnitt pro Jahr bei circa 450.000 Menschen. 2018 liegt die Gesamtanzahl afghanischer Binnenvertriebener bei geschätzten 1,8 Millionen. 2018 bieten die Taliban den USA Gespräche an. Die USA will ihre Soldat*innen, unter bestimmten Bedingungen, aus Afghanistan abziehen.
Im Kampf gegen die Taliban sterben nach Angaben der afghanischen Regierung zwischen 2014 und 2019 circa 45.000 afghanische Soldaten. Die Taliban töten zwischen 2016 und 2020 nach Angaben der UN jedes Jahr bis zu 1.625 Zivilist*innen, Tausende werden verletzt. 2020 unterzeichnen die USA und die Taliban ein Friedensabkommen: innerhalb von 14 Monaten müssen NATO und USA ihre Streitkräfte aus Afghanistan abziehen. Die Taliban garantieren im Gegenzug Friedensgespräche mit der afghanischen Regierung aufzunehmen. Ab Mai 2020 kommt es jedoch wieder zu Terroranschlägen der Taliban.
Ab 2021: Machtübernahme durch Taliban
USA und NATO ziehen ihre Soldat*innen aus Afghanistan ab. Auch Soldat*innen aus anderen Ländern verlassen das Land. Die Taliban übernehmen daraufhin wieder die Macht vieler Gebiete und der Stadt Kabul. Seitdem nimmt die Flüchtlingsbewegung wieder zu. Die humanitäre Lage für die Menschen im Land verschlimmert sich zunehmend, viele Menschen sind von Hunger bedroht. Die Rechte von Frauen werden stark eingeschränkt. Ihnen werden Bildungs- und Erwerbsmöglichkeiten verwehrt.
Fluchtursachen in Afghanistan – warum verlassen die Menschen ihre Heimat?
Die Fluchtursachen in Afghanistan sind vielfältig und können nicht nur auf Krieg und Konflikte zurückgeführt werden. Oft werden Menschen in die Flucht getrieben, weil sie von mehreren Krisen gleichzeitig betroffenen sind und diese Krisen sich gegenseitig verschlimmern.
Andauernde Konflikte und Gewalt
Gewalt, Krieg und das Leben in ständiger Unsicherheit und Angst sind seit vielen Jahren die Hauptursachen, warum Menschen aus Afghanistan flüchten. Die Überwindung und Bewältigung gewaltsamer Konflikte können Jahrzehnte dauern. Die Anzahl der Anschläge und Opfer in Afghanistan nach der Übernahme der Taliban haben zwar wieder abgenommen, die Gewalt gegenüber Frauen ist allerdings gestiegen.
Hunger bedroht das Leben vieler Menschen in Afghanistan
15,8 Millionen Menschen in Afghanistan sind von Hunger bedroht und auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. 23,7 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, davon 12,3 Millionen Kinder - das sind zwei Drittel der Gesamtbevölkerung. Die Wirtschaftskrise seit der Machtübernahme der Taliban verschlimmert die Situation für die Menschen zusätzlich. Hinzu kommt eine seit Jahren anhaltende Dürre, die den Anbau von notwendigen Lebensmitteln erschwert. Etwa 95 Prozent der Bevölkerung kann sich nicht ausreichend gesund ernähren.
Übernahme des Landes durch die Taliban im Jahr 2021
Viele Afghan*innen sind seit der Übernahme der Taliban 2021 auf der Flucht – aus Angst vor Verfolgung, Zwangsmaßnahmen, Gewalt und Unterdrückung. Auf der Suche nach Schutz und Sicherheit verlassen Afghan*innen das Land. Circa 125.000 Menschen mit internationalen Reisepässen konnten 2021 durch eine von den USA koordinierte Luftbrücke nach der Machtübernahme durch die Taliban evakuiert werden. Tausende Afghan*innen, die fliehen wollten, jedoch nicht.
Viele Afghan*innen, die ein Visum beantragt hatten, konnten nicht ausreisen. Obwohl jeder Mensch das Recht hat, sein Heimatland zu verlassen, gab es besondere Beschränkungen für Afghan*innen. Die Taliban-Behörden waren über Monate nicht in der Lage, Pässe auszustellen und erschwerten so die Ausreise. Oder sie scheiterte daran, weil die Grenzen zu den Nachbarländern geschlossen waren. Mittlerweile ist es wieder möglich, Visa zu beantragen.
Der UN-Sicherheitsrat hat Ende August 2021 eine Resolution verabschiedet, die besagt, dass Afghan*innen das Land jederzeit verlassen dürfen, ohne daran gehindert zu werden. Dennoch ist die Ausreise weiterhin beschränkt. Der internationale Flughafen in Kabul wird bisher nur von wenigen Fluglinien, meist regionalen Anbietern oder von der UN angesteuert. 6,4 Millionen Afghan*innen sind außerhalb des Landes auf der Flucht, die meisten in den Nachbarstaaten Iran und und Pakistan.
Afghanistan: Menschenrechtsverletzungen nehmen zu
Die Situation der Menschenrechte in Afghanistan hat sich massiv verschlimmert. Es kommt immer wieder zu schweren Menschenrechtsverstößen wie Hinrichtungen, Folter, Inhaftierungen, Zensur der Medien oder eine drastische Einschränkung der Rechte von Frauen und Mädchen. Im März 2022 hat das Taliban-Regime, entgegen seiner Versprechungen, den Schulunterricht für Mädchen ab der siebten Klasse verboten. So lange, bis es einen Plan gebe, der im Einklang mit dem islamischen Recht sei. Seit Dezember 2022 dürfen Frauen nicht mehr bei internationalen Hilfsorganisationen arbeiten, weshalb die Welthungerhilfe und weitere NGOs ihre Arbeit aus Protest bis auf Weiteres aussetzten. Die Welthungerhilfe konnte ihre Arbeit nach intensiven Verhandlungen auf lokaler Ebene im Februar und März 2023 schrittweise wieder aufnehmen und so auch Frauen erreichen.
Zerstörung der Lebensgrundlagen
Die Auswirkungen von Gewalt, Krieg und Kämpfen sind riesig. Die Menschen verlieren ihre Lebensgrundlagen. Vor allem in großen Städten wie Kabul ist das Ausmaß dramatisch. Die Strom- und Wasserversorgung ist eingeschränkt, Lebensmittel und Medikamente sind knapp, die Preise steigen. Auch Felder können nicht mehr bewirtschaftet werden und Ernten fallen weg. Die Menschen können sich nicht mehr versorgen und ihren Alltag kaum bewältigen.
Dürre, Naturkatastrophen und Hunger
Auch aufgrund einer andauernden Dürre – eine der schwersten der vergangenen zwei Jahrzehnte – herrscht in Afghanistan Lebensmittelknappheit. Ungefähr die Hälfte der Fläche, auf der normalerweise geerntet wird, liegt brach. Neben weit verbreitetem Hunger besteht vor allem die Gefahr, dass sich die Situation zu einer Hungersnot entwickelt.
5,1 Prozent der Kinder unter 5 Jahren sind akut unterernährt. Die Kindersterblichkeitsrate von sechs Prozent der unter 5-Jährigen (2019) gehört zu den höchsten der Welt.
Immer wieder kommt es in Afghanistan zudem zu starken Erdbeben und Überschwemmungen, die Menschenleben kosten und Unterkünfte sowie Infrastruktur zerstören. Außerdem ist Afghanistan von extrem kalten Wintern betroffen. In höhergelegenen Regionen können die Temperaturen auf bis zu -25°C fallen. Über 50.000 Menschen sind seit der Machtübernahme der Taliban nach Kabul geflüchtet. Die provisorischen Unterkünfte sind für den Winter nicht geeignet. Kabul liegt auf einer Höhe von 1.800 Metern. Die Temperaturen im Winter sinken auf unter null Grad. Die Situation kann lebensbedrohlich sein.
Klimakrise als Treiber für Flucht und Migration
Chancengleichheit und Gleichberechtigung sind notwendig für die Bekämpfung von Armut und Hunger
Besonderer Schutz von Kindern und Frauen
Rund 80% der 2021 geflüchteten Menschen waren Frauen. Viele Frauen sind vor allem nach der Machtübernahme der Taliban aus Afghanistan geflohen. Die Lebensbedingungen von Frauen und Kindern sind besonders gefährdet und besorgniserregend. Als das Taliban-Regime 2001 gestürzt wurde, verbesserte sich die Situation der Frauen enorm: Sie konnten zur Schule gehen, studieren, durften arbeiten oder sogar als Unternehmerinnen tätig sein. Auch wenn religiöser Fundamentalismus und patriarchale Strukturen immer noch eine Rolle spielten, war das Leben von Frauen wesentlich selbstbestimmter.
Viele dieser Rechte sind ihnen seit der Machtübernahme durch die Taliban 2021 wieder genommen worden. Rechtslosigkeit von Frauen ist unter dem islamistischen Regime der Taliban wieder staatliche Politik. Am öffentlichen Leben teilzunehmen ist so gut wie unmöglich. Ebenso wie ein unabhängiges Leben zu führen. Frauen ist es untersagt, ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Im Dezember 2022 wurde ihnen explizit die Arbeit bei Hilfsorganisationen verboten. Die Welthungerhilfe und weitere NGOs stellten daraufhin aus Protest ihre Arbeit im Land ein. Nach intensiven Verhandlungen auf lokaler Ebene konnte die Welthungerhilfe ihre Arbeit wieder aufnehmen. Frauen müssen in der Öffentlichkeit von einem Mann begleitet werden und haben strenge Kleidervorschriften.
Frauenhäuser oder spezielle Einrichtungen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen sind besetzt oder geschlossen worden. Mädchen ab der siebten Klasse dürfen vorerst nicht in die Schule. Vor allem Frauenrechtler*innen und Aktivist*innen sind in Gefahr. Viele Frauen haben Angst – vor allem sorgen sie sich um die unsichere Zukunft ihrer Kinder und dem Eingriff in ihre zuvor gewonnenen, selbstbestimmten Leben.
Die Welthungerhilfe setzt sich für weltweite Chancengleichheit ein. Women Empowerment ist ein wesentlicher Grundsatz in unseren weltweiten Projekten. Sie legen besonderen Wert darauf, dass Frauen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich gefördert und respektiert werden. Zudem erhalten sie Zugang zu Bildung, gewinnen Selbstvertrauen und können sich ein eigenständiges Leben aufbauen – dafür müssen teils hohe Hürden überwunden und Geschlechterrollen verändert werden.
Fluchtursachen in Afghanistan eindämmen, auf der Flucht unterstützen – Positionen der Welthungerhilfe
Seit 1992 fördert die Welthungerhilfe in Afghanistan mehr als 160 Projekte mit einem Budget von über 130 Millionen Euro. Im Jahr 2022 haben wir in 19 Projekten mit einer Fördersumme von 20,6 Millionen Euro 913.000 Menschen erreicht. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie das Auswärtige Amt sind Haupt-Geberinstitutionen. Weitere internationale Partner*innen sind die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) sowie deren Welternährungsprogramm (WFP).
Die Welthungerhilfe hat jahrzehntelange Erfahrung bei der Unterstützung von Menschen auf der Flucht. Dabei setzen wir sowohl auf Maßnahmen der humanitären Hilfe, die als Soforthilfe Menschen in akuten Notsituationen mit dem Nötigsten versorgen, als auch auf langfristige Projekte der Entwicklungszusammenarbeit. Diese beugen zukünftigen Krisen und Notlagen vor, fördern eine bessere Bewältigung und geben den Menschen eine Perspektive.
Forderungen an Deutschland und die EU zum Umgang mit Flüchtlingen und Migranten
Wesentlicher Handlungsbedarf besteht vor allem auf der politischen Ebene. Bei der Reduzierung der Ursachen von Flucht muss politisch gehandelt und nachjustiert werden. Wir brauchen global einen fairen Interessenausgleich zwischen Menschen auf der Flucht, Herkunfts- und Aufnahmeländern. Auch die Rechte dieser Menschen müssen unbedingt sichergestellt werden, um Ausbeutung, Diskriminierung oder Schlimmeres zu verhindern.
Viele unserer Projekte tragen zum Wiederaufbau von gesellschaftlichen und landwirtschaftlichen Strukturen in Gebieten bei, aus denen Menschen geflohen sind. In den Projekten stärken Menschen ihre Widerstandsfähigkeit, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Gezielte Präventionsmaßnahmen spielen ebenfalls eine bedeutende Rolle, um besser auf Krisen und Konfliktbewältigung vorbereitet zu sein.
Politisch müssen von allen Staaten Bedingungen für eine nachhaltige Entwicklung geschaffen werden, die sich vor allem an den 17 Sustainable Development Goals bis 2030 orientiert. Denn Kriege und bewaffnete Konflikte, extreme Armut, Klimawandelfolgen sowie soziale Ungerechtigkeit sind untrennbar miteinander verwoben und brauchen globale und ganzheitliche Lösungsansätze.